Augsburger Allgemeine (Land West)
Bürgermeister fallen auf falschen Klitschko rein
Eine professionell manipulierte Videoschalte lässt auch die Berliner Regierungschefin Franziska Giffey glauben, dass sie sich mit ihrem Kiewer Kollegen unterhält. Wie die Sache auffliegt und was die Täter damit bezwecken.
Berlin Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko ist ein gefragter Mann. Unermüdlich lenkt der einstige Boxweltmeister die Augen der Welt auf das Schicksal seines Landes – dazu gehören zahllose Gespräche mit ausländischen Politikern. Und so schöpft Franziska Giffey keinen Verdacht, als eine Anfrage aus Kiew in ihrem Büro eingeht. Klitschko – so scheint es – will sich mit ihr über die Lage in der Ukraine und die deutsche Unterstützung unterhalten. Wer diese Mail in Wahrheit geschickt hat, ist unklar. Fest steht nur: Vitali Klitschko war es nicht. Auch in anderen europäischen Hauptstädten wie Madrid und Wien wird der falsche Bürgermeister vorstellig. Selbst in den folgenden Video-Telefonaten, in denen das KlitschkoImitat darum bittet, Russisch zu sprechen und sich dolmetschen zu lassen, fliegt die Sache zunächst nicht auf. Offenbar sind Profis am Werk, die alte Aufnahmen so perfekt manipulieren, dass die Gesprächspartner tatsächlich glauben, sich mit dem Kiewer Bürgermeister zu unterhalten. Der SPDPolitikerin Giffey kommt die Sache erst komisch vor, als der vermeintliche Klitschko seltsame Dinge sagt. So fragt er zum Beispiel, was man in Deutschland davon hält, „dass sich viele Ukrainerinnen Sozialleistungen erschleichen“. Außerdem bittet er darum, junge Männer in die Ukraine zurückzuschicken, damit sie dort kämpfen können. Nach etwa einer halben Stunde sagt Giffey ihrem Team, dass da offenbar irgendetwas faul sei. Daraufhin bricht die Videoschalte ab. Auch ihr Kollege in Madrid wird bald misstrauisch. Nur Wiens Bürgermeister Michael Ludwig merkt nichts, obwohl ihm auffällt, dass der vermeintliche Amtskollege ungewöhnlich fordernd auftritt. Der Österreicher twittert anschließend sogar noch ein Foto von seiner Begegnung mit dem falschen Klitschko.
In normalen Zeiten könnte man die Sache in der Abteilung Kuriositäten abheften. Doch inmitten des Krieges löst sie Sorgen aus. Wer steckt hinter der Falle? Was soll damit bezweckt werden? Und vor allem: Wem kann man noch trauen, wenn Videos mithilfe von Künstlicher Intelligenz so täuschend echt verfälscht werden können? „Deep Fake“nennen Experten diese Art der Manipulation, die längst Teil der hybriden
Kriegsführung ist. Verunsicherung und Misstrauen zu schüren, ist aus Sicht des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk genau das Ziel solcher Aktionen. „Es ist eine perfide psychologische Waffe, und die Technik wird immer besser“, warnt er in der Welt am Sonntag. Melnyk, der bereits mit Giffey über den Vorfall gesprochen hat, zeigt sich aber auch entschlossen: „Keine ,Deep Fakes‘ oder andere Tricks der Russen können das Vertrauen zwischen der Ukraine und Deutschland erschüttern.“
Der echte Klitschko gibt westlichen Politikern noch einen Tipp, wie sie Fakes früh enttarnen können: „Für diejenigen, die Deutsch oder Englisch sprechen: Ich brauche nie einen Übersetzer.“