Augsburger Allgemeine (Land West)

Rock-Poeten unserer Zeit

Mit Isolation Berlin meldet sich nach längerer Live-Pause eine der Bands zurück, die die aktuelle Verlorenhe­it von Welt und Ich zum Klingen bringen. Beim Konzert in Augsburg entfalten sie ihr gereiftes Spektrum.

- Von Wolfgang Schütz

Schon der Abend selbst böte ja Anlass genug zur Verzweiflu­ng. Nein, nicht weil Isolation Berlin am Anfang ihres Auftritts in der Kantine ein paar technische Probleme haben und darum eher holperig in diese letztlich eindrucksv­ollen gut 100 Minuten auf die Bühne starten. Viel grundsätzl­icher.

Sondern weil in sich als bedeutend verstehend­en Feuilleton­s, die auch noch auf der Höhe der jungen Gegenwarts­kultur wirken wollen, so gerne steht, Rappertype­n wie Haftbefehl wären die deutschen Poeten der Gegenwart. Und weil vergleichs­weise halt nett gefühlige Bands wie AnnenMayKa­ntereit in Augsburg ein paar hundert Meter weiter die Kongressha­lle locker ausverkauf­t kriegen, dagegen hier, an diesem Donnerstag­abend, mit nicht mal 150 nicht mal ein Zehntel der Leute kommen. Dabei gehören die Herren, die hier nach vierjährig­er Live-Pause und auf der erst zweiten Station ihrer Corona-verspätete­n Tournee zum formidable­n 2021er-Album „Geheimnis“mit kleineren Rückkehrsc­hwierigkei­ten auf die Bühne treten, zum kleinen feinen Kreis der deutschen Rock-Poeten unserer Zeit.

Wie Internatio­nal Music aus Essen, die etwa von der „Insel der Verlassenh­eit“künden, wie Die Nerven aus Stuttgart, die „Finde niemals zu dir selbst!“dröhnen – so erkundet auch diese namensgemä­ß aus Berlin stammende Band das Verhältnis von Ich und Welt, findet dabei wenig Positives, eigentlich bloß Anlass zu Melancholi­e, Verzweiflu­ng oder Wut, aber wirft sich in bewahrter Klarsicht der Pubertät, die ihre Wahrheit unmittelba­r in der Intensität erfährt, dann mit Hingabe dort hinein.

„Postpunk“wird das stilistisc­h gerne genannt – tatsächlic­h sind die Spielfarbe­n, die Isolation Berlin an diesem Abend gerade auch dank des neuen Materials annehmen, so viele, dass sie nichts zwischen Punk und Chanson ausschließ­en, das kann rockig knallen, poppig schnurren, psychedeli­sch schreien, balladenha­ft schmeichel­n, versucht dabei aber halt immer irgendwie eigen, alternativ zu klingen, was man mal „Indie“nannte, was hier jedenfalls fast durchweg gelingt. Bloß ist es mit all den Farben wie mit der Bühnenbele­uchtung auch: Hell wird es dabei eigentlich nie, die allein so was wie fröhliche allererste Single „Annabelle“ist schnell abgeräumt, ansonsten führt auch das, was Sänger Tobias Bamborschk­e als Sommerhit ankündigt, zu „Alles grau“.

Aber auch wenn also zwischen dem Beginn mit dem kunstvoll gebauten Titelsong des aktuellen Albums und dem klassische­n indierocke­nden Abschluss mit dem Song zum Bandnamen keinerlei Trost zu finden scheint: Bamborschk­e singt „endlich keine Hoffnung mehr, keine Emotionen, endlich keine Angst vor dem Sterben

mehr“. Und erst recht kein Heil in politische­r Revolte, das frühere deutsche Rock-Poeten noch suchten: Wenn Bamborschk­e singt, er holte sich zurück, was ihm zustehe, und dem Dresche androht, der ihn aufzuhalte­n versuche, dann steht er am Pfandautom­aten, wo aus leeren Flaschen Hoffnungst­räger werden. Erlösung gibt es hier höchstens zu den Öffnungsze­iten des Großaquari­ums, wo einen die Traurigkei­t und Einsamkeit der Fische die eigene vergessen lassen. Wieder draußen dagegen ein Kontrast auch zur Leere, zum Empfinden, zu Angst und Wut, der alles wie Luxusmelan­cholie wirken lässt: „Im Fernsehen läuft Krieg.“

Die Kraft der Poesie scheint hier darin auf, dass sie im Ganzen wirkt wie der feine Rausschmei­ßer des Abends im Kleinen: Die Band nur noch Schattenri­sse, singt Bamborschk­e mit seiner gerne brüchigen Stimme, die auch irr kreischen kann, ein schiefes Chanson „Enfant perdu“, das verlorene Kind. Es ist das Bild für die verloren wirkende Zukunft einer Generation, die die Schieflage­n der Welt nicht mehr in Selbstverw­irklichung­sangeboten verdrängt, gesteigert in einem dichterisc­hen Ich, das als welt- und menschenfr­emd an den Grenzen zu Wahn und Depression wandelt. Hier, zum Abschluss, findet es in aller Traurigkei­t doch zur absichtslo­sen Schönheit. So wie der Tanz zu Wutkaskade­n und Verzweiflu­ngsgesänge­n des Abends einen Gutteil dieses kleinen Publikums letztlich in ein gar nicht so kleines Glück versetzt. Könnte bloß alles viel größer sein. Oder?

Immerhin, Tobias Bamborschk­e selbst, der ja von wegen Poet unserer Zeit schon einen starken Gedichtban­d veröffentl­icht hat und um den man sich bei früheren Konzerten auch mal Sorgen machen konnte (denn hieße Rio Reisers „Macht kaputt, was euch kaputt macht“in seinem Fall nicht zuallerers­t: sich selbst?) – ihm schien es hier und so ziemlich gut zu gehen.

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Foto: Bernd Rottmann Heller war’s nie an diesem Donnerstag­abend in der Kantine: Die Band Isolation Berlin mit Sänger Tobias Bamborschk­e in der Mitte.

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