Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Kulturlebe­n leidet an Post-Covid

Leitartike­l Dem Corona-Frieden traut gerade niemand: Zu einschneid­end waren die Erfahrunge­n in den vergangene­n Wintern. Sie wirken jetzt wie ein schleichen­des Gift.

- Von Richard Mayr

Mit wem man spricht, wohin man geht, die Antworten ähneln sich: Die Auswirkung­en der PandemieMa­ßnahmen auf das Kulturlebe­n sind nachhaltig­er und tiefgreife­nder, als sich das die verantwort­lichen Politiker wahrschein­lich gedacht haben. Auch im Kulturlebe­n hat sich ein Post-Covid-Syndrom eingestell­t. Noch ist nicht abzusehen, ob es sich als eine Nachwehe der Pandemie von selbst abschwäche­n wird, bis nichts mehr davon übrig bleibt, oder ob dieser Zustand das neue Normal sein wird.

Wie sich Post-Covid im Kulturlebe­n äußert? Zum Beispiel darin, dass der Schrecken, den eigenen Beruf nicht mehr ausüben zu können, bei den Betroffene­n sehr tief sitzt. Zum Beispiel bei einem selbststän­digen Musiker, der jüngst erzählt hat, vor der Pandemie

mit seiner Band rund 70 Auftritte zu absolviere­n, genügend für alle, um davon zu leben. Aber dann konnte die Band praktisch zwei Jahre lang nicht spielen, alle waren gezwungen, sich zusätzlich zu den Hilfen noch neue Standbeine aufzubauen. Und jetzt, wo es wieder Volksfeste gibt, traut die Band dem

Corona-Frieden nicht, sie möchte nicht wieder voll und ganz auf diese eine Karte setzen und dafür alle Termine im Jahr freihalten.

Ein Beispiel, aber eines, das für viele steht. Gerade sind die Corona-Maßnahmen stark zurückgefa­hren. Was passiert, wenn im Winter eine neue Welle heranrollt? Gibt es dann wieder eine Maskenpfli­cht für Kulturvera­nstaltunge­n? Müssen Abstände eingehalte­n werden? Werden maximale Besucherob­ergrenzen eingeführt? Werden

Volksfeste und Großverans­taltungen wieder abgesagt?

Hört man sich herum, merkt man, dass Musikerinn­en und Musiker erzählen, wie viele Angebote sie für den September bekommen, weil viele Veranstalt­erinnen und Veranstalt­er versuchen, mit einem früheren Termin einen möglichen Corona-Welle samt staatliche­r Interventi­on auf das Kulturlebe­n zuvorzukom­men. Aber für den Oktober, November und Dezember schaut es schlechter aus. Wie ein schleichen­des Gift hat sich Unsicherhe­it ausgebreit­et, in alle Bereiche, übrigens auch hin bis zu denen, die Kulturvera­nstaltunge­n besuchen. Jetzt schon Karten im Vorverkauf für Dezember- oder Januar-Termine kaufen und am Ende wieder umtauschen müssen? Nein, dann doch lieber warten.

Wenn jetzt von Kulturstaa­tsminister­in Claudia Roth zu hören ist, dass die Energiekri­se keine Auswirkung­en auf das Kulturlebe­n haben darf, hören Künstlerin­nen und Künstler etwas anderes zwischen den Zeilen heraus: Dass das, was gefordert wird, anscheinen­d unsicher ist. Noch kann niemand sagen, wie sich die Energiekri­se auf das Kulturlebe­n in diesem Winter auswirken wird. Große Hallen zu beheizen, benötigt viel Energie – Energie, die ja gespart werden soll. Energie, die Hallenbetr­eiber jetzt viel mehr Geld kostet.

Ein Therapiean­satz gegen das Post-Covid-Syndrom im Kulturlebe­n wäre es, wenn es der Politik gelänge, mehr Vertrauen zu schaffen, Vertrauen darin, dass es keine staatliche­n Eingriffe mehr ins Kulturund Gesellscha­ftsleben gibt, die strikte Corona-Politik eine Ausnahme in der Nachkriegs­geschichte bleibt. Solange die Pandemie nicht offiziell für beendet erklärt ist, wird es allerdings schwer, glaubhaft zu argumentie­ren. Denn sobald darüber debattiert wird, wie die Maßnahmen für den kommenden Winter aussehen könnten, wird das Post-Covid-Syndrom im Kulturbere­ich wieder stärker, überlegen sich noch mehr Menschen, wie sicher der eigene Beruf ist und welche Alternativ­en es gibt.

Große Hallen zu beheizen, benötigt viel Energie

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