Augsburger Allgemeine (Land West)
Auf dem Sprung nach vorne
Formel 1 Lewis Hamilton wird in Kanada Dritter kann möglicherweise doch noch in den WM-Kampf eingreifen. Die Spitze scheint zwar weit weg, allerdings haben Red Bull und Ferrari Probleme.
Montreal Diesmal hatte sich Lewis Hamilton nicht mühevoll aus seinem Auto quetschen müssen. Am Sonntag sprang der Brite recht beschwingt von seinem Fahrersitz auf den Boden. Anders noch als vor einer Woche, als er in Baku wegen großer Rückenschmerzen das Rennen nur mit Mühe beenden konnte und das Aussteigen ihm so schwergefallen war, als trage er einen 20-Kilo-Rucksack auf seinen Schultern. In Montreal sah alles so leicht und locker aus, als existiere das Thema hoppelnde Autos und die daraus sehr schmerzhaften Folgen nicht mehr. Ganz so ist es nicht, wenngleich auf der deutlich ebeneren Strecke in Montreal das Hüpfen nicht so gravierend war wie auf Bakus holprigem Stadtkurs. Zum vitalen Sprung half dabei auch, dass das Ergebnis in Kanada recht erfreulich war. Rang drei, endlich mal wieder auf dem Podest. Mercedes ist auf dem Sprung nach vorne.
In Baku war Hamilton Vierter geworden, was angesichts der Umstände nicht ganz schlecht war. Sein Teamkollege George Russell war da allerdings vor ihm gelegen, was einem Rekordweltmeister ähnlich gefallen wird wie eine Tempo-30-Beschränkung. Nun aber drehte Hamilton das Ergebnis um. Es war sein zweiter Podestplatz in dieser Saison. Für einen erfolgsverwöhnten Rennfahrer wie Hamilton mag das nach nicht viel mehr als zwischenzeitlicher Schadensbegrenzung klingen. Mercedes hatte aber in dieser Saison recht früh den Anschluss nach ganz vorne verloren. Die Aufholjagd hat mittlerweile begonnen.
Als Ornithologe oder Wetterexperte hat sich Toto Wolff bislang noch keinen Namen gemacht. Am Sonntag aber griff er bei der Beurteilung der derzeitigen MercedesSituation auf ein Sprichwort aus eben diesen beiden Themenbereichen zurück. Wolff sprach davon, dass „eine Schwalbe noch keinen Sommer mache“. Es brauche schon mehr dieser Vögel, um von einem dauerhaften Temperaturhoch zu sprechen. Soll heißen: Wegen eines dritten Platzes ist Hamilton noch längst nicht in Reichweite der Spitzenfahrer. „Wir müssen vorsichtig bleiben“, sagte der Mercedes-Motorsportchef. Schon in Barcelona habe er eine solche Schwalbe am Horizont entdeckt, nur um sie recht schnell wieder aus den Augen zu verlieren. Nun aber soll der Aufschwung von Dauer sein. „In Kanada hatten wir teilweise sogar das schnellste Auto“, meinte Wolff. Für ganz vorne aber reichte das nicht, da Max Verstappen seinen Red Bull schnell und fehlerfrei ins Ziel brachte. Gleiches gelang Carlos Sainz jr. im Ferrari.
Dennoch beobachtet die Konkurrenz Mercedes ganz genau. Die Red-Bull-Verantwortlichen sehen ein erstarktes Team, das seinen Rückstand mehr und mehr aufholt. Auch weil sich nun das Glück wieder zu Lewis Hamilton zu drehen scheint. Er hatte in dieser Saison schon mehrfach Pech. Wegen unglücklicher Rennverläufe oder kleinerer Pannen. „In vielen Rennen ist es gegen ihn gelaufen, nun ist er auf der glücklicheren Seite“, sagte Wolff. Hamilton jedenfalls war zufrieden, nachdem er die Tage zuvor in Kanada als sehr nervig empfunden hatte. Im Freien Training waren die Silberpfeile unterlegen. Sie probierten viel aus, testeten neue Einstellungen. Allen voran Hamilton, der letztlich das Training frustriert abbrechen musste. In der nassen Qualifikation lief es schon deutlich besser. Im Rennen folgte die nächste Steigerung. „Es ist ehrlich gesagt überwältigend, diesen dritten Platz zu erreichen. Es war dieses Jahr bisher ein harter Kampf mit dem Auto für unser Team, aber wir bleiben wachsam, fokussiert und geben niemals auf“, sagte Hamilton. Und: „Die Jungs an der Spitze sind im Moment ein bisschen zu schnell für uns, aber wir kommen ihnen immer näher.“Eine Kampfansage?
Ferrari und Red Bull haben ihre aktuellen Fahrzeuge aggressiv entwickelt. Das scheint mehr und mehr auf Kosten der Haltbarkeit zu gehen. Mercedes hat zwar noch aerodynamische Probleme mit dem Unterboden, aber die Gewissheit, dass ihre Rennwagen stabil und zuverlässig sind. „Es ist schon komisch, dass bei beiden Teams die Autos immer mal stehen bleiben“, sagte Wolff. Ein Schicksal, das auch Mick Schumacher am Sonntag hatte. Er war von Platz sechs gestartet, musste aber seinen Rennwagen wegen technischer Probleme bei der Motoreinheit frühzeitig abstellen. Der zuletzt heftig kritisierte Schumacher war auf dem Weg zu seinen ersten WMPunkten. Mit seiner Leistung konnte er diesmal also zufrieden sein, die Tauglichkeit für die Formel 1 hat er eindrucksvoll bewiesen. Nun muss bei nächster Gelegenheit nur auch der Haas-Bolide halten.