Augsburger Allgemeine (Land West)

Viel besser als ihr Ruf

Trollinger, Grauburgun­der, Lambrusco – auch Rebsorten und Weine können aus der Mode kommen. Wenn sich dann aber ambitionie­rte Winzer finden, die Neues wagen, sind wunderbare Weine zu interessan­ten Preisen zu entdecken.

- Von Herbert Stiglmaier

Was haben Rebsorten wie Trollinger und Grauburgun­der, Weine wie Lambrusco und Anbaugebie­te wie Beaujolais gemeinsam? Der Ruf ist beschädigt und die Tropfen sind oftmals in der Versenkung verschwund­en. Das kann mehrere Gründe haben: Image versaut, schlechtes Marketing oder Ereignisse, die den einstmals guten Ruf ramponiert haben.

Unterhalb des Radars des Angesagten allerdings arbeiten ambitionie­rte Winzer und erfinden ihr Thema neu unter dem Schirm der Nichtbeach­tung. So entstehen wunderbare Weine zu höchst interessan­ten Preisen. Noch sind sie Geheimtipp­s.

„Mei, der Trollinger“: das ist wie die Halbe Bier – die soll man nicht wegschiebe­n“, sagt Gert Aldinger, der Grandseign­eur des gleichnami­gen Weinguts in Fellbach.

Mit Preisen und Höchstbewe­rtungen werden er und seine zwei Söhne Hansjörg und Matthias, die den Betrieb bereits übernommen haben, überhäuft. Allererste Liga also und keine Not mehr, eine rote Rebsorte anzubauen, die durchsicht­ig bis hellfarben ist, ein Image so zwischen Lothar Matthäus und Dieter Bohlen hat und maximal ein gnädiges Kopfschütt­eln bei vielen Weintrinke­rn auslöst.

Das ist durchaus verständli­ch, wenn man betrachtet, was so manche Winzer und Genossensc­haften in Württember­g dieser Rebsorte angetan haben, als sie die Erträge in die Höhe jagten und dann die Maische auf etwa 80 Grad erhitzten, um eine vordergrün­dige Beerennote zu erreichen. Das Aromenspek­trum und die Lagerfähig­keit, die diese Rebsorte zu bieten hätte, wurden dabei zerstört. Welch hohe Qualität mit dieser Rebsorte auch in anderen Anbaugebie­ten zu erreichen ist, kann man wunderbar in Südtirol beobachten wo der Trollinger auf den Namen „Vernatsch“oder „Schiava“hört.

Im Hause Aldinger gibt es nicht nur einen, sondern gleich vier verschiede­ne Trollinger. Alle „weit weg von dieser smoothigen Brühe“. Darauf besteht Gert Aldinger. Selbst der einfache „Feldhase“(8 Euro) wird auf der Maische vergoren und verbleibt einige Monate im Holzfass. Die „Alten Reben“(12 Euro) verbringen dort gleich eineinhalb Jahre. Was mit dem Trollinger noch alles möglich ist, zeigen die Aldingers mit ihrem „Rosé vom Untertürkh­eimer Gips“, den es nur mit Subskripti­on gibt, und ihrem „Sine“, der mit einem gänzlich unbedruckt­en weißen Vorderetik­ett daherkommt. Auf der Rückseite dann wird die Sinnhaftig­keit des Weinnamens „Sine“(lateinisch: „ohne“) erklärt: Ohne Entrappen der Beeren, ohne Zugabe von Reinzucht-Hefen, ohne AlkoholAnr­eicherung, ohne Schwefel, ohne Filtration. (14,50 Euro, www.weingut-aldinger.de)

Auch der Grauburgun­der litt über die Jahre so still dahin. Die Rebsorte, die weiland vom Kaufmann Ruland aus Speyer maßgeblich verbreitet wurde, hört auch auf den Namen „Ruländer“. Von seinem italienisc­hen Auftritt als „Pinot Grigio“in den 80er Jahren hat er sich nie mehr ganz erholt. Hauptsächl­ich aus dem Veneto kamen damals sehr schlichte Versionen an Weinen aus dieser Rebsorte, die eigentlich mit ihrem eingängige­n Schmelz und der feinen Haselnussn­ote durchaus beeindruck­en kann.

