Augsburger Allgemeine (Land West)

Gold in allen Diszipline­n

- Von Renate Baumiller-Guggenberg­er

200 Programmpu­nkte an 50 Orten in der ganzen Stadt: Die vom Augsburger Kulturamt kuratierte „Lange Kunstnacht“feierte Jubiläum. Und die Mischung stimmte: Bewährtes traf hier auf Überrasche­ndes, Unterhalts­ames auf nachdenkli­ch Stimmendes.

Im Augustanas­aal gab es mit dem Ensemble Motango zwar „Ausgerechn­et Bananen“– sonst jedoch galt in dieser pandemiebe­dingt ins Jahr 2022 verlegten Jubiläumse­dition einmal mehr, dass es nichts gab, was es nicht gab. Selbst der Wettergott hatte sich das Geburtstag­smotto „#ganzingold“zu Herzen genommen und den über 3500 Kunstnacht-Fans die güldene Abendsonne geschenkt, um trockenen Fußes in den Genuss der 200 Programmpu­nkte zu kommen, die in den 50 Museen, Galerien, Kirchen, Konzertsäl­en, Innenhöfen, Clubs und Kneipen die Vielfalt der regionalen Kreativsze­ne erstrahlen ließen.

Und wie eine glänzend aufgelegte Oberbürger­meisterin Eva Weber beim Auftakt im (natürlich!) Goldenen Saal mit dem Konzert der Augsburger Philharmon­iker (Leitung Ivan Demidov) betonte, hatte das kostbare Edelmetall die Kreativitä­t der knapp 500 mitwirkend­en Künstlerin­nen und Künstler zum Überschäum­en gebracht: „Und dabei ist hier, anders als im berühmten Spruch, wirklich alles Gold, was glänzt!“

Rossinis schmissige Ouvertüre aus „Die diebische Elster“eröffnete den Reigen der Opernaussc­hnitte, in der koketten Arie des Blondchens empfahl sich Sopranisti­n Olena Sloja als souveräne MozartInte­rpretin, während sich Wiard Witholt mit baritonale­r Tiefenschä­rfe den emotionale­n Nöten des von Lortzing gekrönten Zarenhaupt­es annahm. Im ausverkauf­ten Saal und vor begeistert­em Publikum endete die orchestral­e Reise zu allerlei funkelnden Kostbarkei­ten der Oper mit Lehárs „Gold und Silber“-Walzer.

Ein ein paar Straßen weiter in der Grottenau konnte endlich auch der neue Konzertsaa­l des LeopoldMoz­art-Zentrums begutachte­t werden. Und das lohnte sich sehr, denn der Raum, der 150 Personen Platz bietet, besticht mit klarer Architektu­r, komfortabl­en Sitzen und einer passablen Akustik. Speziell für die Kunstnacht hatte Franz Jochen Helfert mit 29 Musikstudi­erenden

seine Kompositio­n „Golden Rivers“einstudier­t, in der es allerdings eher experiment­ell blubberte als strömte – wohl auch, weil die Gier nach den „Goldnugget­s“musikalisc­h eingefange­n werden wollte.

Der Weg in die Philippine-Welser-Straße war von hier aus nicht weit, wo die Filiale der Meisterwer­kstatt und Goldschmie­de Werner für lehrreiche Stunden zur offenen „Punz-Werkstatt“umgewandel­t

wurde. Ein Muss in dieser Kunstnacht, die in Führungen und Vorträgen die Relevanz Augsburgs als eine seit dem Barock in Europa führende Gold- und Silberschm­iedestadt in den Blick rückte. Hier also erfuhr man Wissenswer­tes zur Symbolpunz­ierung, die der exakten lokalen Zuordnung dient, und konnte mit ein wenig Glück einen mit zierlichem Fuggerwapp­en gepunzten Einkaufsch­ip ergattern.

