Augsburger Allgemeine (Land West)
Von der Queen und sonderbaren Vögeln
Ganz entscheidend ist der Geburtsort. Nicht etwa, ob zu Hause oder im Krankenhaus. Wirkliche Unterschiede gibt es auch nicht zwischen Augsburg und München. In größeren Dimensionen gedacht aber tun sich schon die ersten Abweichungen auf. Die Hamburger beispielsweise freuen sich während Olympischer Winterspiele mit hanseatischer Zurückhaltung über deutsche Medaillen der nordischen Kombinierer – können aber nur am Rande die Sinnhaftigkeit verstehen, sich von Schanzen zu stürzen und anschließend auf Skiern durch den Wald zu hetzen. Den Bergvölkern (Norweger, Allgäuer, Österreicher) Europas aber gilt das eben als unterhaltsame Freizeitgestaltung.
In Indien spielen sie Cricket. Kräftige Japaner versuchen, sich halb nackt aus dem Ring zu werfen, in den USA ist es ein anerkannter Weg zum Ruhm, möglichst viele Hotdogs während eines festgesetzten zeitlichen Rahmens zu vertilgen.
Und in Schottland werfen sie eben Baumstämme durch die Luft. Der illustre Wettbewerb ist einer der Höhepunkte der Highland Games. Am bekanntesten ist das Aufeinandertreffen der kräftigen Schotten und Schottinnen (auch die dürfen mitmachen) in Braemar am ersten Samstag im September. Normalerweise schaut dann auch Queen Elisabeth II. während ihrer
Sommerfrische im benachbarten Schloss Balmoral vorbei – dieses Jahr allerdings muss sie aus gesundheitlichen Gründen passen. Bei anderen Highland Games zählen auch Heusack-Hochwurf und Fassrollen zu den Disziplinen. Generell lässt sich aus vielerlei Alltäglichem ein Wettbewerb machen. Wie zum Beispiel aus der Betrachtung von Fluggetier.
Alljährlich wird daher in Deutschland der Vogel des Jahres gewählt. Ist kein Sport, aber einen Gewinner wird es trotzdem geben. Wahrscheinlich haben Braunkehlchen, Feldsperling oder Teichhuhn vergangene Saison auch mehr geleistet als mancher Abstiegskandidat der Bundesliga, der immerzu vom Überlebenskampf gesprochen hat. Favorit auf den Titel dieses Jahr dürfte aber der Neuntöter sein. Er gehört zur Familie der sogenannten Würger. Neuntöter, Würger – klingt nach Abou-Chaker-Clan, was das Wahlvolk möglicherweise dann doch wieder abschrecken könnte. Tatsächlich spießt das Tier seine Beute (zu der auch kleine Vögel gehören) auf Dornen und spitze Äste auf. Ornithologen meinen: um Vorräte zu horten. Möglich aber auch: zur Abschreckung. Für den Neuntöter aber gilt, was für das Sportinteresse auch gilt: Urteile Außenstehender geziemen sich nicht. Es hängt davon ab, in welche Gesellschaft man geboren wird.