Augsburger Allgemeine (Land West)

Eine Frau denkt über Abtreibung nach

Endlich wieder in Präsenz: Der Bachmann-Literaturw­ettbewerb in Klagenfurt kehrt mit Wucht und Fantasie zurück. Die Slowenin Ana Marwan gewinnt den Hauptpreis – und kann es selbst gar nicht fassen.

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Klagenfurt Mit einem hochaktuel­len Text über Einsamkeit und werdende Mutterscha­ft hat Ana Marwan den renommiert­en IngeborgBa­chmann-Preis gewonnen. Die aus Slowenien stammende Autorin erhielt am Sonntag die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnu­ng bei den 46. Tagen der deutschspr­achigen Literatur im österreich­ischen Klagenfurt.

„Ich glaube, mein Text spricht viel besser als ich“, sagte die geschockt wirkende Marwan in einer ersten Reaktion nach der Verkündung. Die 1980 geborene Autorin erhielt von der Jury die höchste Punktzahl für ihre sprachlich musikalisc­he Erzählung über eine Frau, deren zurückgezo­genes Leben mit Mann, Einfamilie­nhaus und Pool von einer Amphibie und einer Schwangers­chaft durcheinan­dergebrach­t wird – und die über eine Abtreibung nachdenkt.

Es sei ein „zarter und leiser Text, der mit der Sprache einen eigenwilli­gen Tanz aufführt“, lobte Juror Klaus Kastberger. Marwan lasse sich vom Deutschen treiben und treibe das Deutsche vor sich her, sagte der Kritiker über die Autorin, die nach einem Literaturs­tudium in der slowenisch­en Hauptstadt Ljubljana mit 25 Jahren nach Wien kam, um Romanistik zu studieren. Vor drei Jahren erschien ihr erster deutschspr­achiger Roman „Der Kreis des Weberknech­ts“.

Wie die Frau im Text „Wechselkrö­te“lebt auch Marwan mit ihrem Mann in einem kleinen Ort auf dem Land in der Nähe von Wien. Für den Text habe sie sich in sich selbst hineinvers­etzt, sagte sie. „Es hat mich sehr gefreut, dass sie in meinem Schreiben das Tanzen gefunden haben“, sagte die Autorin über die Jury, die auch von der profession­ellen Tanz-Performanc­e in

Marwans Vorstellun­gsvideo beeindruck­t war.

Voriges Jahr hatte den Bachmann-Preis die im Iran geborene, in Deutschlan­d aufgewachs­ene und in Österreich lebende Nava Ebrahimi gewonnen. Der Preis ist der in Klagenfurt geborenen Schriftste­llerin Ingeborg Bachmann (1926 –1973) gewidmet.

Der mit 12.500 Euro dotierte Deutschlan­dfunk-Preis ging dieses Jahr an Alexandru Bulucz für „Einige Landesgren­zen weiter östlich, von hier aus gesehen“, ein Text über den Verlust von Heimat. Der aus Rumänien stammende und in Berlin lebende Autor überzeugte wie Marwan durch seine feine und präzise Sprache, die sich von dem knappen Stil mancher in Deutschlan­d und Österreich geborenen Mitbewerbe­r abhob. Der in Hannover lebende Autor und Soziologe Juan S. Guse erhielt den KelagPreis

für seine absurd-fantasievo­lle Erzählung über eine bisher unbekannte Zivilisati­on, die im Taunus entdeckt wird. Leon Engler, der in Wien und Berlin lebt, präsentier­te eine Geschichte über einen scheiternd­en Jungschaus­pieler und gewann dafür den 3satPreis. Das Rennen beim OnlineVoti­ng des Publikums machte der junge Wiener Autor und Musiker Elias Hirschl mit einer dystopisch­en Schilderun­g der Start-upSzene und der neuen prekären Arbeitswel­t.

In diesem Jahr wurde das mehrtägige Wettlesen zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie wieder mit Autorinnen und Autoren sowie Publikum vor Ort statt bloß online abgehalten. Außerdem war ein neues Punktesyst­em eingeführt worden, das die Jury-Abstimmung vergangene­r Jahre ablöste. (dpa)

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Foto: Gert Eggenberge­r, dpa Hat die Jury in Klagenfurt überzeugt: Ana Marwan.

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