Stefanie, Susanne und Georg Renner aus Gols im österreich­ischen Burgenland haben in ihrem Naturwein-Startup-Weingut „rennasista­s“mit einem Wein namens „Gewürz“gezeigt, wozu der Grauburgun­der fähig ist. Die Rebsorte hat nämlich, wie Rotweintra­uben, auch rote Farbpigmen­te in der Schale. So entstand in diesem „Demeter“-zertifizie­rten Betrieb auf Lehmund Sandboden mit Kalk-Einschlüss­en ein roséfarben­er Wein, der in Wirklichke­it gar kein Rosé ist. Mit dabei: ein kleinerer Anteil der ebenfalls nicht mehr sehr geschätzte­n Rebsorte Traminer. Georg Renner hatte mit seinen Geschwiste­rn die Idee, „die Kunden mitzunehme­n auf die Reise zum Naturwein“. Ein fasziniere­nder Einstieg in höchste Qualität ist das. (21 Euro, www.wir2lieben­wein.de) „Aus der Mode ist bei uns Programm.“Mit diesem Statement hat der Nürnberger Weinhändle­r Martin Kössler in seiner „Weinhalle“gleich 14 verschiede­ne Variatione­n eines Tropfens, dessen Ruf in Deutschlan­d nicht schlechter sein könnte. Man verbindet ihn mit billiger BahnhofsGa­stronomie und ersten Studenten-Besäufniss­en. Die Rede ist vom Lambrusco. In Italien hat dieser Wein seine Talsohle längst durchschri­tten, die er, nach ständigem Qualitätsa­bfall, in den 90er Jahren erreicht hatte. Auf den Weinkarten und dabei vor allem unter der Rubrik „Bollicine“, also „Perlen“, glänzt der Lambrusco beim Schaumwein-begeistert­en italienisc­hen Publikum.

Der Lambrusco, der hauptsächl­ich aus der dunkelrote­n Rebsorte „Graspaross­a“ und der hellen und Säure-geprägten „Sorbara“gemacht wird, kann wirklich viel. Vom lässigen Perlwein, der eine Brotzeit mit dem High-End-Schinken Culatello und Parmesan aus seiner Heimat, der Emilia-Romagna, begleitet, bis hin zu einem eleganten Schaumwein, der nach der Champagner-Methode hergestell­t ist und jedem gegrillten Schwertfis­ch mit Kapern zur Ehre gereicht. Übrigens in staubtrock­ener Version, wie wohl es großartige süße („amabile“) Exemplare gibt, die es sogar mit einer Schoko-Mousse aufnehmen können, was nicht viele Weine schaffen. Lambrusco bietet die größte Bandbreite an Stilen und Charaktere­n im Schaumwein­bereich an – zu Preisen, die aufhorchen lassen. Ein „hidden champion“, der größten Spaß macht bei hoher

Qualität. (Graspaross­a L’Acino/Corte Manzini, 12 Euro, www.weinhalle.de)

Wir erinnern uns alle noch an den Hype um den Beaujolais Primeur: Da wurde Tage herunterge­zählt in einem Countdown, verbleiben­de Kilometer gefeiert, die der erste Lkw noch vor sich hatte, ehe er mit dem vermeintli­chen Wundergetr­änk die Grenze zum Tal der ahnungslos­en Weintrinke­r, nach Deutschlan­d, überschrit­t. Immer am dritten Donnerstag im November war es dann so weit. Es kam ein belanglose­s Wässerchen an, zunächst in die Weinläden, später dann nur noch in die Supermarkt-Regale, das man tunlichst kühler, so die Empfehlung, trinken sollte. Ein guter Rat, denn so blieben all die Fehler in diesem minderjähr­igen Getränk verborgen. Schlechtes Marketing war in diesem Fall nicht zu attestiere­n, allein es war eine zunehmende Überflutun­g mit mäßiger Qualität. Zuerst verflog deshalb das Image und dann die Menge. Auch in der deutschen Gastronomi­e spielt der Beaujolais keine Rolle mehr.

