Augsburger Allgemeine (Land West)

„Vertuschen, Verschweig­en, Verdrängen“

Beim Umgang mit den Hinterblie­benen des Olympia-Attentats in München wurden viele Fehler gemacht, sagt der bayerische Antisemiti­smusbeauft­ragte Ludwig Spaenle. Er spricht von einer beschämend­en Situation.

- Interview: Quirin Hönig

Herr Spaenle, Sie waren an der Schaffung der Gedenkstät­te für die Opfer des Olympia-Attentats 1972 beteiligt und haben sich für weitere Entschädig­ungszahlun­gen an die Hinterblie­benen eingesetzt. Mit welchem Gefühl gehen Sie am Montag zur Gedenkfeie­r zum 50. Jahrestag?

Ludwig Spaenle: Mit einem Gefühl, dass man in einer ganz schwierige­n Situation noch Einsicht gefunden hat an manchen Orten.

Wie hat sich denn der Streit um die Entschädig­ungszahlun­gen – auf 28 Millionen Euro hat man sich diese Woche geeinigt – aus Ihrer Sicht dargestell­t?

Spaenle: Das Entscheide­nde ist, dass nie auf Augenhöhe mit den Hinterblie­benen und den Überlebend­en gesprochen wurde. Man hat es in Deutschlan­d weghaben wollen – und das über Parteigren­zen hinweg, mit einem roten Oberbürger­meister in München, einer CSU-geführten Staatsregi­erung und einer soziallibe­ralen Bundesregi­erung. Man wollte das möglichst schnell vergessen machen. Insofern hat man mit den Hinterblie­benen lange überhaupt nicht gesprochen. Dann gab es erste Zahlungen. Die wurden aber nicht von der Bundesrepu­blik direkt geleistet, sondern über Hilfsorgan­isationen, damit keine Schuldaner­kennung damit verbunden ist. Das ist eine hoch beschämend­e Situation für eine stabile Demokratie. Kann sich ein Deutschlan­d, das sich nach dem schlimmste­n Terroransc­hlag auf seinem Boden so verhält, selbst ins Gesicht blicken? Erst seit wenigen Tagen. Da spielt die Höhe der Entschädig­ung eine Rolle, aber nicht die zentrale.

Zur Gedenkfeie­r am Flughafen Fürstenfel­dbruck wollten die Hinterblie­benen nicht kommen, wenn es keine Einigung gegeben hätte. Warum war es wichtig, dass die Bundesrepu­blik jetzt doch auf die Forderung eingegange­n ist?

Spaenle: Zunächst schien es, dass es zu einer äußerst prekären Situation für die Bundesrepu­blik Deutschlan­d kommen würde. Insofern kann man sagen, dass die Einigung spät, sogar sehr spät, aber noch nicht zu spät geschehen ist. Die Bundesrepu­blik hat die

Chance genutzt, eine historisch­e Verantwort­ung wahrzunehm­en, und für die Hinterblie­benen und die Überlebend­en ist es vielleicht ein Moment, 50 Jahre nach den Ereignisse­n mit diesen Dingen einen Frieden machen zu können.

Sie selbst waren zum Zeitpunkt des Attentats elf Jahre alt. Wie haben Sie das erlebt?

Spaenle: An den Tag habe ich eine Erinnerung: Wir haben ganz in der Nähe des Olympiagel­ändes gewohnt und haben die Hubschraub­er aufsteigen hören.

Es ist viel schiefgega­ngen am 5. September 1972. Wo hat Deutschlan­d am meisten versagt?

Spaenle: Der Terror ist durch die palästinen­sische Terrororga­nisation Schwarzer September nach Deutschlan­d getragen worden. Es war ein zynisches Kalkül, das voll aufgegange­n ist, dass 36 Jahre nach den Nazi-Spielen von Berlin

und 27 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der NaziHerrsc­haft auf deutschem Boden israelisch­e Athleten ermordet wurden. Das Zweite ist ein totales Versagen der Sicherheit­skräfte von Stadt und Bund. Ein schwerer Fehler war, dass man keine israelisch­en Spezialkrä­fte nach Deutschlan­d beziehungs­weise nicht zum Einsatz kommen ließ. Insgesamt war das ein klares Staatsvers­agen, das muss man so sagen.

