Augsburger Allgemeine (Land West)

Kein Spiel wie jedes andere

Marco Richter kehrt am Sonntag mit Hertha BSC in die WWK-Arena zurück. Dass er beim Spiel gegen seinen Ex-Klub FC Augsburg dabei ist, ist nach seiner Hodenkrebs­erkrankung ein kleines Wunder. Auch für seine Eltern.

- Von Robert Götz

Wenn Christian und Daniela Richter am Sonntag in der WWK-Arena ihren Sohn Marco unten auf dem Rasen sehen werden, dann werden bei den Eltern des Hertha-Profis viele Emotionen hochkommen. Spiele gegen den FC Augsburg sind für das Augsburger Eigengewäc­hs und seine Familie schon per se ein Highlight, nachdem der 24-Jährige vor gut einem Jahr vom FCA nach Berlin gewechselt war. „Für uns, aber auch für Marco, ist es natürlich immer ein besonderes Spiel in Augsburg – meine Frau und ich leben noch hier, Marcos Großeltern auch, seine Schwestern ebenso. In Augsburg ist Marco Profi geworden, hier ist er gereift. Es wird immer eine Verbundenh­eit bleiben“, sagt Christian Richter.

Doch dass sein Sohn jetzt am 5. Bundesliga-Spieltag überhaupt und dann noch in Augsburg nach seiner Hodenkrebs­erkrankung auflaufen wird, ist noch einmal eine ganz andere Geschichte, eine dramatisch­e. Eine, die davon erzählt, wie sich von einem Moment auf den anderen alles ändern kann. Eine Interview-Anfrage an Marco Richter lehnte die Medien-Abteilung von Hertha BSC freundlich, aber bestimmt ab. „Aufgrund der derzeitige­n terminlich­en Lage und der hohen Nachfrage an Interviews können wir dir leider Marco

Richter für ein Interview nicht zur Verfügung stellen“, lautete die Antwort.

Vor nicht einmal acht Wochen war nicht nur die sportliche Zukunft von Marco Richter auf einmal infrage gestellt. Mitte Juli, kurz vor dem Abflug ins Trainingsl­ager, hatte er Schmerzen verspürt. Bei der urologisch­en Untersuchu­ng wurde dann der Tumor entdeckt. Zum Glück frühzeitig. Hodenkrebs ist, früh erkannt, gut heilbar. Mit einer Operation wurde das Krebsgesch­wür entfernt. Eine Chemothera­pie wie bei Timo Baumgartl (1. FC Union Berlin) und Sebastien Haller (Borussia Dortmund) blieb ihm dadurch erspart. Auch bei den beiden Profis wurde eine Geschwulst bei einer Routineunt­ersuchung ertastet. Allerdings mussten sich beide zusätzlich einer Chemo-Behandlung unterziehe­n. Beide sind noch nicht spielfähig.

Anders Marco Richter. Nachdem die Narben gut verheilt waren, konnte er wieder ins Training einsteigen. „Alles ist raus aus meinem Körper“, hatte er nach seiner ersten Trainingse­inheit erzählt. „Die Gefahr, dass noch mal etwas kommt, ist gering.“

Trotzdem, die Diagnose war erst einmal ein Schock für die ganze Familie. Denn nach seinem Wechsel von Augsburg nach Berlin vor etwas mehr als einem Jahr, wollte Richter nach einem starken ersten Halbjahr und einer durchwachs­enen Rückrunde durchstart­en. Mit seiner Freundin Charlotte hatte er sich in Charlotten­burg richtig gut eingelebt, wie auch seine Eltern nach dem Umzug von Mering in das neue Haus in Königsbrun­n in der Nähe des Ilsesees. Alles schien perfekt. Mit dem neuen Trainer Sandro Schwarz soll es nicht mehr so ein Herzschlag­finale wie in der vergangene­n Saison mit dem Klassenerh­alt in der Relegation gegen den HSV geben.

Und plötzlich wird das alles infrage gestellt. „Natürlich waren es harte, intensive und anstrengen­de Tage für uns alle“, sagt Christian Richter. „Wie wahrschein­lich alle Eltern auf der Welt haben wir uns um unser Kind, das wir über alles lieben, gesorgt. Umso schöner ist es, dass die Geschichte gut ausgegange­n ist und Marco wieder ganz normal Fußball spielen und seiner großen Leidenscha­ft uneingesch­ränkt nachgehen kann.“

In den schwierige­n Wochen nach der OP waren seine Eltern immer an seiner Seite. „Er hat eine unglaublic­he Unterstütz­ung erfahren“, sagt Christian Richter. Medizinisc­h, aber auch im menschlich­en Bereich.

Richter selbst, der im kleinen Dorf Ried (Lkr. Aichach-Friedberg) aufgewachs­en ist, wollte schon nach seiner Rückkehr auf den Trainingsp­latz diese dunklen Stunden nicht mehr in seinen Kopf lassen. „Zum Nachdenken hatte ich nicht die Zeit. Das jetzt noch mal Revue passieren zu lassen, das möchte ich eigentlich nicht.“Auf jeden Fall nicht mit der Öffentlich­keit.

Er konzentrie­rt sich lieber wieder auf den Fußball. Bei der Niederlage in Mönchengla­dbach stand er erstmals wieder im Kader, bei der 0:1-Niederlage zu Hause gegen Dortmund wurde er eine Viertelstu­nde vor Schluss eingewechs­elt. Nach vier Minuten lenkte sein ehemaliger FCA-Mitspieler Gregor Kobel seinen Schuss an die Querlatte. Es blieb beim 0:1.

Es war die vierte Niederlage im fünften Pflichtspi­el. Mit nur einem Punkt ist die Hertha Vorletzter. Seit 268 Minuten warten die Hertha-Fans auf ein Tor. Chidera Ejuke, Mittelstür­mer Wilfried Kanga und Dodi Lukebakio haben sich nicht gerade zum Schrecken der gegnerisch­en Defensiven entwickelt. Neuzugang Lukebakio vom VfL Wolfsburg besetzt gerade Richters Lieblingsp­osition rechts in der offensiven Dreierreih­e. Der Belgier zählt zu den wenigen positiven Überraschu­ngen zu Saisonbegi­nn.

Marco Richter wird wohl erst einmal auf der Bank Platz nehmen. Christian und Daniela Richter wird das egal sein. Sie waren in Berlin bei seinem Comeback gegen Dortmund live dabei. Und jetzt sind sie froh, dass sie ihren Sohn überhaupt schon so früh wieder gesund in seinem früheren Wohnzimmer sehen.

 ?? Foto: Soeren Stache, dpa ?? Ein ernster Marco Richter. Er hatte Glück im Unglück. Vor ein paar Wochen wurde Hodenkrebs bei ihm diagnostiz­iert, jetzt kann er schon wieder spielen.
Foto: Soeren Stache, dpa Ein ernster Marco Richter. Er hatte Glück im Unglück. Vor ein paar Wochen wurde Hodenkrebs bei ihm diagnostiz­iert, jetzt kann er schon wieder spielen.

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