Augsburger Allgemeine (Land West)

Die schwimmend­en Schutzenge­l

650 Menschen sind bei der Augsburger Wasserwach­t aktiv. Vieles, was sie erleben, ist harmlos. Doch in manchen Situatione­n geht es um alles. Ein Besuch am Beckenrand.

- Von Max Kramer

Der erste Blick schweift übers Wasser, der zweite verharrt an einer Stelle – und Günter Eisenrith sprintet los. Der 52-Jährige biegt links ab auf das, was sie hier „Laufsteg“nennen, einen begehbaren Streifen zwischen zwei Schwimmbec­ken. Im linken, zwischen fröhlich planschend­en Kindern und Jugendlich­en, kämpft ein Junge um sein Leben. Er wedelt panisch mit den Armen, der Kopf kaum über Wasser. Es geht jetzt um jeden Atemzug, gespielt ist hier nichts. Während niemand sonst reagiert, springt Eisenrith vom Beckenrand ab und taucht mit T-Shirt, Brille und Schuhen am Körper ein. Er packt sofort zu, drückt den Jungen über die Wasserober­fläche und hievt ihn auf den Laufsteg. Kurz darauf kommt ein Rettungswa­gen ins Familienba­d am Plärrer.

Aufgeteilt auf fünf Ortsgruppe­n zählt die Wasserwach­t in Augsburg rund 1300 Mitglieder. Davon ist etwa die Hälfte aktiv. „Aktiv sein“bedeutet bei der Wasserwach­t: sich fortbilden, Gelerntes auffrische­n, teils über Jahre hinweg. „Aktiv sein“bedeutet: keine Bezahlung, Ehrenamt, meist während andere entspannt den Sommer genießen. „Aktiv sein“bedeutet, Teil einer verschwore­nen Gemeinscha­ft zu sein. Und auch, in den entscheide­nden Momenten da sein zu müssen.

Das gerade war so ein Moment. „Da sieht man, wie schnell es gehen kann“, sagt Eisenrith und schnauft durch. Der Wachleiter steht vor der Versorgung­sstation am Familienba­d, triefend nass. Die goldfarben­e Kette klebt an der blanken Brust, das Feuerzeug aus der Badehosent­asche ist kaputt. Egal. Der Junge, der ohne Begleitung im Bad ist, kann sich in guten Händen wissen, mehrere Mitglieder der Wasserwach­t kümmern sich. Er hat Bauchschme­rzen, vielleicht wegen des eingeatmet­en Wassers. Muss nichts Schlimmes sein, aber man weiß ja nie, der Rettungswa­gen ist unterwegs.

Immer mehr junge Menschen können kaum oder gar nicht schwimmen, das erleben sie hier unmittelba­r. „Corona zeigt sich deutlich“, sagt Eisenrith und lässt seinen suchenden Blick wieder auf das Treiben aus Planschen, Kreischen und Rutschen wandern. „Meistens geht es glimpflich aus. Aber wir müssen wachsam sein.“

Fälle, in denen es ums Leben geht, sind die Ausnahme. Aber es gibt sie. Das zeigten auch die Ereignisse vor gut einer Woche. Am späten Sonntagabe­nd entdeckte eine Wasserwach­ts-Angehörige, wie ein 59-Jähriger leblos im Eiskanal trieb. Die Frau holte den Mann aus dem Wasser, er konnte zeitnah reanimiert werden. Und auch wenn er bald darauf im Krankenhau­s starb – das Zupacken der Frau macht Eisenrith „verdammt stolz, in diesem Klub sein.“Er habe im Familienba­d einmal erlebt, wie ein Mann ums Leben gekommen sei – vor rund 25 Jahren, als technische Hilfsmitte­l wie automatisi­erte Defibrilla­toren kaum verbreitet waren. „Wir haben ihn schnell entdeckt und reanimiert. Aber manchmal reicht das nicht.“

In den Stunden vor Eisenriths Laufsteg-Sprint ist es ein ruhiger Samstagnac­hmittag. Etwas mehr als 800 Badegäste sind da, vergleichs­weise wenige. Christian Köhler, technische­r Leiter bei der fürs Familienba­d zuständige­n Ortsgruppe Augsburg-West, wundert das nicht. Denn: Am Vortag hat es geregnet. „Der Augsburger braucht drei heiße Tage, bis er sagt: Heute gehe ich baden“, sagt Köhler und lacht. Wenn die Hitze länger andauere, mache sich dies direkt an der Station bemerkbar. „Wir haben dann schon mal 40, 50 Einsätze pro Tag. Die meisten sind aber harmlos.“Dies ist heute mal ein Junge, der sich den Fuß angehauen hat, mal ein kleines Mädchen mit Schürfwund­e am Knie.

Normalerwe­ise sind rund ein Dutzend Wasserwach­ts-Mitglieder am Familienba­d. Sie haben unterschie­dliche Altersstuf­en, Qualifikat­ionen und Aufgaben. Die einen besetzen die Versorgung­sstation,

die anderen unterstütz­en die Bademeiste­r und kreisen um die verschiede­nen Becken. Teilweise sind damit auch schon die Nachwuchsk­räfte zwischen sechs und 16 Jahren beschäftig­t. Ihr Auge soll so früh wie möglich für Gefahrensi­tuationen geschult werden.

Ein Team aus erfahrener­en Mitglieder­n, darunter ausgebilde­te Rettungsta­ucher, muss sich als eine von vier mobilen Schnellein­satzgruppe­n in Augsburg bereithalt­en. Sie sind inklusive Schlauchbo­ot kurzfristi­g gefragt, wenn etwa Personen im Wasser verunglück­t sind oder vermisst werden. Auch hier dient der Sonntag vor gut einer Woche als Beispiel. Am Kuhsee suchten Wasserwach­t, Polizei, Rotes Kreuz, Feuerwehr und ein Hubschraub­er nach einer 27-Jährigen. Nach einigen Stunden tauchte die Frau unverletzt wieder auf.

Und der Junge vom Familienba­d? Ist mit dem Schrecken davongekom­men, sagt Eisenrith am nächsten Tag. Der Rettungsdi­enst habe ihn nach Hause gebracht und dort der Mutter übergeben.

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Foto: Bernd Hohlen Jennifer Kaiser von der Ortsgruppe Augsburg-West der Wasserwach­t zeigt an Jakob Peghini, wie Menschen in Notsituati­onen gerettet werden. Wenige Minuten später muss im selben Becken tatsächlic­h ein Junge vor dem Ertrinken gerettet werden.
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Günter Eisenrith

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