Augsburger Allgemeine (Land West)
Bei Fachärzten drohen lange Wartezeiten
Ambulante Medizinerinnen und Mediziner werden seit drei Jahren höher bezahlt, wenn sie neue Patienten schnell behandeln. Dieses Extra-Honorar soll wieder wegfallen – das sorgt für einigen Ärger.
München Eine geplante Honorarkürzung für Neupatienten kommt für die niedergelassene Ärzteschaft zur Unzeit: Sie führe dazu, „dass wir keinen Weg sehen, wie wir die Versorgung der Patientinnen und Patienten auf dem bisherigen Niveau aufrechterhalten können“, schreiben sie in einem Offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) ruft auf ihrer Homepage nicht nur die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte zur Unterschrift auf, sondern auch Psychotherapeuten und -therapeutinnen. Für den 9. September kündigt die Kassenärztliche Bundesvereinigung eine Sondersitzung an. Die Folgen der Auseinandersetzung könnten vor allem kranke Menschen zu spüren bekommen, die zum ersten Mal einen Spezialisten aufsuchen müssen.
Doch um was geht es genau? Vor drei Jahren wurde eine Regelung für neue Patientinnen und Patienten mit dem so genannten Terminserviceund Versorgungsgesetz, kurz TSVG, eingeführt. Ziel war es, dass Patientinnen und Patienten schneller einen Termin beim Facharzt bekommen. Die Leistungen für neue Patienten wurden in voller Höhe vergütet. Als neue Patienten werden Menschen angesehen, die erstmals oder erstmals seit mehr als zwei Jahren wieder in der jeweiligen Arztpraxis behandelt werden. Dadurch wurde auch für stark belastete Facharztpraxen ein Anreiz geschaffen, neuen Patienten schneller Termine zu bieten. Mit dem so genannten GKV-Finanzierungsstabilisierungsgesetz (GKV steht für Gesetzliche Krankenversicherung) will die Bundesregierung nun aber diese Regelung ab Januar 2023 wieder abschaffen. Denn es muss gespart werden: Die GKV meldete Ende Juli für 2023 eine Finanzierungslücke von schätzungsweise 17 Milliarden Euro – mit Blick auf die jüngsten Kostensteigerungen ist nun sogar von 25 Milliarden Euro die Rede.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek findet aber: „Der Bund spart hier am falschen Ende, nämlich auf dem Rücken der Patienten und der Ärzteschaft“, schreibt er auf Anfrage unserer Redaktion. Daher setze sich Bayern im Bundesrat dafür ein, die Neupatienten-Regelung beizubehalten. Denn: „Die Abschaffung der Neupatienten-Regelung wird das Budget der GKV nicht retten.“Es sei „nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Zumal für den CSU-Politiker feststeht, dass die mit dem TSVG eingeführte NeupatientenRegelung und die in diesem Zuge eingeführte Erhöhung der Zahl der offenen Sprechstunden die Wartezeiten auf Facharzttermine gesenkt habe. „Wenn der Bund die Neupatienten-Regelung abschafft, kann dies zur Folge haben, dass die offenen Sprechstunden reduziert werden und Wartezeiten auf Behandlungstermine für Neupatienten
zunehmen“, warnt er. „Mit der Abschaffung der Regelung kommen wir bei einer guten Gesundheitsversorgung der Menschen im Land nicht weiter. Denn neue Patienten bedeuten auch mehr Bürokratie-Aufwand und längere Untersuchungszeiten. Das muss sich auch im Budget widerspiegeln.“
Für seinen Einsatz erhält Holetschek viel Lob aus der Ärzteschaft: „Mit seiner Feststellung, dass wir gerade in Bayern durch Abschaffung dieser Regelung die bislang
Gesundheitsminister Klaus Holetschek
gute Gesundheitsversorgung der Menschen auch auf dem flachen Land nicht länger sicherstellen können, teilt der Minister unsere Befürchtungen mit ansonsten drohenden Leistungsverschlechterungen und längeren Wartezeiten für unsere Patienten“, sagt Dr. Wolfgang Bärtl, Vorsitzender des Bayerischen Facharztverbandes.
Und wie sehen den Streit die Hausärzte? Dr. Markus Beier ist Hausarzt in Erlangen. Er ist der Landesvorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes. Auch er ärgert sich über den Wegfall der Extra-Honorierung gewaltig. Obwohl es ihn und auch seine Hausarztkolleginnen und -kollegen in Bayern nur am Rande betrifft, wie er im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt. Aber es gehe hier eben um Grundsätzliches, betont er: „Hier wird Vertrauen zerstört“, sagt er. Ausgerechnet dem ambulanten Bereich, der aufgrund der Corona-Pandemie seit langem einen gewaltigen Zusatzaufwand schultern muss und der auch jetzt im Herbst mit erneuten Impfungen vor großen Herausforderungen steht, werden nun Millionen Euro einfach wieder gestrichen. „Von uns Hausärzten will ich hier gar nicht sprechen, denn unsere Honorierung ist ohnehin in der Regelversorgung so schlecht, wir haben noch ganz andere finanzielle Probleme“, sagt Beier und ergänzt: „Das ganze System ist an dieser Stelle verkorkst. Das Grundproblem ist, dass wir ein total undurchsichtiges und ungerechtes Honorierungssystem haben.“Und Beier befürchtet: „Durch den Wegfall dieser Extra-Honorierung kommt es sicher bei vielen Fachärztinnen und Fachärzten zu längeren Wartezeiten.“Gleichzeitig betont Beier: „In der hausärztlichen Versorgung in Bayern ändert sich durch die Gesetzesänderung nichts. Doch es hat eben leider nicht jeder einen Hausarzt.“Beier empfiehlt den Hausarzt beziehungsweise die Hausärztin als erste Anlaufstelle für alle gesundheitlichen Fragen auch, weil sich er und seine Kolleginnen und Kollegen bei sehr dringenden akuten Erkrankungen für einen Facharzttermin ihrer Patientinnen und Patienten einsetzen. „Wer allerdings direkt einen Termin beim Facharzt will, für den wird es nun schwieriger.“
Das Bundesgesundheitsministerium wiederum erklärt auf Nachfrage, dass man es nachvollziehen könne, „dass Unmut entsteht, wenn zusätzliche Vergütungsmöglichkeiten gestrichen werden“. Gleichwohl sei eben zu berücksichtigen, dass sich die GKV derzeit in einer angespannten finanziellen Situation befindet: „Ohne weitere Maßnahmen würde der Zusatzbeitragssatz im kommenden Jahr um 1,0 Prozentpunkte und in den Folgejahren um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte jährlich steigen.“Um diesen Anstieg zu dämpfen, sehe das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz eine Reihe von Maßnahmen vor. Neben ergänzenden Steuermitteln und dem Einsatz von überschüssigen Reserven der Krankenkassen gilt es, „auch die Ausgabenseite zu stabilisieren, um die finanziellen Lasten fair zu verteilen und nicht allein den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern aufzuerlegen“.
Dem Bundesministerium fehlen überdies „valide“, also gesicherte Erkenntnisse darüber, ob das Ziel, die Verringerung der Wartezeiten, „in einem signifikanten Umfang“überhaupt erreicht worden ist. Auch die neuesten Auswertungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) würden keine Auskunft über eine Verbesserung der Wartezeiten geben. Gleichwohl seien durch die Neupatientenregelung enorme Mehrausgaben entstanden, die von der GKV und damit von der Solidargemeinschaft der Versicherten zu tragen sind.
„Der Bund spart hier am falschen Ende.“