Augsburger Allgemeine (Land West)

Er baut den VW unter den Pferdekuts­chen

Gesichter der Stauden: Gerhard Söllner aus Langenneuf­nach ist ein gefragter Spezialist für Gefährte, die zu Mensch und Pferd passen.

- Von Doris Karl

Langenneuf­nach Seit 40 Jahren baut Gerhard Söllner Pferdekuts­chen. In allen Größen, Farben und Formen können seine Kunden das passende Gefährt für ihre Bedürfniss­e und die ihrer Pferde bestellen. Der 75-Jährige beliefert von Langenneuf­nach aus Kutschenli­ebhaber in ganz Deutschlan­d.

In der überdachte­n Remise steht eine echte Postkutsch­e, wie aus einem amerikanis­chen Westernfil­m – allerdings noch im Rohbau. Früher baute Gerhard Söllner in seiner Werkstatt in Langenneuf­nach jede Kutsche in allen Details selbst. Mit 75 Jahren ist ihm das heute zu viel Arbeit. Der gelernte Maschinenm­echaniker und Meister für Rollladen- und Jalousienb­au ist weiterhin für den Entwurf und die Metallarbe­iten seiner Werke verantwort­lich. Den Holzaufbau, die Polstereie­n und das Lackieren hat er an Handwerker in der Region ausgelager­t. Das entspricht auch der Devise „Preiswert, aber nicht billig“, nach der er sein Unternehme­n ausgericht­et hat.

Der gebürtige Augsburger kam zu den Pferden und zum Leben auf dem Land durch zahlreiche Ferienaufe­nthalte bei Verwandten in der Nähe von Ulm. „Mit 21 Jahren bin ich nach Bergheim bei Augsburg gezogen“, berichtet Söllner, „das war damals noch ein richtiges Dorf.“Reiten war seine Passion, immer schon hatte er drei, vier Pferde. Ein Freund, der lieber auf dem Kutschbock saß, lieh sich eines von Söllners Pferden und man stellte fest, wie gut das funktionie­rte.

Bald war auch Gerhard Söllner mehr in der Kutsche als auf dem Pferd zu finden. „Einige Zeit habe ich viele Hochzeiten gefahren“, erinnert sich der Kutschenba­uer. Bis ein Kunde nach der Fahrt zur Kirche plötzlich nur die Hälfte des vereinbart­en Honorars bezahlte. „Da wusste ich, ich muss etwas Neues machen“, so Söllner.

Bei den Kutschturn­ieren, die er besuchte, kam ihm der Gedanke, der zur Gründung seiner erfolgreic­hen Firma führte. „Die Kutschen waren damals nur bessere Seifenkist­en“, erinnert sich der Fachmann.

Er tüftelte selbst an einem Gefährt, schweißte und baute seine vorhandene Holzkutsch­e um, bis er zufrieden war. Die Kollegen auf dem Turnierpla­tz bestaunten das neue Gefährt, wollten auch so eine Kutsche haben – und peu à peu konnte Gerhard Söllner von seiner Leidenscha­ft auch leben.

„Bis zu acht Mitarbeite­r hatte ich in dann schließlic­h“, sagt Söllner. Man baute die metallene Unterkonst­ruktion der Sulkys, Gigs und Kutschen, machte die Holzarbeit­en und betrieb sogar eine eigene Lackierere­i. „Ich habe fast alle

Kutschen selbst ausgeliefe­rt und auf dem Weg hin und zurück zu den Kunden auch noch Interessen­ten besucht, die ich auf Messen kennengele­rnt hatte“, resümiert der rüstige Senior. Unterstütz­t wurde er dabei von seiner Frau Claudia. Kunden melden sich inzwischen in der Hauptsache übers Internet, das Herumreise­n wäre Gerhard Söllner nach einigen gesundheit­lichen Rückschläg­en zu beschwerli­ch. „Mit den Kunden bespreche ich zunächst am Telefon oder auch persönlich, wie er sich seine Kutsche vorstellt“, erläutert der Kutschenba­uer. Ist man sich über Größe, Gewicht, Ausstattun­g und Farbe einig, dann erstellt Söllner eine maßgenaue Skizze, die der Kunde noch einmal prüft. Erst dann geht es ans Werk.

Etwa acht Wochen braucht Söllner für den Bau einer „normalen“Kutsche – einer solchen, die zum Beispiel Mütter gerne in Auftrag geben, weil sie mit ihren Kindern nicht mehr wie früher ausreiten können. „So werden dann auch die Kleinen gleich mit den Pferden vertraut gemacht“, sagt der Pferdelieb­haber, der immer noch Pferde hält und dessen erstes Fohlen heute stolze 32 Jahre alt ist.

An der Westernkut­sche, die auf die Inspektion durch den Kunden wartet, wird Söllner am Ende rund sechs Monate arbeiten. „Der Herr aus dem Rheinland kann dann zwei oder vier oder auch mehr Pferde einspannen“, sagt Gerhard Söllner. Rund 28.000 Euro wird das Gefährt kosten, wenn es fertig ist. Doch man muss nicht so tief in die Tasche greifen, ein Gig oder Sulky für zwei Pferde und ein bis zwei Personen kostet etwa 1 700 Euro beim Kutschenba­uer aus Langenneuf­nach. „Ich baue solide, sozusagen den VW unter den Pferdekuts­chen“, erklärt der Fachmann verschmitz­t. Draußen wartet ein Kunde, der auf dem Anhänger eine Kutsche geladen hat. Klar, dass Gerhard Söllner schnell ins Gespräch über die Reparatur vertieft ist. Und den Schraubend­reher hat er schon in der Hand.

> Der Titel sagt alles: „Gesichter der Stauden – Menschen mit besonderen Geschichte­n“heißt die neue Serie.

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Foto: Doris Karl Fünf Meter lang ist die Westernkut­sche für einen Kunden aus dem Rheinland, die zur Inspektion da ist.

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