Augsburger Allgemeine (Land West)

SGL: Ein großes Stück Meitingen wird 100

Vor 100 Jahren siedelte sich Siemens in der Marktgemei­nde an und prägte den Ort entscheide­nd mit. Was die SGL so wichtig macht und wie es dort weitergehe­n soll.

- Von Christoph Frey

Meitingen Siemens, Plania, SIGRI und jetzt seit drei Jahrzehnte­n SGL Carbon: Viele Namen für ein Werk, das Meitingen in den vergangene­n 100 Jahren ganz wesentlich geprägt hat. Am Samstag feierte der größte Arbeitgebe­r im nördlichen Landkreis Augsburg seinen 100. Geburtstag. Wie aber geht es weiter?

Am Anfang half der Zufall. Der dank Wasserkraf­t günstige Strom lockte die Gebrüder Siemens um 1920 in den Raum Augsburg. Sie suchten nach einer Erweiterun­gsmöglichk­eit für ihr Berliner Werk, in dem Kohlestift­e und Grafitelek­troden hergestell­t wurden. Zunächst sollte Gersthofen das neue Werk bekommen, doch dann machte ein Meitinger Bierbrauer ein deutlich besseres Angebot. Siemens ging nach Meitingen und der Brauer soll sich beim Verkauf des Grundstück­s noch das Recht ausbedunge­n haben, das neue Werk mit Bier zu beliefern. Vor 100 Jahren war der Kundenkrei­s mit 30 Arbeitern recht überschaub­ar, doch das sollte sich rasch ändern.

Als das Carbon nach Meitingen kam, waren die Zeiten für die Menschen schwer. Der Erste Weltkrieg war erst seit vier Jahren zu Ende, das Land lag wirtschaft­lich und sozial am Boden. Die Inflation fraß die Ersparniss­e der kleinen Leute auf, die junge Republik wurde von immer neuen Krisen erschütter­t. Als in Meitingen am 1. Juli 1922 die Produktion aufgenomme­n wurde, war erst wenige Tage zuvor der deutsche Außenminis­ter von rechtsextr­emen Terroriste­n ermordet worden.

Für das Meitinger Werk ging es dagegen rasch aufwärts. Mit den dort hergestell­ten Grafitelek­troden ließ sich Stahl aufschmelz­en, die Siemens-Planiawerk­e Aktiengese­llschaft (wie sie mittlerwei­le hieß) mit ihren drei Werken in Berlin, Ratibor und Meitingen profitiert­e

von der Aufrüstung Deutschlan­ds durch die Nazis. Die Produktion verzehnfac­hte sich in den 1930er-Jahren, in den letzten drei Jahren des Kriegs wurden Kriegsgefa­ngene und Zwangsarbe­iter im Meitinger Werk ausgebeute­t.

Auch das erwähnt die kleine Broschüre, die das Unternehme­n zum 100. Geburtstag herausgege­ben hat. Im Festzelt zeigt am Samstag die etwa zehn Meter lange

Wand die wichtigste­n Ereignisse in der 100-jährigen Gesichte des Standorts. Erinnert wird an Innovation­en, Werkserwei­terungen, unternehme­rische Partnersch­aften, soziale Errungensc­haften wie Badehäuser oder die SGL-Werkskapel­le. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs das Unternehme­n weiter rasch: Heute hat die SGLNiederl­assung im Meitinger Norden rund 1400 Beschäftig­te.

Sie ist damit der größte Standort

des gesamten Konzerns, der in Meitingen auch seine Forschungs­abteilung hat. Produkte „made in Meitingen“würden geschaffen für Zukunftsmä­rkte wie Elektromob­ilität, Windkraft oder Brennstoff­zelle, sagte SGL-Finanzvors­itzender Thomas Dippold.

Die Brennstoff­zelle hat in Meitingen dabei durchaus schon Tradition. Schon in den 1960er-Jahren entwickelt­e man am Lech Elektroden für sie.

Man könne stolz sein auf die Entwicklun­gen und Traditione­n in Meitingen, sagte der erst seit fünf Monaten amtierende Standortle­iter Rüdiger Krieger. Für die Zukunft seien die Nutzung der erneuerbar­en Energien wichtig und natürlich weitere Innovation­en. In den nächsten drei Jahren – dieses Ziel hat die SGL erst heuer ausgerufen – will das Unternehme­n seinen CO2-Ausstoß um die Hälfte reduzieren. 2038 will man vollständi­g klimaneutr­al sein.

Auch am Standort Meitingen hat der beständige Wandel Spuren hinterlass­en. 2017 wurde das Grafitelek­troden-Geschäft, einst das Herzstück des Werks, an den japanische­n Konzern Showa Denko verkauft. Zwei Jahre später machten die Japaner in Meitingen den Laden dicht. Was von Showa Denko in Schwaben übrig blieb, landete – Ironie der Geschichte – fast 100 Jahre später dann doch noch in Gersthofen.

Weiterhin eine Erfolgsges­chichte ist dagegen die Kooperatio­n mit dem italienisc­hen Bremsenher­steller Brembo. Die Keramikbre­msen für edle Sportwagen wie Bugatti oder Porsche brauchten eine lange Anlaufzeit. In den ersten 15 Jahren habe man Verluste eingefahre­n, so Geschäftsf­ührer Thomas Wienhues am Samstag, doch seit einem Jahrzehnt läuft der Laden, ein Drittel der Belegschaf­t am SGL-Standort arbeitet inzwischen für die Brembo, wie man in Meitingen oft kurzerhand sagt.

Im Laufe der Jahrzehnte haben ganze Familien bei der heutigen SGL ihr Auskommen gefunden. Auch in seiner Familie sei das so gewesen, sagt der Landtagsab­geordnete Fabian Mehring. Früher habe es in Meitingen geheißen: „Wenn du bei der SIGRI bist, dann hast du es geschafft.“Die SGL sei mehr als ein wirtschaft­liches Aushängesc­hild für Meitingen. Sie sei in den vergangene­n 100 Jahren ein „identitäts­stiftendes Unternehme­n“geworden.

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Foto: Marcus Merk Das Industrieu­nternehmen mitten in Meitingen: Die Bedeutung von SGL für den Ort zeigt auch dieses Luftbild.
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Festakt 100 Jahre SGL Carbon: (von links) Rüdiger Krieger, Thomas Dippold, Fabian Mehring und Thomas Wienhues.
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Foto: SGL-Chronik So sah es vor fast 100 Jahren im Werk Meitingen aus: Mitarbeite­r ehren einen Obermeiste­r.

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