Augsburger Allgemeine (Land West)
Haunstetter Schießplatz wandelt sich zum Biotop
Geschichte Das renaturierte Militärgelände im Augsburger Süden steht seit Kurzem unter Denkmalschutz. Jetzt stellt sich die Frage: Sanieren oder weiterhin unverändert der Natur überlassen?
Die ältesten Pläne für einen Schießplatz der Garnison Augsburg in den Lechauen bei Haunstetten stammen aus dem Jahr 1880. 1883 kaufte das Königreich Bayern das Gelände, ab 1886 wurde hier geschossen. Zu Kaisers und Königs Zeiten, in der NS-Ära und nach dem Zweiten Weltkrieg marschierten oder fuhren Soldaten der Garnison Augsburg zu Gefechtsschießen zu dem rund 66 Hektar großen Areal.
Ab 1900 gibt es Ansichtskarten mit der Aufschrift „GarnisonsSchießplatz Augsburg“. Abgebildet sind Baracken, Soldaten und die Kantine, umgeben von Nadel- und Laubbäumen. Die Schießplatz-Wirtschaft war damals nur Uniformierten vorbehalten. 1912 heißt es, es sei „eine Restauration in hübscher Umgebung, wo Zivilisten nichts verabreicht werden darf“. In den 1930 Jahren wurde außerhalb der Umzäunung eine einfache Wirtschaft errichtet. Diese „Außen-Gastronomie“ist völlig verschwunden.
Die bis zu 1200 Meter langen Schießbahnen mit betonierten Zielscheiben, Kugelfängen, Erdwällen und Schutzwänden sind auf keiner Postkarte abgebildet. In der NSZeit wurde der Schießplatz zudem aus den meisten Landkarten getilgt. Die „geheimen“Flächen im Auwald wurden 1936 und 1939 um ein Artillerie-Munitionsdepot erweitert. Die Stadt Augsburg musste dazu 6,5 Hektar Wald abgeben. 13 Bunker wurden betoniert, mit Erde bedeckt und bepflanzt. Die begrünten Hügel im Wald sollten aus der Luft nicht erkennbar sein.
Die amerikanische Luftaufklärung fotografierte am 20. April 1945 den Schießplatz kurz vor der Besetzung Augsburgs. Die US Army kannte die Örtlichkeiten also genau, als sie Anfang Mai 1945 das eingezäunte Gebiet übernahm. Sie nutzte es bis 1978. Die Bundeswehr folgte kurzzeitig. Sie gab den Schießplatz 1983 endgültig auf. Bei der Entmilitarisierung wurden Baracken, Lagerschuppen und Latrinen abgebrochen, ein Teil der aufgeschütteten Kugelfänge und Wälle eingeebnet. Die massiven Bunker und Betonwände blieben. 1986 kaufte die Stadt Augsburg das Bunkergelände zurück. Sie übte ein Vorkaufsrecht aus, das 1936 beim Zwangsverkauf im Grundbuch eingetragen worden war. Der Schießplatz verblieb in Staatsbesitz. Er wird von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben verwaltet.
Die Amerikaner hatten sich bemüht, den Schießplatz „sauber“zu verlassen, und ihn nach militärischen Hinterlassenschaften abgesucht. Sie bargen Geschosshülsen,
und Projektile aus etlichen Jahrzehnten aus den oberen Bodenschichten. Der Schießplatz und die Bunker liegen in der Engeren Trinkwasserschutzzone. Die Stadtwerke haben deshalb darauf ein besonderes Augenmerk. Sammelbrunnen werden akribisch überwacht und das Wasser auf mögliche Spuren von Blei, Kupfer und Zink untersucht. Es gab jedoch nie negative Ergebnisse. Das heißt: Vom Schießplatz ging offenbar bislang keine Gefahr für das Trinkwasser aus.
