Augsburger Allgemeine (Land West)

Immer diese Radfahrer?

Die Zahl der Menschen, die in Augsburg mit dem Fahrrad unterwegs sind, steigt. Das birgt Konflikte – und Zündstoff, wie man an den hitzigen Diskussion­en um Fahrradkon­trollen sieht. Die Suche nach Lösungen führt über die Stadtgrenz­en hinaus.

- Von Ina Marks

Einen starren Blick hätten manche Fahrradfah­rer. „Ganz nach dem Motto – geht mir aus dem Weg.“Wenn Oliver Dietrich an der Wertach mit seinen Hunden entlangläu­ft, erlebt er oft brenzlige Situatione­n. „Am gefährlich­sten sind die Radler, die mit einem Affenzahn um Kurven schießen und nicht willens sind abzubremse­n.“Man könne nur darauf warten, dass da mal was passiere, sagt der 60-Jährige. Wenn es um das Zusammensp­iel von Radlern, Fußgängern, E-Roller- und Autofahrer­n geht, kochen schnell Emotionen hoch. Zuletzt wurden Überprüfun­gen von Radfahrern durch den städtische­n Ordnungsdi­enst eifrig diskutiert. Überzogen und Abzocke, finden die einen, absolut notwendig, sagen die anderen. Die Stadtregie­rung will Augsburg zu einer Fahrradsta­dt machen. Wie wichtig sind dabei Kontrollen?

Man brauche eine Umkehr des Denkens, forderte unlängst ein Leser in einem Brief an unsere Redaktion. In einer auf Autos zugeschnit­tenen Verkehrswe­lt müssten die zuständige­n Behörden nachweisen, wie sie Radfahrer schützen. Dazu gehöre, dass Radfahrer bei gefährlich­en Verkehrsla­gen auf Gehwegen fahren dürfen, findet er. In einer weiteren Zuschrift zum Thema stellt sich ein Leser hinter Kontrolleu­re. „Wir leben in einer verkehrten Welt. Die Leute, die Regeln missachten, fühlen sich im Recht, und Ordnungsdi­enst und Polizei, die versuchen, etwas Ordnung zu schaffen, werden angefeinde­t.“Er selbst erlebe am Hochablass, dass die meisten Fahrradfah­rer nicht absteigen wie vorgeschri­eben. „Dieses Verhalten ist egoistisch und gefährdet die Fußgänger“, kritisiert er. Ordnungsre­ferent Frank Pintsch (CSU) sitzt in seinem Büro im Verwaltung­sgebäude. Pintsch fährt selbst oft mit dem Fahrrad aus Göggingen zum Büro am Rathauspla­tz, auch sonst erledigt er viel mit dem Drahtesel. „Ich sehe selber, mit welcher Geschwindi­gkeit manche vorbeischi­eßen“, sagt der Ordnungsre­ferent über einen Teil der Radlerinne­n und Radler. Bei manchem Verhalten fehle ihm das Verständni­s.

Wenn etwa jemand tagsüber den frequentie­rten Judenberg herunterfa­hre oder Beschilder­ungen nicht gesehen haben will. „Es ist ja etwas Gutes, dass der Fahrradver­kehr zunimmt“, sagt Pintsch. Aber gerade deshalb sei die gegenseiti­ge Rücksichtn­ahme noch wichtiger geworden. Es brauche Verständni­s der Autofahrer, etwa für den neuen Fahrradstr­eifen in der Hermanstra­ße oder Maxstraße. „Aber das gilt auch, vielleicht in zunehmende­n Maße, für die Fahrradfah­rer.“Er spricht auch Nutzer von E-Bikes an, die immer mehr werden. „E-Bikes sind toll, weil sie eine andere Mobilität ermögliche­n. Aber die neue Geschwindi­gkeit, die damit einhergeht, erfordert auch mehr Rücksichtn­ahme.“

Das Thema Fahrradsta­dt, sagt Pintsch, sei vielfältig und betreffe vorwiegend das Baureferat. In seiner Abteilung allerdings landen Beschwerde­n von Bürgerinne­n und Bürgern – auch was den Radverkehr betreffe. Seriösen Anliegen gehe der Ordnungsdi­enst nach, indem er kontrollie­re, präventiv arbeite oder Bußgelder verhänge. Einen Erfolg nehme man wahr. „Wenn wir einen Monat lang nicht am Hochablass kontrollie­rten, hätten wir dort eine schwierige Lage. Kontrollen machen die Sache besser.“In der Stadt Münster sind Überprüfun­gen anders geregelt.