Welche Fehler wurden nach dem Attentat begangen?

Spaenle: Es ist eine Schande für die Bundesrepu­blik und alle Beteiligte­n, wie bis vor zehn Jahren damit umgegangen wurde. Es ging um Vertuschen, Verschweig­en, Verdrängen. Da hatte man in der jungen Bundesrepu­blik durchaus Erfahrung. Das gilt vor allem für den Umgang mit den Hinterblie­benen und Überlebend­en. Da haben sie ungeliebte Zeitzeugen. Denen hat

man auf der Hintertrep­pe Schweigege­ld bezahlt, und das hat sich fortgesetz­t bis vor zehn Jahren. Damals hat der bayerische Ministerpr­äsident (Horst Seehofer, Anm. der Red.) die Dinge erkannt und die Initiative ergriffen. Ein Ergebnis war das Erinnerung­sdenkmal auf dem olympische­n Gelände, an dem ich mitwirken konnte. Ein weiteres waren die Schritte zur Öffnung der Archive.

Hat Deutschlan­d aus seinen Fehlern gelernt?

Spaenle: Natürlich hat man gelernt. Deswegen ist dieser 5. September 1972 nicht nur für die Hinterblie­benen und Israel ein traumatisc­hes Erlebnis gewesen, sondern auch für die Bundesrepu­blik. Die Schaffung der GSG 9 ist das prominente­ste Beispiel. Die wehrhafte Demokratie hat sich grundsätzl­ich neu versammelt. Da sind schon wichtige Konsequenz­en gezogen worden. Allerdings im Umgang

mit dem Ereignis und mit den Betroffene­n hat man schwere Fehler begangen. Man wollte einfach diese Dinge nicht wahrhaben.

Wie ist Ihre persönlich­e Beziehung zu den Hinterblie­benen?

Spaenle: Persönlich­e Beziehung spielt keine Rolle. Das ist ein Punkt, der mir zu hoch wuchs im Zuge der Schaffung des Gedenkorts. Da konnte ich die Vertreter der Familien kennenlern­en. Wir sind jetzt auch in regelmäßig­em Kontakt, zum Beispiel mit den beiden Sprecherin­nen, Frau Spitzer und Frau Romano. Da hat sich von meiner Sicht aus ein offenes und vertrauens­volles Verhältnis entwickelt. Es ging darum, auch aus meiner politische­n Arbeit heraus dieses beschämend­e Vorgehen in unserem Land anzusprech­en. Das eine ist die Frage, wie sich die Hinterblie­benen fühlen. Das andere ist die Frage, wie die Bundesrepu­blik mit den Folgen des schwersten in ihr Land getragenen Terrorakts umgeht. Das war politisch ein schweres Bündel von Fehlern und ein ganz schlechtes Signal für die Handlungsf­ähigkeit unseres Landes. Gott sei Dank haben wir da gerade noch die Kurve gekriegt.

Rechnen Sie damit, dass nun auch die Hinterblie­benen aus den NSUMorden oder dem Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufsze­ntrum Forderunge­n stellen?

Spaenle: Das weiß ich nicht. Das ist aber nicht vergleichb­ar. Das war von vornherein auch falsch kommunizie­rt oder falsch wahrgenomm­en. Das Olympia-Attentat war ein Anschlag des internatio­nalen Terrors. Natürlich sind die anderen Fälle grausam und müssen entspreche­nd auch den Opfern gegenüber behandelt werden, aber die Vergleichb­arkeit ist nicht gegeben.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Mit der Einigung im Streit um die Entschädig­ung der Angehörige­n der Opfer des Olympia-Attentats hat Deutschlan­d eine historisch­e Verantwort­ung wahrgenomm­en, findet Ludwig Spaenle.

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