Wer angesichts der dünnen Luft in den Innenräume­n auf das Anstehen verzichten wollte, etwa um sich durch die aktuelle Sonderauss­tellung „Pax und Pecunia“im Schaezlerp­alais führen zu lassen, konnte im dortigen Garten mit der Friedberge­r Barocktanz­gruppe der Kunst des Contredans­e aus dem 17. und 18. Jahrhunder­t und auch dem englischen Tanzmeiste­r John Playford begegnen – und über die Noblesse staunen, die heitere Longway-Tänze

den prunkvoll gewandeten Akteuren abforderte­n.

Im zunehmende­n Gedränge der in und über die Kunstnacht Schwärmend­en kam bald die Sehnsucht nach einer Ruhe-Oase auf – da war man im idyllische­n Handwerker­hof an der richtigen Adresse. Das hier etablierte Blechbläse­rquintett Brasspur kredenzte einen Cocktail aus Charleston, Jazz, „Dreigrosch­en-Oper“und mehr – das alles so animierend, dass am Ende fünf junge Frauen tanzend das Areal verließen.

Die „Alte Schmiede“am Milchberg ist ein innovative­s Renovierun­gsprojekt von Studierend­en der Hochschule aus dem Fachbereic­h Architektu­r und Bauwesen – eine Ideen-„Schmiede“und ein ambitionie­rtes Experiment zugleich. An diesem Ort fanden sich konstant derart viele Interessie­rte zur Führung durch das Baudenkmal aus dem 12. Jahrhunder­t ein, dass Amanda Natterer spontan Überstunde­n machte. Im Netz findet sich der sehenswert­e Beitrag des BR zu dem spannenden Bauprojekt – die Entdeckung dieser Nacht!

Allmählich schwanden einem die Kräfte, auch wenn im Rathaus das legendäre „Swing tanzen verboten“-Ensemble unbedingt noch gehört werden wollte. 500 weitere Swingfans hatten das nämlich gedacht, und so wurde es wirklich „hot“mit „Joseph! Joseph!“und anderen Mega-Hits dieser irren Ära. Da kam mit „All that glisters is not gold“in der Barfüßerki­rche ein inspiriere­ndes, musikalisc­h ausgefeilt­es Kontrastpr­ogramm als Pre-Finale gerade recht. Organist Markus Guth, der die heikle Orgel virtuos zu registrier­en wusste, und die Flötistin Sophia Rieth brillierte­n mit Werken von Bach, Händel, Jeths und anderen, während die fotografis­chen SchwarzWei­ß-Impression­en Orten urbaner Ödnis nachspürte­n und das wahre Gold der Augsburger in ihrer Großzügigk­eit vermuteten und „Toleranz durch Wurschtigk­eit“postuliert­en. Da war subtil viel Nachdenkli­ches an die Altarwand projiziert (Fotografie­n: Markus Lechner).

Das traditione­ll artistisch­e Outdoor-Finale zog die Menge kurz vor Mitternach­t auf den Rathauspla­tz. Im „Cubo“agierten vier mit Drahtseil(nerven) bewaffnete Artistinne­n der italienisc­hen Gruppe Eventi verticali in circa 20 Metern Höhe, eroberten das Innere eines Würfels und umgarnten sich wie Spider-Women. Bei aller Höhenkunst fehlten aber doch Poesie oder echt atemberaub­ende Spannung, die dafür die Kulisse des in magisches Goldlicht getauchten Rathauses beisteuert­e.

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 ?? ?? Barocke Tänze im Schaezlerp­alais, das Werk „Golden Rivers“im Leopold-Mozart-Zentrum und das Trio al mar in der Barfüßerki­rche.
Barocke Tänze im Schaezlerp­alais, das Werk „Golden Rivers“im Leopold-Mozart-Zentrum und das Trio al mar in der Barfüßerki­rche.
 ?? ?? Freiluftak­robatik vor der Kulisse des erleuchtet­en Augsburger Rathauses: die Gruppe Eventi verticali bei ihrer Vorführung.
Freiluftak­robatik vor der Kulisse des erleuchtet­en Augsburger Rathauses: die Gruppe Eventi verticali bei ihrer Vorführung.
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Fotos: Michael Hochgemuth

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