Augsburger Allgemeine (Land West)
Raus aus der Krise
Gas ist so teuer wie nie, Personal schwer zu bekommen, Material ebenso. Über allem schwebt drohend der Klimawandel. Und doch gibt es auch ganz andere Töne und sogar Optimismus.
Jörg Wund sitzt hinter seinem Schreibtisch und lächelt. Der Chef der Therme in Bad Wörishofen schaut aus der großen Fensterfront in den blauen Himmel. Vor wenigen Wochen hätte der Anblick seine Stimmung wohl noch eingetrübt. Je besser das Wetter ist, desto weniger Menschen zieht es in die Therme. Aber jetzt gewinnt er dem Sonnenschein auch etwas Gutes ab, denn er hat angefangen, ihn für sich zu nutzen. Wund, graue Haare, blaues PoloShirt und weiße Hose, blickt von seinem Schreibtisch nicht nur in den Himmel. Er sieht auch auf ein Flachdach voller Solarmodule. Die Zukunft seiner Therme. Die verbraucht im Jahr etwa so viel Energie wie ein Dorf mit 800 Einwohnern. Ein Großteil dieser Energie wird durch das Verbrennen von Gas erzeugt. Noch. Denn Jörg Wund will unabhängig werden vom Gas. Er steht wie fast alle Unternehmerinnen und Unternehmer in Deutschland vor einem Problem: Das Gas, das jahrelang so günstig war, ist es nicht mehr.
Fragt man Nina Reitsam, wie schwer das für die Wirtschaft in der Region wiegt, sagt sie, die Sorge um den Energiepreis treibe die Unternehmen zurzeit am stärksten um. Reitsam arbeitet bei der Industrieund Handelskammer Schwaben und weiß, was Firmen in der Region beschäftigt. „Es gab auch schon früher Krisen: die Ölkrise in den 70er Jahren, oder die Finanzkrise. Aber das waren singuläre Ereignisse. Jetzt sind es multiple Krisen“, sagt Reitsam. Was sie meint: Die Probleme reihen sich nicht aneinander, sie türmen sich auf. Die Corona-Pandemie ist noch nicht beendet. Die hohe Inflation lässt die Kauflaune der Bevölkerung sinken. In vielen Branchen finden Unternehmen schwer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Doch selbst wer ausreichend Angestellte hat, kann oft nichts produzieren. Der Grund: Materialengpässe und Verzögerungen in den Lieferketten, etwa durch Chinas strenge Corona-Politik, halten den Betrieb auf und lassen die Preise noch weiter steigen. Und über allem schwebt der Klimawandel. Und immer wieder kommt die Sorge auf, dass das Gas im Winter rationiert wird. Ausgerechnet Gas, auf das sich die Wirtschaft in Deutschland seit Jahren verlassen hat. Thermenchef Jörg Wund findet dafür einen prägnanten Vergleich: „Die Wirtschaft saß warm und bequem in einem Nest aus günstigem Gas und hat sich keine Gedanken um Alternativen gemacht. Warum auch?“Doch nun ist alles anders. Wie sehr? Das können am besten jene beantworten, die es selbst betrifft. Vor Ort wird deutlich: So vielschichtig die Krisen sind, so unterschiedliche Reaktionen rufen sie hervor. Aber manche Chefs und ihre Mitarbeiter reagieren auf die Herausforderungen mit Kreativität. Sie fangen an, neue Pfade einzuschlagen.
Jörg Wund hat seinen Weg gefunden und setzt auf die Kraft der Sonne. Schon seit 2019 stehen auf dem Dach vor seinem Büro Photovoltaik-Anlagen, vor einem Monat sind neue dazugekommen. Und es sollen mehr werden. Der Parkplatz vor der Therme soll zum Solarpark werden. In einem Jahr soll der gesamte Strom, den die Therme verbraucht, dort produziert werden. Doch ein Problem bleibt: Es ist nicht jeden Tag im Jahr sonnig. „Deshalb haben wir uns gefragt: Was machen wir an einem nebligen 3. Januar?“, sagt Wund. Beantwortet ist die Frage noch nicht. Um das auszugleichen, haben sich Wund und sein technischer Leiter auf die Suche nach ungenutzter Energie gemacht und haben zwei Quellen entdeckt. Zum einen die Lüftung: „Unsere Abluft entwärmen wir von 34 auf 20 Grad“, sagt Wund. „Aber da geht noch mehr. Mit einem Wärmetauscher wollen wir die Luft auf fünf oder sogar null Grad abkühlen und die Energie aus der Wärme für uns nutzen.“Die andere Quelle: das Duschwasser. Am Tag werde in der Therme zwischen 500 und 8000 Mal geduscht. Meistens warm. Diese Wärme versickert mit dem Abwasser. Bald soll dem Abwasser die Wärme-Energie entzogen werden und in der Therme genutzt werden. Kleine Schritte auf einem Weg in die Unabhängigkeit.
