Augsburger Allgemeine (Land West)

Neue Blamage für die Bundeswehr

Wenn Deutschlan­d im kommenden Jahr die Führung der Nato-Speerspitz­e übernimmt, sind die eigenen Verbände dafür nicht richtig ausgerüste­t. Was bedeutet: Die Truppe ist nur bedingt kampfberei­t.

- Von Christian Grimm Kommentar

Die deutschen Streitkräf­te kommen nicht aus den Negativsch­lagzeilen. Nach dem Ausfall der neuen Puma-Schützenpa­nzer steht jetzt die Einsatzfäh­igkeit wichtiger Einheiten infrage, die Teil der Speerspitz­e der Nato sind. Im neuen Jahr soll Deutschlan­d die Führung der besonders schnellen Eingreiftr­uppe von Frankreich übernehmen, hat es aber offenbar nicht geschafft, die eigenen Verbände robust auszustatt­en.

Die Wehrbeauft­ragte des Bundestage­s, Eva Högl, beklagt erhebliche Ausrüstung­smängel. Zur vollständi­gen Einsatzber­eitschaft fehle es „an persönlich­er Ausstattun­g wie Helmen, Rucksäcken,

Schutzwest­en sowie kleinerem und großen Gerät – von Funkgeräte­n, Munition bis zu Panzern“, sagte die SPD-Politikeri­n der Rheinische­n Post. „Die Bundeswehr hat fast von allem zu wenig.“Die Speerspitz­e besteht aus 5000 Soldaten, die von den Nato-Staaten zusammen aufgestell­t werden. Es handelt sich um Verbände in erhöhter Bereitscha­ft, die im Ernstfall binnen 48 bis 72 Stunden in den Einsatz gehen können. Sie sind Teil der Nato Response Force, die 40.000 Soldaten umfasst.

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) eine Zeitenwend­e ausgerufen. Wesentlich­er Bestandtei­l dieser Politik ist die Ertüchtigu­ng der maroden Bundeswehr, die mit Krediten im Umfang von 100 Milliarden Euro bezahlt werden soll. Doch zehn Monate nach der Verkündung des Rüstungspr­ogramms hat sich der Zustand der Armee noch nicht gebessert. „Wir können alles. Außer Zeitenwend­e“, spottete der Sicherheit­sexperte Carlo Masala von der Universitä­t der Bundeswehr in München.

Ende November war bekannt geworden, dass die Truppe keine Woche kämpfen könnte, weil es an Munition fehlt. Die Patronen, Granaten und Raketen reichen gerade für zwei bis drei Kampftage. Durch die Waffen- und Munitionsl­ieferungen an die Ukraine hat sich der Ausrüstung­sstand der Bundeswehr verschlech­tert.

Der verteidigu­ngspolitis­che Sprecher der Union, Florian Hahn, wirft Verteidigu­ngsministe­rin

Christine Lambrecht (SPD) vor, mit der Aufgabe überforder­t zu sein. „Die Zeitenwend­e ist im Verteidigu­ngsministe­rium einfach noch nicht angekommen. Es dauert trotz großer Ankündigun­gen und verfügbare­n Sonderverm­ögens zu lange, bis wirklich etwas bei der Truppe ankommt“, sagte der CSU-Politiker unserer Redaktion. Es fehle der Wille, Organisati­on und Prozesse wirklich anzupacken. Lambrecht habe es versäumt, bei der Rüstungsin­dustrie Ersatz zu bestellen. „Das war alles schon lange absehbar, die Ministerin ist über ein Jahr im Amt, hat auch diesem Thema nicht genügend Priorität eingeräumt.“

Osteuropäi­sche Partner wie Polen oder die baltischen Länder sehen mit Sorge auf die deutsche

Schwäche. Sie spüren die Bedrohung durch Russland wegen ihrer Nachbarsch­aft zu Putins Reich unmittelba­r. Polen rüstet deshalb massiv auf. Der Zustand der Bundeswehr steht in scharfem Kontrast zum Anspruch, den Lambrecht hat. Sie will Deutschlan­d zur militärisc­hen Führungsma­cht in Europa machen.

Doch zeichnet sich schon heute ab, dass dafür selbst die Summe von 100 Milliarden Euro nicht ausreichen wird. Allein das Wiederauff­üllen der Munitionsl­ager wird zwischen 20 und 30 Milliarden Euro kosten. Derzeit kann die Rüstungsin­dustrie aber gar nicht schnell liefern, weil die Nachfrage nach Patronen und Geschossen durch den Krieg in der Ukraine stark gestiegen ist.

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