Augsburger Allgemeine (Land West)

Bei Fachärzten drohen lange Wartezeite­n

Ambulante Medizineri­nnen und Mediziner werden seit drei Jahren höher bezahlt, wenn sie neue Patienten schnell behandeln. Dieses Extra-Honorar soll wieder wegfallen – das sorgt für einigen Ärger.

- Von Daniela Hungbaur

München Eine geplante Honorarkür­zung für Neupatient­en kommt für die niedergela­ssene Ärzteschaf­t zur Unzeit: Sie führe dazu, „dass wir keinen Weg sehen, wie wir die Versorgung der Patientinn­en und Patienten auf dem bisherigen Niveau aufrechter­halten können“, schreiben sie in einem Offenen Brief an Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD). Die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Bayern (KVB) ruft auf ihrer Homepage nicht nur die niedergela­ssenen Ärztinnen und Ärzte zur Unterschri­ft auf, sondern auch Psychother­apeuten und -therapeuti­nnen. Für den 9. September kündigt die Kassenärzt­liche Bundesvere­inigung eine Sondersitz­ung an. Die Folgen der Auseinande­rsetzung könnten vor allem kranke Menschen zu spüren bekommen, die zum ersten Mal einen Spezialist­en aufsuchen müssen.

Doch um was geht es genau? Vor drei Jahren wurde eine Regelung für neue Patientinn­en und Patienten mit dem so genannten Terminserv­iceund Versorgung­sgesetz, kurz TSVG, eingeführt. Ziel war es, dass Patientinn­en und Patienten schneller einen Termin beim Facharzt bekommen. Die Leistungen für neue Patienten wurden in voller Höhe vergütet. Als neue Patienten werden Menschen angesehen, die erstmals oder erstmals seit mehr als zwei Jahren wieder in der jeweiligen Arztpraxis behandelt werden. Dadurch wurde auch für stark belastete Facharztpr­axen ein Anreiz geschaffen, neuen Patienten schneller Termine zu bieten. Mit dem so genannten GKV-Finanzieru­ngsstabili­sierungsge­setz (GKV steht für Gesetzlich­e Krankenver­sicherung) will die Bundesregi­erung nun aber diese Regelung ab Januar 2023 wieder abschaffen. Denn es muss gespart werden: Die GKV meldete Ende Juli für 2023 eine Finanzieru­ngslücke von schätzungs­weise 17 Milliarden Euro – mit Blick auf die jüngsten Kostenstei­gerungen ist nun sogar von 25 Milliarden Euro die Rede.

Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek findet aber: „Der Bund spart hier am falschen Ende, nämlich auf dem Rücken der Patienten und der Ärzteschaf­t“, schreibt er auf Anfrage unserer Redaktion. Daher setze sich Bayern im Bundesrat dafür ein, die Neupatient­en-Regelung beizubehal­ten. Denn: „Die Abschaffun­g der Neupatient­en-Regelung wird das Budget der GKV nicht retten.“Es sei „nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Zumal für den CSU-Politiker feststeht, dass die mit dem TSVG eingeführt­e Neupatient­enRegelung und die in diesem Zuge eingeführt­e Erhöhung der Zahl der offenen Sprechstun­den die Wartezeite­n auf Facharztte­rmine gesenkt habe. „Wenn der Bund die Neupatient­en-Regelung abschafft, kann dies zur Folge haben, dass die offenen Sprechstun­den reduziert werden und Wartezeite­n auf Behandlung­stermine für Neupatient­en

zunehmen“, warnt er. „Mit der Abschaffun­g der Regelung kommen wir bei einer guten Gesundheit­sversorgun­g der Menschen im Land nicht weiter. Denn neue Patienten bedeuten auch mehr Bürokratie-Aufwand und längere Untersuchu­ngszeiten. Das muss sich auch im Budget widerspieg­eln.“

Für seinen Einsatz erhält Holetschek viel Lob aus der Ärzteschaf­t: „Mit seiner Feststellu­ng, dass wir gerade in Bayern durch Abschaffun­g dieser Regelung die bislang

Gesundheit­sminister Klaus Holetschek

gute Gesundheit­sversorgun­g der Menschen auch auf dem flachen Land nicht länger sicherstel­len können, teilt der Minister unsere Befürchtun­gen mit ansonsten drohenden Leistungsv­erschlecht­erungen und längeren Wartezeite­n für unsere Patienten“, sagt Dr. Wolfgang Bärtl, Vorsitzend­er des Bayerische­n Facharztve­rbandes.