Doch eine Sorge überschattet die Pläne: „Wenn der Gasnotfallplan verschärft wird, wissen wir nicht, was das für uns bedeutet.“Immer wieder hatte es zuletzt geheißen, wenn es zu wenig Gas gebe, müssten Schwimmbäder geschlossen bleiben. Für Wund und seine Belegschaft wäre das der dritte Lockdown in drei Jahren. 300 Tage hatten sie während der Corona-Pandemie geschlossen. Dass es auch diesen Winter wieder so kommen könnte, ist nicht unwahrscheinlich. Erst vergangene Woche hat Klaus Müller, Chef der Bundesnetzagentur, wiederholt: Wenn das Gas im Winter knapp werde, müsse es Einschränkungen im Freizeitbereich geben. Saunen blieben dann kalt. Eine schlimme Vorstellung für den Thermen-Chef: „Ich wünsche mir, dass die Politik es uns überlässt, kein Gas zu verbrauchen und nicht alles schließt“, sagt er.
Ähnlich sorgenvoll blicken zwei andere Männer auf den Winter. Sie sitzen knapp 70 Kilometer nördlich von Bad Wörishofen. Philipp von Waldenfels und sein jüngerer Geschäftspartner Maximilian Offermann sind die Chefs der BWF-Gruppe mit Sitz in Offingen im Landkreis Günzburg. Das Unternehmen gibt es seit 125 Jahren. In fünfter Generation führen von Waldenfels und Offermann den Betrieb. In seiner langen Geschichte ist er gewachsen, wurde breiter aufgestellt. An 16 Orten in der Welt stellen die vier Unternehmen der Gruppe ihre Produkte her. 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen sie, die Hälfte davon in Deutschland. Sie haben zum Beispiel die Röhren für die Beleuchtung der WWK-Arena produziert oder Filze, die verhindern, dass Bahnsitze oder E-AutoBatterien brennen. Ein weiteres Geschäftsfeld: Filterschläuche, die alles von groben bis zu winzig kleinen Staubpartikel aus den Abgasen von Industrie- oder Müllverbrennungsanlagen herausholen und saubere Luft durchlassen.
Ein wichtiger Markt für diese Filterschläuche ist China. Deshalb hat die BWFGruppe dort, in der Nähe von Shanghai, ein eigenes Werk. Weil der Geschäftszweig wächst, hat BWF in den Standort investiert. Doch vor Ort gesehen, wohin ihr Geld geflossen ist, haben Offermann und von Waldenfels noch nie. Denn seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und der strengen Null-Covid-Politik der Chinesen waren die beiden Geschäftsführer nicht mehr im Land. China sei ein wichtiger Handelspartner für viele Unternehmen aus Bayerisch-Schwaben, sagt Offermann. „Aber die Art und Weise, wie China mit der Pandemie umgeht und wie wenig verlässlich es dadurch für ausländische Geschäftspartner ist, hat unserem Vertrauen in das Land einen Knacks verpasst“, sagt von Waldenfels.
Die Auftragslage der Gruppe ist gut, deshalb wird auch am Hauptsitz in Offingen gebaut. Der wachsende Geschäftszweig der Filterschläuche soll mehr Platz bekommen. „Mit unseren vollen Auftragsbüchern hätten wir dieses Jahr sicher wieder ein Rekordjahr erzielt“, sagt Offermann. Im Konjunktiv – mit Blick auf die Energiepreise. Er und von Waldenfels führen durch die Produktionshalle. Große graue Maschinen rattern und verwandeln
Der Wunsch, dass die Politik nicht alles schließt