Das einstige Militärgelände hat
seit 40 Jahren zur Freude der Naturschützer sehr positiv verändert. Seit 1983 darf sich die Natur das Areal zurückholen. Mit etwas Nachhilfe entwickelte es sich zu einem Biotop: Alle Bunker sind verschlossen, einige verfüllt. Schlitze und Löcher ermöglichen Fledermäusen, Schmetterlingen und Amphibien den Zugang zu den verbliebenen Hohlräumen. Auf einstigen Schießbahnen entwickelte sich eine wertvolle Lechheide.
Die sporadische Befahrung durch Militärfahrzeuge schuf vor JahrSplitter
zehnten dafür die Grundlage. Spuren sorgten für eine unglaubliche Strukturvielfalt. Auf dem Schießplatz wechseln magere und fette Bodenstellen, Kiesbänke und Mulden liegen wie im alten Lechbett mal trocken, mal vernässen sie. Das liebten einst die lechtypische Fauna und Flora. Sie kehrten zurück und besiedelten das Gelände. Auf dem Schießplatz-Areal befindet sich Bayerns größtes Vorkommen der Hundswurz oder Spitzorchidee. Die Vielfalt an seltenen Schmetterlingen ist enorm. Ringelnattern, Schlingsich nattern und Kreuzottern verfügen über ungestörte Lebensräume.
Dennoch steht der Schießplatz unter Beobachtung des Umweltamtes. Seit 1989 werden Bodenproben und das Grundwasser untersucht. 1999 trat das Bundes-Bodenschutzgesetz in Kraft. Danach ist der Schießplatz eine sogenannte Altlasten-Verdachtsfläche, die regelmäßig zu überwachen ist. Wie die Ergebnisse von Boden- und Wasseruntersuchungen zu bewerten sind und welche Sanierungsmaßnahmen angemessen wären, darüber kam es zu Gerichtsverfahren mit der Grundstückseigentümerin des Schießplatzes. Das ist die Bundesrepublik Deutschland. Die komplizierten Vorgänge bis zum Jahr 2010 sind in einer Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts Augsburg aufgeführt. Sie ist im Internet nachlesbar (https:/openjur.de/ u/486527.ppdf).
Im Dezember 2018 ordnete das Umweltamt der Stadt Augsburg eine Sanierungsuntersuchung und einen Sanierungsplan an. Ein Rückbau sollte in die Wege geleitet werden. Dagegen gab es 2021 einen Bürger-Einspruch: Bei einer Geländesanierung würden Geschichtszeugnisse zerstört. Daraufhin wurde das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege tätig und stellte am 5. Mai 2022 das Schießplatz- und Bunker-Areal unter Denkmalschutz.
Die Begründung: „Aufgrund seiner besonderen geschichtlichen Bedeutung liegt die Erhaltung des Objekts im Interesse der Allgemeinheit.“Nun muss in einem Abwägungsverfahren neu über die Zukunft des Bodendenkmals Schießplatz entschieden werden. Bodenschutz, Denkmalschutz, Naturschutz, Trinkwasserschutz und Besitzer-Interessen sind gegeneinander abzuwägen. Das könnte zur Folge haben, dass alles unverändert bleibt.
Dafür gibt es schwerwiegende Gründe: Das unter Denkmalschutz gestellte „Objekt“Schießplatz verkörpert 100 Jahre Militär- und Stadtgeschichte, darauf folgen 40 Jahre Konversion. Das heißt: der Wandel vom Militärareal zum Biotop. Das Naturschutzgebiet Stadtwald Augsburg ist zudem FFH-Gebiet (Flora-Fauna-Habitat). Das heißt: Hier gelten europaweit verbindliche Naturschutzvorschriften. Der darin liegende Schießplatz ist als „Baudenkmal“in die Denkmalliste aufgenommen.
Er ist weit mehr: Als Hinrichtungsstätte unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft ist er ein Gedenkort. Derzeit sind amtliche Nachforschungen in Archiven über dieses dunkelste Kapitel in der Schießplatz-Geschichte im Gange. Sie werden in den Entscheidungsprozess über seine Zukunft einfließen.