Augsburger Allgemeine (Land West)

Leben im trockenste­n Ort Bayerns

Ganz im Norden des Freistaats liegt, zu Füßen der Haßberge, Bad Königshofe­n. Ein ländliches Idyll, auf den ersten Blick. Doch Dürre und eine akut gefährdete Trinkwasse­rversorgun­g setzen vielen Menschen schwer zu – während andere fröhlich in der Therme pla

- Von Angelika Kleinhenz

Bad Königshofe­n Die Stadt mit ihren 6000 Einwohneri­nnen und Einwohnern ist eine wie viele in Unterfrank­en. Eine mit Neubaugebi­eten für junge Familien. Mit frisch verlegtem Rollrasen vorm Einfamilie­nhaus. Trampolin, Grill, Planschbec­ken. Es gibt auch luxuriöse Anwesen mit Pool hinter der Hecke – zum Schutz vor neugierige­n Blicken. Bad Königshofe­n im Landkreis Rhön-Grabfeld liegt zu Füßen der Haßberge, ganz im Norden Bayerns, umgeben von den Naturparks Rhön und Thüringer Wald. 1974 wurde die Stadt zum Bad erhoben, zur Kurstadt an der Fränkische­n Saale. Die „FrankenThe­rme“(„Wasser erleben“) ist eine hundertpro­zentige Tochterges­ellschaft. Und der Badebetrie­b vor allem bei Touristen aus dem benachbart­en Thüringen beliebt.

Von dort kommen in jüngster Zeit nicht nur Wochenend-Ausflügler, sondern auch Lastwagen mit Wassertank­s: Privatleut­e haben sie angeforder­t, um ihre Pools aufzufülle­n. Denn mit Leitungswa­sser aus ihrer Stadt dürfen sie das nicht mehr. Bad Königshofe­n machte kürzlich Schlagzeil­en – als erste Stadt in Unterfrank­en, in der die Trinkwasse­rversorgun­g akut gefährdet ist. Weil es hier so wenig regnet, dass sich die Grundwasse­rvorräte über den Winter nicht mehr füllten. Schon zuvor wurde über die Stadt berichtet: 2019, 2020 und 2021 war sie laut Deutschem Wetterdien­st die trockenste Stadt in Bayern. Die mit den geringsten Niederschl­ägen.

„Momentan ist Leitungswa­sser nur zum Trinken, Kochen, Duschen da. Dann kommt erst mal lange nichts“, sagt Bürgermeis­ter Thomas Helbling. Das Auto waschen, den Rasen gießen, die Sport- und Spielplätz­e bewässern, die Terrasse abstrahlen oder die Gartenzist­erne füllen – das alles ist seit Anfang August per Anordnung untersagt. Und wenn jemand den Rasenspren­ger trotzdem laufen lässt? „Unsere Wassermeis­ter fahren mit offenen Augen durch die Wohngebiet­e“, sagt Christian Kick, Verwaltung­sleiter beim „Zweckverba­nd zur Wasservers­orgung Bad Königshofe­n i. Grabfeld – Gruppe Mitte“. Nachbarn zeigen sich gegenseiti­g an, berichtet Bürgermeis­ter Helbling beunruhigt. Er hat mit derartigen Anordnunge­n bereits Erfahrung. Seit der ersten vor fünf Jahren hagelte es Anrufe bei ihm. Oft erboste. „Manchmal auch traurige, von Kindern, die ihr Mini-Planschbec­ken nicht füllen dürfen. Doch wo macht man da den Unterschie­d?“, fragt der CSU-Politiker.

Bayern- und bundesweit wurde in diesem Hitzesomme­r vor Wasserknap­pheit gewarnt und zum Wasserspar­en gemahnt. Auch im schwäbisch­en Donauwörth, NeuUlm oder Günzburg. Die Neue Prager Hütte im Nationalpa­rk Hohe Tauern beendete zum 8. August die Saison: „Aufgrund der anhaltende­n Trockenhei­t und des Schneemang­els im Winter gibt es dort derzeit kein Trinkwasse­r mehr.“Man las: „Mühlen an der Friedberge­r Ach stehen wieder still.“Die Hoffnung auf Regen als Rettung für den Fluss nach extremem Niedrigwas­ser und Fischsterb­en wurde enttäuscht.

Man las von Rettungsak­tionen. In Bad Königshofe­n versuchen die Wassermeis­ter, das Wasser zu „strecken“, weil die Brunnen zu versiegen drohen: Weniger pumpen sei die Devise, dafür über einen längeren Zeitraum. Einer der neun Brunnen des Zweckverba­nds, der früher acht Liter pro Sekunde hergab, liefert gerade noch 0,5 Liter pro Sekunde. Bei den anderen sieht es nicht viel besser aus. Zu wenig für die insgesamt 9400 Menschen im Versorgung­sgebiet. „Das Schlimmste, was jetzt noch passieren kann? Ein großer Waldbrand“, sagt Wassermeis­ter Michael Müller. „Dann sind wir verratzt.“Ob man dann wirklich in einer schier aussichtsl­osen Lage stecken würde? Zumindest in einer schwierige­n. Schließlic­h ist überdies

die Fränkische Saale an vielen Stellen ausgetrock­net. Wie so viele Flüsse und Flüsschen führt sie Niedrigwas­ser. Im Rhein brachte dies „Hungerstei­ne“zum Vorschein. Auf ihnen sind Jahreszahl­en eingemeiße­lt: 1857, 1947, 1959, 1963 oder 2003. Es waren Jahre der Dürre und der Not. Wenn sie auftauchen, ist das ein für alle sichtbares Zeichen, und zwar kein gutes.

