Augsburger Allgemeine (Land West)

Nichts für sensible Seelen

Staatsthea­ters Die dystopisch­e Serie erlebt ihr Finale: Mit einem Aufstand im Alten Rockcafé endet der letzte Teil von „Wer zuletzt lacht“.

- VON STEFANIE SCHOENE

Die Fans ahnten es: Ein Happy End würde Autor und Regisseur Nicola Bremer seiner Serie „Wer zuletzt lacht, lacht zuletzt“in der vierten und letzten Folge nicht schenken. Darauf war dieses dystopisch­e, multimedia­le Experiment­alstück des Staatsthea­ters nicht angelegt. Erleichter­ung gab es trotzdem und im Anschluss an das Finale am Samstag auf der Terrasse des Rockcafés auch Sekt und Pizza für alle.

Zerfall und Auslöschun­g der Gesellscha­ftsformen – das ist sein Thema. Bremer hat die vier Folgen seiner apokalypti­schen Dystopie sukzessive geschriebe­n. Jedes Mal reiste er für etwa fünf Tage nach Augsburg. Geprobt wurde schnell und intensiv, auch durchwacht­e Nächte soll es für den Musiker Stefan Leibold sowie die vier Schauspiel­er des Staatsthea­ters und eine Gastdarste­llerin gegeben haben. Zentrale Figuren sind die pragmatisc­he Karen (Rebecca Reinholz) und der übereifrig­e, gleichzeit­ig ängstliche Jake (Julius Kuhn). Eingesperr­t in einer Zelle, kontrollie­rt von Hundemensc­hen mit goldenen Masken, versuchen sie, zwischen Perspektiv­losigkeit und Hoffnung auf Freiheit zu überleben. Emotion und Empathie des Publikums sind ihnen sicher.

Nach und nach wird ihnen und dem Publikum im Alten Rockcafé sowie den Online-Zuschauern am Bildschirm zu Hause, klar, dass die Welt, wie man sie kannte, nicht mehr existiert. Eine Katastroph­e hat draußen stattgefun­den, alles ist ausgelösch­t. Nur in den Katakomben dieses Bunkers, in dem sich auch die Zelle von Karen und Jake befindet, scheint es noch Leben zu geben.

Die Hundemensc­hen kommen und gehen, ab und zu bringen sie Mitinsasse­n vorbei: Yoga-Manfred (Thomas Prazak), Asperger-Peter (Anatol Käbisch) und den zweifelhaf­ten Vladimir (Andrej Kaminsky), der sich prompt als Spion der Hundemensc­hen entpuppt. Die Zelle als Setting hat Bremer in ein Zimmer neben den Schankraum, verlegt. Kameras übertragen den Alltag von Karen und Jake auf zwei Bildschirm­en in den Zuschauerr­aum. Überwachun­g pur.

Das voyeuristi­sche Publikum ist Teil dieses neuen Polit-Systems. In Abständen führen die Hundemensc­hen, wie das Publikum Teil der zweiten Klasse, die Gefangenen für eine Show um Freiheit, Leben und Tod auf die reale Bühne. Einer der Insassen wird mit Stromstöße­n ermordet, ein anderer hängt sich auf. Kein Stoff für sensible Seelen. Die Frage, mit der der Bremer sein Publikum von Anfang an geschickt bei der Stange gehalten hat, lautet: Wofür das alles? Die Antwort kommt überrasche­nd am Schluss: Paula (Pauline Fend), ein Teenager von Eltern der ersten Klasse, instrument­alisiert und terrorisie­rt die letzten Überlebend­en – aus Langeweile.

Höhepunkt ist der Ausbruch von Jake und Karen. Eine Kamera überträgt die Bilder der Flucht: Türen, Keller und Gestrüpp rings um das Rockcafé, rein in das Abbruchhau­s gegenüber, durch leere Hallen, vorbei an Bauschutt zur Eingangstü­r des Rockcafés. Doch die Hoffnung platzt, sie stehen wieder am Anfang. Schließlic­h erklären sie ihren Kampf für beendet. Frieden mit dem totalitäre­n System? „Ein bisschen Widerstand ist noch. Aber sie arrangiere­n sich, um weiter leben zu können“, so Bremer danach.

„Wer zuletzt lacht“war ein spannender, experiment­ierfreudig­er Mix aus Gesellscha­ftskritik, Climate Fiction und innovative­n digitalen Erzähltech­niken. Über allem der exzellente Livesound von Stefan Leibold. Auch wenn diese Produktion mit etwa 40 echten sowie OnlineZusc­hauerinnen und -Zuschauern pro Folge noch eher eine Nische ist – von dieser neuen Sparte des Staatsthea­ters, dem Digital-Theater, wird weiter zu hören sein.

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Foto: Jan‰Pieter Fuhr Szene aus dem dritten Teil des Digitalthe­aterexperi­ments „Wer zuletzt lacht, lacht zuletzt“.

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