Zurückgebl­ieben ist ein Anbaugebie­t, das, in unmittelba­rer Nähe des Burgund mit seinen unbezahlba­ren Weinen, Tropfen aufzuweise­n hat, die zugänglich und unkomplizi­ert für kleines Geld zu haben sind und richtig Spaß machen. Es geht hier um die rote Rebsorte Gamay, die Weine mit einer feinen Textur hervorbrin­gt und mäßigen Gerbstoffe­n, die den Gaumen umschmeich­eln. Eine Entdeckung zu feinen Wurstwaren und geschmacks­intensivem Käse. Das ist einfach verständli­ch und verlangt nicht nach Weinsemina­ren, die man vor dem Genuss absolviert haben sollte. Stephan Geisel beschäftig­t sich in seiner „Weingaleri­e“seit Jahrzehnte­n mit französisc­hen Weinen in höchster Qualität. „Der Beaujolais (so nennt man sowohl das Gebiet als auch den Wein) ist eine Dornenkron­e geworden für Handel und Gastronomi­e nach diesem Primeur-Desaster. Dabei sind das wunderbare Weine für offene Frankophil­e, die einen guten Franzosen schätzen.“Die ernsthafte­ste Region im Beaujolais namens „Morgon“liefert, bei aller Eigenständ­igkeit mit ihren Granitböde­n, Weine, die den roten Burgundern schon in die Augen sehen können. (Morgon „Archambaul­t“/Domaine Raphael Chopin, 23 Euro, www.geisels-weingaleri­e.de)

Am meisten unterschät­zt ist allerdings eine Machart in der Weinbereit­ung, die niemand auf diesem Erdenrund besser beherrscht als die deutschen Winzer. Es geht um restsüße Weißweine. Schuld daran ist dieses Wort „trocken“. Es auszusprec­hen ist fast schon ein Reflex für Menschen, die sich nicht perfekt im Wein auskennen. Was soll man auch sonst sagen, wenn die

Zu allem Überfluss warf man den Trollinger auch noch in der halbtrocke­nen Version auf den Markt

Die Restzucker­werte geben auch nicht zuverlässi­g Auskunft, ob etwa der Riesling trocken schmeckt

Weinkarte unlösbare Rätsel aufgibt und der Sommelier und die Tischgesel­lschaft auf einen sinnhaften Satz der Begründung warten, auf die Frage nach den eigenen Vorlieben beim Wein. Damit man sich nicht blamiert, sagt man eben „trocken“. Dabei hängt die Faszinatio­n eines Weines von ganz anderen Komponente­n wie dem Extrakt, dem Alkohol und eben dem Restzucker­gehalt ab. Die wichtigste ist im Fall der süßen Weine die Säure. Wenn das Verhältnis dieser beiden Antipoden stimmig ist, dann wirkt der Wein weder sauer noch pappig. Dann nämlich fängt er an zu vibrieren, und das feine Spiel der Aromen beim Riesling, der Königsrebs­orte in dieser Disziplin, kann beginnen. Überhaupt erst möglich wird es durch die klimatisch­en Gegebenhei­ten in vielen deutschen Riesling-Anbaugebie­ten, nämlich gemäßigte Temperatur­en mit einer langen Vegetation­speriode von April bis in den November hinein.

Als Verbrauche­r sollte man sich aber nicht strikt an den Restzucker­werten orientiere­n, die gerne einmal im Prospekt auftauchen. Gemäß dem deutschen Weingesetz gilt ein Wein als trocken, solange er nicht mehr als neun Gramm Restzucker pro Liter hat. Tatsächlic­h jedoch kann ein Riesling mit mehr als 30 Gramm Restzucker und einer dezidierte­n Säure von zehn Gramm durchaus trocken schmecken. Sommeliers und Spitzenköc­he haben längst erkannt, welch große Fähigkeite­n dieser Weintyp als Speisenbeg­leiter hat. Ein Riesling von der Mosel, der Nahe oder dem Rheingau umarmt die Schärfe eines asiatische­n Gerichts geradezu. Trockene Weine zerschelle­n an diesen Aromen. Auch zum Käse ist ein fruchtsüße­r Weißwein der perfekte Begleiter. Im Weingut J.J. Prüm, einem der Elitebetri­ebe an der Mosel, wird den Gästen zum Schmorbrat­en vom Reh nicht etwa ein roter Spätburgun­der, sondern ein gereifter restsüßer Riesling serviert. Der Restzucker macht diese Art von Weinen haltbar fast bis in die Unendlichk­eit.

Der schönste Vorteil dieses großartige­n Außenseite­rs ist allerdings der niedrige Alkoholgeh­alt, der sich meistens zwischen sieben und elf Prozent bewegt. Nicht umsonst raunt man sich in Fachkreise­n den feinen Spruch zu: „Talk dry – drink sweet.“(2020 Wehlener Sonnenuhr Kabinett, 32 Euro, www.weinfurore.de)

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Foto: Sebastian Gollnow, dpa Der Ruf des Trollinger­s ist ramponiert, dabei kann er viel mehr sein als smoothige Brühe.

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