In Bad Königshofe­n reicht der Blick gen Himmel, um zu erahnen, wie problemati­sch die Situation ist. Seit Monaten fallen höchstens Tropfen auf den heißen Stein. Der Blick auf die Statistik belegt es: Vom 1. bis 24. August 2022 waren es 9,3 Liter pro Quadratmet­er. Zum Vergleich: Im Mittel der Jahre 1991 bis 2020 betrug die Niederschl­agssumme dem Deutschen Wetterdien­st zufolge im ganzen August 52,8 Liter pro Quadratmet­er.

Nicht einmal Regenwolke­n über Bad Königshofe­n bedeuten, dass es tatsächlic­h regnen wird. Meist trifft das kostbare Nass andernorts auf den Boden: westlich der Stadt zum Beispiel. Oder weiter nördlich im Thüringer Wald. Beim Deutschen Wetterdien­st, einer Bundesober­behörde, erklärt man das so: Bei Westwetter­lagen fällt

vor allem auf der windabgewa­ndten Seite der Rhön kaum Regen. Zum Thüringer Wald hin aber nehmen die Niederschl­äge wieder zu.

In Bad Königshofe­n – 275 Meter über dem Meeresspie­gel, Fläche: 69,51 Quadratkil­ometer – bleibt es trocken. Staubtrock­en. Wie auf dem Acker von Thomas Eschenbach im Ortsteil Ipthausen. Mit kräftigen Händen biegt der Bauer die Blätter einer zarten Maispflanz­e auseinande­r. In ihrem Inneren ist: nichts. Der Kolben fehlt. Eschenbach geht zur nächsten. „Auch keiner.“Etwa acht von zehn Maispflanz­en auf seinem Acker haben keinen Kolben. Körnermais wird er in diesem Jahr nicht ernten können. Sein Mais sei gerade noch gut genug, um die Pflanzenre­ste zu häckseln, sagt er. In der Biogasanla­ge nebenan, an der er mit 34 anderen Landwirten beteiligt ist. Statt der üblichen 42 Tonnen Mais pro Hektar werden sie wohl bloß 15 bis 20 Tonnen silieren, schätzt er. Und erzählt: Beim Wintergetr­eide habe er zehn Prozent an Ertrag verloren. Bei der Sommergers­te seien es 60 Prozent gewesen. Der Mais: „ein Totalausfa­ll“. „So einen schlechten Mais hatten wir in 40 Jahren noch nie.“

Eschenbach ist grundsätzl­ich ein optimistis­cher Typ. Vor fünf Jahren hat er seinen Betrieb auf „Bio“umgestellt. Ackerbau. Zehnerlei Feldfrücht­e. Flache Bodenbearb­eitung. „Um möglichst viel Wasser im Boden zu halten.“Derzeit experiment­iert er mit wärmeliebe­nden Sojabohnen. So nennt man das wirklich: wärmeliebe­nd.

In Brasilien funktionie­rt es. Auf seinem Acker in Bad Königshofe­n bisher nicht. „Auch Sojabohnen brauchen Wasser“, sagt Eschenbach lapidar und schaut auf den Acker, der irgendwann seinem Sohn Sebastian gehören soll. „Sein Junior“habe erst Abitur gemacht, er wolle auch in die Landwirtsc­haft. Thomas Eschenbach seufzt: „Man hat keine Chance. Wir schauen zu, wie die Ernte vertrockne­t. Wir können nicht bewässern, weil wir kein Wasser haben.“In diesem Moment klingt er so gar nicht mehr optimistis­ch. Keine 600 Meter Luftlinie entfernt planschen derweil Menschen fröhlich im Wasser.

Die FrankenThe­rme biete als Badebetrie­b „logischerw­eise“ihren Gästen viel Wasser an, sagt ihr Geschäftsf­ührer, Kurdirekto­r Werner Angermülle­r. Trotzdem tue man alles, um das Netz der öffentlich­en Trinkwasse­rversorgun­g zu schonen. Der 720 Quadratmet­er große Natur-Heilwasser­see zum Beispiel werde mit „reinem Mineralhei­lwasser“gespeist. Die Therme hat dafür kürzlich zwei eigene Mineralhei­lquellen saniert. Das Mineralhei­lwasser wird auch in den anderen Becken mit dem Süßwasser aus der Leitung gemischt.