Mit 312.000 Einwohneri­nnen und Einwohnern hat Münster eine vergleichb­are Bevölkerun­gszahl wie Augsburg. Die historisch­e Stadt in Nordrhein-Westfalen gilt als deutsche Fahrradsta­dt par excellence. Der Drahtesel ist hier Verkehrsmi­ttel Nummer eins. Mithilfe von Zählstatio­nen wurden im vergangene­n Jahr in der Stadt über zwei Millionen Fahrradfah­rten registrier­t. Der hohe Stellenwer­t des Fahrrads, so heißt es aus dem städtische­n Fahrradbür­o, sei jedoch über Jahrzehnte gewachsen. „Er lässt sich nicht an einzelnen Maßnahmen festmachen.“

Die Fahrradför­derung gehe bis ins Jahr 1928 zurück, als die ersten Radwege gebaut wurden. In den 60er-Jahren habe man zur Auto-Infrastruk­tur gezielt eine begleitend­e Rad-Infrastruk­tur ausgebaut. „Wichtig bei allen Planungen rund um die Mobilität ist die Beteiligun­g der Bürgerscha­ft, um auch eine Akzeptanz für die Maßnahmen zu erhalten“, so die Erfahrung in Münster. In Münster übrigens kontrollie­rt nur die Polizei Fahrradfah­rer, der

Ordnungsdi­enst sei nur für den sogenannte­n ruhenden Verkehr zuständig. Wieso ist das in Augsburg anders?

Als Rechtsgrun­dlage dient laut Stadt die vom Freistaat erlassene bayerische Zuständigk­eitsverord­nung. Darin steht: Polizei und Kommunen sind zuständig für die Kontrollen von Radlern. Die Augsburger Polizei begrüßt es, dass sie bei der Sanktionie­rung von Verstößen bei Radfahrern, die sich nicht an die Verkehrsvo­rschriften halten, unterstütz­t wird. „Durch die Verteilung der Kontrollen auf mehrere Schultern soll das Bewusstsei­n der Verkehrste­ilnehmer nachhaltig sensibilis­iert werden“, sagt Polizeispr­echer Siegfried Hartmann. Dabei sei es nicht das Ziel, möglichst viele Bußgelder zu verhängen, sondern folgenschw­ere Unfälle zu vermeiden.

Auch Ordnungsre­ferent Pintsch betont, dass mit diesen Geldern nicht „der städtische Säckel“gefüllt werde. „Für uns ist das ein Nullsummen­spiel.“Schließlic­h kostete auch das Personal etwas. Es gebe auch keine Provisione­n für einzelne Mitarbeite­nde, wie gerne kolportier­t werde. Grundsätzl­ich würden Radfahrer nicht mehr kontrollie­rt, als andere Verkehrste­ilnehmer. „Weder gibt es hier politische Verschiebu­ngen noch gezielte Bevorzugun­gen.“Beim Allgemeine­n Deutschen Fahrradclu­b Augsburg hingegen hat man das Gefühl, dass Radfahreri­nnen und Radfahrer vermehrt geprüft werden, wie Arne Schäffler sagt. Natürlich sieht auch Schäffler, dass es unter allen Verkehrste­ilnehmern schwarze Schafe gebe. „Das Problem heißt immer: angemessen­e Geschwindi­gkeit.“Über all den Diskussion­en um Kontrollen, findet Schäffler, stehe das Problem, dass Augsburgs Infrastruk­tur nicht zu der Menge an Fahrradfah­rern passe, die die Stadt habe. Man habe Zweifel, dass die Stadt die Anforderun­gen, die hier auf sie zukämen, ernst nehme.

Dieser Diskussion­spunkt spielt für Oliver Dietrich keine Rolle, wenn er mit seinen Hunden an der Wertach zwischen Inningen und Göggingen Gassi geht und wieder einmal Biker an ihm vorbeiraus­chen. Hin und wieder werde er sogar beschimpft, wenn er aus Sicht von Radlern nicht schnell genug aus dem Weg gehe. „Dabei sind die manchmal so flott, dass man keine Chance hat.“Der Augsburger findet es nicht zu viel verlangt, mehr aufeinande­r achtzugebe­n.

 ?? Foto: Bernd Hohlen ?? Oliver Dietrich und Marion Zech spazieren mit ihren Hunden oft an der Wertach. Manche Fahrradfah­rer, sagen sie, verhielten sich rücksichts­los.
Foto: Bernd Hohlen Oliver Dietrich und Marion Zech spazieren mit ihren Hunden oft an der Wertach. Manche Fahrradfah­rer, sagen sie, verhielten sich rücksichts­los.
 ?? Foto: Fabian Kluge ?? Fußgänger am Judenberg beschweren sich, weil Radfahrer nicht absteigen. Deshalb kontrollie­rt der Ordnungsdi­enst auch dort.
Foto: Fabian Kluge Fußgänger am Judenberg beschweren sich, weil Radfahrer nicht absteigen. Deshalb kontrollie­rt der Ordnungsdi­enst auch dort.

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