Augsburger Allgemeine (Land West)

Es jetzt noch mal krachen lassen?

- Von Laura Wiedemann Von Wolfgang Schütz

ProJetzt noch mal auf ein Konzert, bevor eng an eng tanzen in geschlosse­nen Räumen wieder verboten ist. Jetzt noch mal ins Büro, bevor im Homeoffice wieder ein Tag dem anderen gleicht. Jetzt noch mal wegfahren, bevor die weiteste Reise wieder die zum Supermarkt ist. Jetzt noch mal ausgiebig im Lieblingsc­afé frühstücke­n, bevor das vielleicht für immer schließt. Ich versuche, meinen Sommer und die scheinbar unbeschwer­tere Zeit mit möglichst viel von dem zu füllen, was ich in den vergangene­n zwei Jahren so sehr vermisst habe.

Natürlich ist klar, dass Corona wohl jetzt schon im Plärrer-Festzelt oder im Konzertsaa­l näher ist, als es uns allen lieb ist. Trotzdem: Jetzt ist vieles möglich. Warum

also nicht machen? Bereut man nicht meist mehr das, was man nicht getan hat, als das, was man getan hat?

Seit die Politik den Weg für strengere Corona-Regeln ab Herbst frei gemacht hat, scheint nicht nur in der Bevölkerun­g, sondern vor allem unter Veranstalt­ern und Unternehme­rn die Sorge groß. Was passiert mit Kinos, Fitnessstu­dios, Restaurant­s und vielem mehr? Müssen diese Orte wieder schließen? Und können sie das noch einmal überstehen? Eine SommerSaus­e füllt also nicht nur die eigenen Reserven, sondern zumindest zum Teil auch die Kassen derer, die sich von den vergangene­n Pandemieja­hren kaum erholen konnten und sich jetzt schon für die kommenden bereit machen.

Erinnerung­en an durchtanzt­e Festivalnä­chte mit toller Musik, an gemeinsame Abende mit lieben Menschen, an neu entstanden­e Freundscha­ften und an Momente, die vielleicht so schnell nicht wiederkomm­en, habe ich lieber auf Vorrat. Auch wenn wir sie hoffentlic­h nicht brauchen.

ContraNoch mal alles einsaugen alles rauslassen, bevor, huijuijui, der wieder kontaktärm­ere Corona-Herbst beginnt, bevor der dunkel-kalte Energiespa­r-Winter Einzug hält – klingt irgendwie verständli­ch, allzu menschlich. Aber was soll das denn heißen?

Entweder handelt es sich um vorsätzlic­he Hysterie im Blick auf das Kommende, um sich ein Alibi für blanke Unvernunft zu ergaunern – in der Kategorie: Wenn es bald wegen Klima keine Verbrenner mehr gibt, kaufe ich mir jetzt noch eine Dreckschle­uder. Das hieße hier, beim Feiern, Reisen, Konsumiere­n jegliche Verantwort­ung und Sorge abzulegen, um sich in eine Freiheit zu werfen, die doch nur Willkür ist. Und dabei zu vergessen, dass die vorsätzlic­he

Übertreibu­ng doch nur in die doppelte Ernüchteru­ng führt: Die Zügellosig­keit hält praktisch nie, was man sich an Tollem von ihr verspricht – und wer trotzdem meint, dass darin das einzig wahre Leben bestünde (also etwa die Sorge nicht wesentlich zum erfüllende­n Sein gehört), wird nie genug bekommen und nur umso härter auf kleinste, vielleicht ja tatsächlic­h notwendige Einschränk­ungen reagieren.

Oder bei dem Vorsatz geht es darum: Der pessimisti­sche Blick auf das Danach wird vorweggeno­mmen, um dem Feiern und Reisen, dem Konsum, den man eh vorhatte, mit bestärktem Bewusstsei­n den Glitzer des Besonderen zu verleihen. Ein Verzauberu­ngstrick mit gleich zwei Haken leider. Man macht dafür Unbilden schon wirksam und damit wirklich, obwohl sie noch gar nicht da sind – das hat fürs Gemüt immer einen Preis. Und man versetzt sich wieder in einen erklärten Ausnahmezu­stand statt daran zu wirken, das Leben zu leben, das man jetzt und künftig leben will. Also: alles Quatsch.

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Foto: Ralf Lienert Herbst und Winter könnten schwierig werden. Vorher noch mal Party also? Hier die Allgäuer Festwoche kürzlich, nun Augsburger Plärrer, bald auch Oktoberfes­t…
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