„Mit Ausnahme des Kinderbeck­ens und der Rutsche“, erklärt Schwimmmei­ster Thomas Henning. Damit nicht genug: Um Wasser zu sparen, seien die Duschen auf 15 Sekunden eingestell­t. Danach müsse der Badegast nochmals auf den Knopf drücken. Die Filter in den Becken würden nicht mit Frischwass­er, sondern mit Wasser aus dem Whirlpool gespült. Die Liste ließe sich fortsetzen. Doch bei all den Fragen der Nachhaltig­keit müsse der Badebetrie­b eben auch gesetzlich geforderte Hygienesta­ndards einhalten, sagt Geschäftsf­ührer Angermülle­r. Heißt: Pro Badegast müssen 30 Liter Beckenwass­er gegen Frischwass­er ausgetausc­ht werden.

Ihm zufolge lag der Verbrauch an Leitungswa­sser in den Jahren 2020 und 2021 bei etwa 12.000 Kubikmeter­n. Das sind 30 bis 35 Kubikmeter, also 30.000 bis 35.000 Liter Wasser pro Tag. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 2021 verbraucht­e eine Person in Deutschlan­d rund 46.355 Liter Wasser – inklusive Essen, Trinken, Duschen, Toilettenb­enutzung, Wäschewasc­hen, Geschirrsp­ülen und Gartenbewä­sserung. Und dann gibt es noch die privaten Pools, die in Bad Königshofe­n ebenfalls beliebt sind.

Hilmar Mauer schüttelt den Kopf, wenn er an sie denkt. Im Auftrag des Deutschen Wetterdien­stes betreut er ehrenamtli­ch die Wetterstat­ion im Ortsteil Merkershau­sen. Sie steht in seinem Garten. Eigentlich müsste er den Rasen mähen, so die Vorgabe, damit Temperatur und Feuchtigke­it in fünf Zentimeter­n über dem Boden genauso korrekt gemessen werden wie in zwei Metern Höhe. Einen Rasen aber, wie man ihn sich als gepflegtes Grün vorstellt, gibt es in Mauers Garten nicht. Stattdesse­n verbrannte Halme und tiefe Spalten in der ausgedorrt­en Erde. Mauer sagt: „Ich hab schon schlaflose Nächte, weil der Klimawande­l immer schlimmer wird.“Er denke, sagt der ehemalige Schlosserm­eister, oft an seine Urenkelin. Die 14-Jährige werde mit den Folgen des Klimawande­ls leben müssen.

Mauer notiert seit 35 Jahren Wetterdate­n. Überprüft, vergleicht, dokumentie­rt. Obwohl seit 2005 die digitale Messstatio­n fast alles automatisc­h misst. Ordner um Ordner füllen die Regale in seinem Arbeitszim­mer. Es existieren sogar handschrif­tliche Aufzeichnu­ngen seiner Vorgänger: Die Wetterbeob­achter von Bad Königshofe­n wohnten alle in der Nachbarsch­aft. Er weiß also, wie das Wetter hier ist und wie es war – von 1903 bis heute.

Als im Februar jemand zu ihm sagte „Jetzt hat’s genug geregnet“, machte ihn das wütend. „Das stimmt nicht! Es wird immer wärmer und trockener!“Im Jahr 2020 setzte er sich mal hin, schaute auf seine Daten und rechnete. Am Ende kam heraus: Allein in den vergangene­n 30 Jahren war es in seinem Garten in sieben Jahren kälter, in 21 Jahren allerdings wärmer als im langjährig­en Mittel. Elf Jahre waren feuchter, 19 trockener.

Zurück zu Bürgermeis­ter Helbling und mit ihm ins Wasserwerk von Großeibsta­dt, einer Nachbargem­einde Bad Königshofe­ns. „Wir brauchen dringend eine Lösung“, sagt er. Der Wasserprei­s in seiner Stadt liege bereits bei 2,55 Euro. Trotzdem übersteige die Nachfrage das immer knapper werdende Angebot. Deshalb hat sich der östliche Teil des Landkreise­s RhönGrabfe­ld zur „Arbeitsgem­einschaft Wasservers­orgung im Grabfeld“zusammenge­schlossen. Eine andere Lösung zur Sicherung der Trinkwasse­rversorgun­g wäre eine 35 Kilometer lange Anschlussl­eitung an die „Fernwasser­versorgung Oberfranke­n“. Geschätzte Kosten: 35 Millionen Euro. Wer das bezahlen soll? Bürgermeis­ter Helbling will nach München fahren, 300 Kilometer, einmal durch Bayern. Er hofft darauf, Umweltmini­ster Thorsten Glauber von den Freien Wählern überzeugen zu können: „Der Freistaat muss uns bei der Versorgung mit lebenswich­tigem Trinkwasse­r helfen.“(mit wida)

Der Klimawande­l bereitet dem Wetterbeob­achter schlaflose Nächte

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Der Mais sei ein „Totalausfa­ll“, sagen Landwirt Thomas Eschenbach und sein Sohn Sebastian.
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Fotos: Silvia Gralla Staubtrock­en sind Äcker und auch Gärten in Bad Königshofe­n und Umgebung.
 ?? ?? Hilmar Mauer ist seit 35 Jahren Wetterbeob­achter für den Deutschen Wetterdien­st.
Hilmar Mauer ist seit 35 Jahren Wetterbeob­achter für den Deutschen Wetterdien­st.

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