Augsburger Allgemeine (Land West)
Nachhaltiges Bauen auf die Spitze treiben
Andreas Willms macht im Interview Mut zu mehr Nachhaltigkeit bei Bauprojekten und gibt Tipps für Privatpersonen und Unternehmer.
Deutschland hat in Düsseldorf ein neues, international beachtetes und bereits mit zahlreichen Preisen bedachtes Vorzeigeprojekt für nachhaltiges Bauen – wie man das auch in Augsburg bauen könnte, erklärt der Projektleiter von „The Cradle“, Andreas Willms von der INTERBODEN Gruppe. Mit einem Vortrag wird er demnächst auch in Augsburg dafür werben, beim Bau mehr Mut zur Nachhaltigkeit zu zeigen.
Herr Willms, Sie haben mit „The Cradle“ein Musterbeispiel für zirkuläres Bauen nach dem „Cradleto-Cradle“-Prinzip geschaffen. Was bedeutet das?
Andreas Willms: Cradle-to-Cradle, kurz C2C, bedeutet „von der Wiege zur Wiege“– das heißt, das Gebäude wird als Materiallager betrachtet. Alle eingesetzten Baustoffe werden hinsichtlich ihrer Materialgesundheit, Sortenreinheit und Trennbarkeit (Design für Demontage) geprüft und ausgewählt, sodass sie nach Gebrauch wiederverwendet (‚Re-use’) oder in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden können. Durch diese Art des ressourcensparenden Bauens werden Produktionsprozesse optimiert, das Anfallen von nicht recycelbaren Materialien wird minimiert, der CO2-Ausstoß reduziert.
Alle verbauten Materialien lassen sich über einen Material Passport zurückverfolgen und genaustens nach Art, Lebensdauer und Position bestimmen. Auch Angaben zu Rezyklierbarkeit, Demontierbarkeit, Trennbarkeit, Materialgesundheit, CO2-Fussabdruck und RohstoffRestwert lassen sich so dokumentieren. Wir haben darauf geachtet, dass sich durch intelligente Auswahl der Fügetechniken sämtliche Verbindungen bestmöglich wieder lösen lassen. Die Fassade lässt sich wieder in ihre Bestandteile zerlegen und in Teilen wiederverwenden, wir haben so weit möglich auf Klebstoffe und Verbundmaterialien verzichtet. Auch im Innenausbau haben wir auf Wiederverwendbarkeit geachtet. Um CO2-Emissionen zu reduzieren, haben wir die Obergeschosse in Holz-Hybrid-Bauweise gebaut. In den Untergeschossen wurde, wo möglich, Recycling-Beton verwendet.
Warum sollten Bauherren und Bauunternehmen auf so etwas achten?
Willms: Wir haben mit der Planung schon 2017 begonnen – das war noch vor der starken medialen Präsenz von Greta Thunberg und der Fridays for Future-Bewegung. Inzwischen ist das Thema Nachhaltigkeit
in der Mitte der Gesellschaft angekommen, es wird von den Kundinnen und Kunden nachgefragt. Wenn man sich als Unternehmen jetzt nicht mit ressourcenschonendem Bauen auseinandersetzt, wird man bald nicht mehr wettbewerbsfähig sein und sein Geschäftsmodell verlieren.
Ist es teurer so zu bauen?
Willms: Man muss auf jeden Fall mit höheren Planungskosten rechnen, um zusätzliche planerische Expertise ins Boot zu holen. Bei der Realisierung nicht unbedingt: Es gibt viele C2C-Produkte, die kostengleich sind. Auf einiges konnten wir durch die Ausrichtung der Fassadenstruktur verzichten.
Wie realisiert man so ein komplexes Vorhaben?
Willms: Wir haben zu Beginn mit den Circular Economy Spezialisten von EPEA ein Projekt-Manifest aufgesetzt und eine Maßnahmenmatrix erstellt. Darin haben wir das Ziel formuliert, so zirkulär wie möglich zu bauen. Das war das Fundament. Auch HPP Architekten waren schon früh im Boot. Alle ausführenden Unternehmen mussten ihre Materialien über einen „Building Material Scout“, eine Datenbank
für geeignete zirkuläre Materialien, freigeben lassen und in das digitale Building Information Modell des Architekten hochladen. Die digitale Planung ist wichtig, damit man weiß, was wo verbaut ist. Wir haben das ganze Gebäude als digitalen Zwilling geplant, in dem wir den gesamten Lebenszyklus abbilden können. The Cradle ist darüber hinaus seit 2021 als erstes Projekt auf der deutschen Madaster-Plattform registriert – einem Online-Kataster für verbaute Materialien und
Bauprodukte, in dem die Zirkularität und die Rohstoff-Restwerte von verbauten Materialien dargestellt werden. So wird es möglich, kreislauffähige Produkte zu monetarisieren, indem die verbauten Materialien mit den Rohstoffbörsen verknüpft werden und so ein tagesaktueller Stand an Rohstoffrestwert angezeigt werden kann, der im Gebäude verbaut ist. Dank der Verknüpfung mit Madaster können Gebäude so als werthaltige Rohstoffdepots abgebildet werden.
Was empfehlen Sie anderen Bauherrinnen sowie Bauherren und Unternehmen, um den Einstieg ins zirkuläre Bauen zu finden?
Willms: Man muss nicht das ganze Projekt imitieren, sondern kann auch einzelne Aspekte integrieren – auch in Bestandsbauten. Das geht in jedem Projekt. Cradle-to-Cradle ist keine Gebäudezertifizierung, sondern ein Produktlabel. Es gibt mittlerweile über 11.000 Cradle-to-Cradle-zertifizierte Produkte und das Interesse an kreislauffähigen Produkten und die Bereitschaft, Produkte entsprechend zu designen, steigt in der Baubranche kontinuierlich. Es kommt darauf an, den eigenen Anspruch zu haben, mutig zu sein und neue Wege zu gehen – schließlich sind wir in der Bau- und Immobilienbranche mit dem allseits bekannten branchenweiten CO2-Fußabdruck und Müllaufkommen in der Verantwortung, zukunftsfähige, nachhaltige Lösungen zu entwickeln und nicht weiter Teil des Problems zu sein. Interview: A3
Am 18. Oktober wird Andreas Willms das Projekt in Augsburg vorstellen auf der A3-Veranstaltung „Zirkuläres Bauen – Ideen von der Planung bis zum Abbruch“. Weitere Infos unter regiona3.com/calendar/circular_economy/