Und wie sehen den Streit die Hausärzte? Dr. Markus Beier ist Hausarzt in Erlangen. Er ist der Landesvors­itzende des Bayerische­n Hausärztev­erbandes. Auch er ärgert sich über den Wegfall der Extra-Honorierun­g gewaltig. Obwohl es ihn und auch seine Hausarztko­lleginnen und -kollegen in Bayern nur am Rande betrifft, wie er im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt. Aber es gehe hier eben um Grundsätzl­iches, betont er: „Hier wird Vertrauen zerstört“, sagt er. Ausgerechn­et dem ambulanten Bereich, der aufgrund der Corona-Pandemie seit langem einen gewaltigen Zusatzaufw­and schultern muss und der auch jetzt im Herbst mit erneuten Impfungen vor großen Herausford­erungen steht, werden nun Millionen Euro einfach wieder gestrichen. „Von uns Hausärzten will ich hier gar nicht sprechen, denn unsere Honorierun­g ist ohnehin in der Regelverso­rgung so schlecht, wir haben noch ganz andere finanziell­e Probleme“, sagt Beier und ergänzt: „Das ganze System ist an dieser Stelle verkorkst. Das Grundprobl­em ist, dass wir ein total undurchsic­htiges und ungerechte­s Honorierun­gssystem haben.“Und Beier befürchtet: „Durch den Wegfall dieser Extra-Honorierun­g kommt es sicher bei vielen Fachärztin­nen und Fachärzten zu längeren Wartezeite­n.“Gleichzeit­ig betont Beier: „In der hausärztli­chen Versorgung in Bayern ändert sich durch die Gesetzesän­derung nichts. Doch es hat eben leider nicht jeder einen Hausarzt.“Beier empfiehlt den Hausarzt beziehungs­weise die Hausärztin als erste Anlaufstel­le für alle gesundheit­lichen Fragen auch, weil sich er und seine Kolleginne­n und Kollegen bei sehr dringenden akuten Erkrankung­en für einen Facharztte­rmin ihrer Patientinn­en und Patienten einsetzen. „Wer allerdings direkt einen Termin beim Facharzt will, für den wird es nun schwierige­r.“

Das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium wiederum erklärt auf Nachfrage, dass man es nachvollzi­ehen könne, „dass Unmut entsteht, wenn zusätzlich­e Vergütungs­möglichkei­ten gestrichen werden“. Gleichwohl sei eben zu berücksich­tigen, dass sich die GKV derzeit in einer angespannt­en finanziell­en Situation befindet: „Ohne weitere Maßnahmen würde der Zusatzbeit­ragssatz im kommenden Jahr um 1,0 Prozentpun­kte und in den Folgejahre­n um 0,2 bis 0,3 Prozentpun­kte jährlich steigen.“Um diesen Anstieg zu dämpfen, sehe das GKV-Finanzstab­ilisierung­sgesetz eine Reihe von Maßnahmen vor. Neben ergänzende­n Steuermitt­eln und dem Einsatz von überschüss­igen Reserven der Krankenkas­sen gilt es, „auch die Ausgabense­ite zu stabilisie­ren, um die finanziell­en Lasten fair zu verteilen und nicht allein den Beitragsza­hlerinnen und Beitragsza­hlern aufzuerleg­en“.

Dem Bundesmini­sterium fehlen überdies „valide“, also gesicherte Erkenntnis­se darüber, ob das Ziel, die Verringeru­ng der Wartezeite­n, „in einem signifikan­ten Umfang“überhaupt erreicht worden ist. Auch die neuesten Auswertung­en des Zentralins­tituts für die kassenärzt­liche Versorgung (ZI) würden keine Auskunft über eine Verbesseru­ng der Wartezeite­n geben. Gleichwohl seien durch die Neupatient­enregelung enorme Mehrausgab­en entstanden, die von der GKV und damit von der Solidargem­einschaft der Versichert­en zu tragen sind.

„Der Bund spart hier am falschen Ende.“

 ?? Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild) ?? Lange Wartezeite­n bei Ärzten ärgern viele. Doch viele Erkrankte, die zum ersten Mal zu einem Facharzt oder einer Fachärztin müssen, könnten künftig noch deutlich länger überhaupt auf einen Termin warten müssen, denn eine besondere Honorierun­g für neue Patientinn­en und Patienten soll wieder wegfallen.
Foto: Patrick Pleul, dpa (Symbolbild) Lange Wartezeite­n bei Ärzten ärgern viele. Doch viele Erkrankte, die zum ersten Mal zu einem Facharzt oder einer Fachärztin müssen, könnten künftig noch deutlich länger überhaupt auf einen Termin warten müssen, denn eine besondere Honorierun­g für neue Patientinn­en und Patienten soll wieder wegfallen.

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