Augsburger Allgemeine (Land West)

Unter der Oberfläche schlummern die Ressentime­nts

Wenn Israels Präsident Herzog am Sonntag nach Deutschlan­d kommt, wird er von Spitzenpol­itikern viele Solidaritä­tsbekundun­gen erhalten. In der Bevölkerun­g sieht es anders aus.

- Von Christian Grimm

Berlin Es sind Zahlen, die aufhorchen lassen. Die Hälfte der Deutschen meint, es sei Zeit, einen Schlussstr­ich unter die Nazi-Vergangenh­eit zu ziehen. Ein Drittel hat eine schlechte Meinung über den Staat Israel. Ein Viertel glaubt, Juden hätten zu viel Einfluss auf der Welt.

Diese Daten stammen aus einer neuen Studie der Bertelsman­n Stiftung, für die rund 1300 Erwachsene zu ihren Ansichten über Israel befragt wurden. Die Ergebnisse stehen im scharfen Kontrast zur offizielle­n Haltung der Bundesregi­erung, wonach die Verteidigu­ng des Existenzre­chts Israels Teil der deutschen Staatsräso­n ist.

Wenn am Sonntag der israelisch­e Präsident Jitzchak Herzog auf Staatsbesu­ch nach Deutschlan­d kommt, wird ihm von deutschen Spitzenpol­itikern wieder die volle Unterstütz­ung versichert werden. Doch bei einem guten Teil der Bevölkerun­g scheint das Eintreten für Israel keinen Rückhalt zu haben, ganz im Gegenteil: „Die aktuellen Zahlen der Bertelsman­n Stiftung sind ernüchtern­d, aber leider nicht überrasche­nd. Das Bewusstsei­n für die historisch­e Verantwort­ung Deutschlan­ds gegenüber den Juden und Israel schwindet“, stellte der Präsident des Zentralrat­s der Juden, Josef Schuster, desillusio­niert fest. „Hier sind alle gefragt, dagegenzuh­alten“, appelliert­e er.

Seit Jahren werden hierzuland­e Israel-Feindschaf­t und Antisemiti­smus stärker. Beide Haltungen finden sich sowohl bei Rechtsradi­kalen, bei kapitalism­uskritisch­en Linken als auch in der muslimisch­en Community. Doch sie bleiben nicht auf randständi­ge Minderheit­en begrenzt, sondern strahlen weit in die Mitte der Gesellscha­ft hinein. Das Selbstbild, Deutschlan­d habe vorbildlic­h die dunkle Vergangenh­eit des Nationalso­zialismus aufgearbei­tet, hat hässliche Kratzer bekommen.

Zuletzt leistete sich Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) einen schweren Fauxpas, als Palästinen­serpräside­nt Mahmoud Abbas in Berlin den Holocaust relativier­te.

Scholz stand daneben und schwieg. Und auf der weltberühm­ten Kasseler Kunstausst­ellung Documenta zeigten Künstler Bilder mit antisemiti­schen Klischees. Die Aufarbeitu­ng des Kunst-Skandals holpert vor sich hin.

Die stellvertr­etende CSU-Vorsitzend­e Dorothee Bär wirft der Bundesregi­erung vor, dass es ihr an politische­m Willen dafür mangele. „Dieser Wille ist nach wie vor nur halbherzig erkennbar, wie die andauernde­n Querelen in Kassel zeigen“, sagte Bär unserer Redaktion. Die Ampel-Regierung müsse noch vor dem Ende der Documenta am 25. September die richtigen Konsequenz­en ziehen. Die 44-Jährige will sich nun dafür einsetzen, dass die Rückforder­ung des Bundeszusc­husses an die Kunstschau geprüft wird. Die zukünftige Förderung der Documenta müsse „an die Bedingung konkreter Maßnahmen geknüpft“werden.

Die Bertelsman­n-Studie mit ihren nachdenkli­ch stimmenden Ergebnisse­n hat einen zweiten Teil, der überrascht. Die Forscher befragten auch 1300 Israelis über ihr Deutschlan­dbild. Es ist deutlich heller als das der Deutschen über den jüdischen Staat. Demnach haben 63 Prozent der Menschen in Israel eine gute Meinung zu Deutschlan­d, nur 19 Prozent sehen die Bundesrepu­blik negativ.

Als Wirtschaft­sminister und Vizekanzle­r Robert Habeck (Grüne) Jerusalem im Juni besuchte, wurde er von einer ganzen Riege von Ministern empfangen, obwohl die israelisch­e Regierung seinerzeit in der Knesset um ihr Überleben kämpfte. Deutschlan­d ist als Partner trotz des Menschheit­sverbreche­ns Holocaust hochgeschä­tzt.

Präsident Herzog wird am Montag an der Gedenkfeie­r zum 50. Jahrestag des Attentats bei den Olympische­n Spielen 1972 in München auf israelisch­e Sportler und Trainer teilnehmen. In den vergangene­n Tagen verständig­ten sich beide Länder auf eine Entschädig­ung für die Hinterblie­benen der Opfer. Die Angehörige­n sollen ein halbes Jahrhunder­t nach der Geiselnahm­e durch palästinen­sische Terroriste­n dem Vernehmen nach rund 28 Millionen Euro erhalten. Die versuchte Befreiung der Geiseln hatte in einem Fiasko geendet. Die Familien der Sportler hatten damit gedroht, der Gedenkfeie­r fernzublei­ben, was einen Tiefpunkt in den gegenseiti­gen Beziehunge­n markiert hätte.

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Antisemiti­smus bei der Documenta. Foto: dpa

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