Augsburger Allgemeine (Land West)

Bürgermeis­ter fallen auf falschen Klitschko rein

Eine profession­ell manipulier­te Videoschal­te lässt auch die Berliner Regierungs­chefin Franziska Giffey glauben, dass sie sich mit ihrem Kiewer Kollegen unterhält. Wie die Sache auffliegt und was die Täter damit bezwecken.

- Von Michael Stifter

Berlin Der Kiewer Bürgermeis­ter Vitali Klitschko ist ein gefragter Mann. Unermüdlic­h lenkt der einstige Boxweltmei­ster die Augen der Welt auf das Schicksal seines Landes – dazu gehören zahllose Gespräche mit ausländisc­hen Politikern. Und so schöpft Franziska Giffey keinen Verdacht, als eine Anfrage aus Kiew in ihrem Büro eingeht. Klitschko – so scheint es – will sich mit ihr über die Lage in der Ukraine und die deutsche Unterstütz­ung unterhalte­n. Wer diese Mail in Wahrheit geschickt hat, ist unklar. Fest steht nur: Vitali Klitschko war es nicht. Auch in anderen europäisch­en Hauptstädt­en wie Madrid und Wien wird der falsche Bürgermeis­ter vorstellig. Selbst in den folgenden Video-Telefonate­n, in denen das KlitschkoI­mitat darum bittet, Russisch zu sprechen und sich dolmetsche­n zu lassen, fliegt die Sache zunächst nicht auf. Offenbar sind Profis am Werk, die alte Aufnahmen so perfekt manipulier­en, dass die Gesprächsp­artner tatsächlic­h glauben, sich mit dem Kiewer Bürgermeis­ter zu unterhalte­n. Der SPDPolitik­erin Giffey kommt die Sache erst komisch vor, als der vermeintli­che Klitschko seltsame Dinge sagt. So fragt er zum Beispiel, was man in Deutschlan­d davon hält, „dass sich viele Ukrainerin­nen Sozialleis­tungen erschleich­en“. Außerdem bittet er darum, junge Männer in die Ukraine zurückzusc­hicken, damit sie dort kämpfen können. Nach etwa einer halben Stunde sagt Giffey ihrem Team, dass da offenbar irgendetwa­s faul sei. Daraufhin bricht die Videoschal­te ab. Auch ihr Kollege in Madrid wird bald misstrauis­ch. Nur Wiens Bürgermeis­ter Michael Ludwig merkt nichts, obwohl ihm auffällt, dass der vermeintli­che Amtskolleg­e ungewöhnli­ch fordernd auftritt. Der Österreich­er twittert anschließe­nd sogar noch ein Foto von seiner Begegnung mit dem falschen Klitschko.

In normalen Zeiten könnte man die Sache in der Abteilung Kuriosität­en abheften. Doch inmitten des Krieges löst sie Sorgen aus. Wer steckt hinter der Falle? Was soll damit bezweckt werden? Und vor allem: Wem kann man noch trauen, wenn Videos mithilfe von Künstliche­r Intelligen­z so täuschend echt verfälscht werden können? „Deep Fake“nennen Experten diese Art der Manipulati­on, die längst Teil der hybriden

Kriegsführ­ung ist. Verunsiche­rung und Misstrauen zu schüren, ist aus Sicht des ukrainisch­en Botschafte­rs Andrij Melnyk genau das Ziel solcher Aktionen. „Es ist eine perfide psychologi­sche Waffe, und die Technik wird immer besser“, warnt er in der Welt am Sonntag. Melnyk, der bereits mit Giffey über den Vorfall gesprochen hat, zeigt sich aber auch entschloss­en: „Keine ,Deep Fakes‘ oder andere Tricks der Russen können das Vertrauen zwischen der Ukraine und Deutschlan­d erschütter­n.“

Der echte Klitschko gibt westlichen Politikern noch einen Tipp, wie sie Fakes früh enttarnen können: „Für diejenigen, die Deutsch oder Englisch sprechen: Ich brauche nie einen Übersetzer.“

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Foto: dpa/Senatskanz­lei Berlin Der falsche Klitschko während der Videoschal­te.

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