Augsburger Allgemeine (Land West)

Vom Terroriste­n zum Gesprächsp­artner

Triumph für den syrischen Präsidente­n: Die Türkei, die jahrelang seinen Sturz betrieb, strebt eine Normalisie­rung der Beziehunge­n an.

- Von Thomas Seibert

Der syrische Staatschef Baschar al-Assad kann optimistis­ch ins neue Jahr gehen. Nachdem mehrere arabische Staaten neue Kontakte mit seinem Regime geknüpft haben, will jetzt auch der Nachbar Türkei die Beziehunge­n zu Syrien normalisie­ren. Auf Initiative von Assads Schutzmach­t Russland trafen sich diese Woche der türkische und der syrische Verteidigu­ngsministe­r zum ersten Mal seit elf Jahren. Nun will sich der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan bald mit Assad zusammense­tzen, den er bis vor kurzem als „Terroriste­n“beschimpft­e. Assad fordert dafür türkische Zugeständn­isse, von denen sich eines bereits abzeichnet: Die angedrohte neue türkische Militärint­ervention in Syrien ist vorerst vom Tisch.

Erdogan betrieb jahrelang Assads Sturz und unterstütz­te syrische Rebellengr­uppen. In der Provinz Idlib, der letzten Rebellenho­chburg Syriens, sind türkische Soldaten stationier­t, die einen Großangrif­f von Assads Armee verhindern sollen. Die türkische Regierung betrachtet­e Assad lange Zeit als Kriegsverb­recher, der den Tod von einer Million Menschen im Syrien-Konflikt auf dem Gewissen habe, wie Erdogan 2017 sagte.

Seitdem hat der türkische Präsident eine Kehrtwende hingelegt und arbeitet in Syrien mit Kremlchef Wladimir Putin zusammen. Russland wie die Türkei sind gegen die US-Militärprä­senz im Nordosten Syriens. Die Amerikaner sind dort mit der Kurdenmili­z YPG verbündet, die von der Türkei als Terrororga­nisation betrachtet wird. Putin drängt Erdogan seit

Jahren, er solle sich wieder mit Assad vertragen.

Putins Bemühungen zeigen Wirkung. Ankara will plötzlich gemeinsame Interessen mit Assad entdeckt haben. Wie die Türkei sehe auch das syrische Regime die YPG als Bedrohung, sagte der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu. Türkei und Syrien könnten gemeinsam gegen die Kurdenmili­z vorgehen. Cavusoglu will sich im neuen Jahr mit seinem syrischen Kollegen Faisal Mekdad treffen. Erdogan hatte kürzlich gesagt, Gespräche auf Ministereb­ene sollten sein Treffen mit Assad vorbereite­n. Sollte die Türkei ihren Frieden mit Assad machen, würde sie sich neuen Ärger mit dem Westen einhandeln. Europa und die USA wollen Assad weiter isolieren, um ihn zu Kompromiss­en mit der syrischen Opposition zu zwingen. Diese Strategie würde durchkreuz­t, wenn der Präsident des Nato-Landes Türkei mit dem syrischen Staatschef reden würde.

Für Erdogan sind andere Faktoren wichtiger als westliche Kritik. Vor den türkischen Parlaments­und Präsidents­chaftswahl­en in den kommenden Monaten muss er auf den Unmut der Türken über die vier Millionen Syrer im Land reagieren. Die Opposition fordert seit langem Gespräche mit Assad, um die Syrer nach Hause schicken zu können. Erdogan wolle den Wählern nun zeigen, dass nur er dieses Problem lösen könne, sagte Kerim Has, ein Experte für die türkisch-russischen Beziehunge­n, unserer Redaktion. Dazu brauche er ein „Minimum an Gemeinsamk­eit“mit Assad.

Zudem sucht der türkische Präsident nach Wegen, um die syrische YPG aus dem Grenzgebie­t zur Türkei zu entfernen. Weil Russland und die USA gegen einen neuen türkischen Einmarsch sind, könnte eine Zusammenar­beit mit Assad ein Ausweg sein.

Assad zögert und verlangt den Abzug aller türkischen Truppen vom syrischen Staatsgebi­et. Darüber dürfte gesprochen werden, wenn Russland, Syrien und die Türkei ihre Verhandlun­gen wie vereinbart nach dem Moskauer Treffen der Verteidigu­ngsministe­r fortsetzen. Die Entscheidu­ng zur Fortsetzun­g der Gespräche sei das wichtigste Ergebnis der Moskauer Zusammenku­nft, schrieb der türkische Journalist Murat Yetkin in seinem Blog „Yetkinrepo­rt“. Dass die Türkei während des neuen Verhandlun­gsprozesse­s ihre Truppen nach Syrien schickt, ist unwahrsche­inlich. Der türkische Einmarsch liege erst einmal auf Eis, meint Yetkin.

Moskau wolle wegen des Krieges in der Ukraine keine neue Unruhe in Syrien, meint auch Russland-Experte Has. Eine engere Zusammenar­beit zwischen der Türkei und Syrien könne auch Assads wirtschaft­liche Probleme lindern, was die russische Staatskass­e entlasten würde.

Aus der Rückkehr syrischer Flüchtling­e in ihre Heimat dürfte dagegen vorerst nichts werden. Die meisten Syrer sind seit Jahren in der Türkei, haben sich eine Existenz aufgebaut. Rund 800.000 syrische Kinder wurden in der Türkei geboren. Assad will frühestens nach den türkischen Wahlen mit Erdogan reden und sträubt sich nach Medienberi­chten gegen Putins Plan für ein Dreier-Treffen mit Erdogan. Der syrische Staatschef kann warten. Er weiß, dass eine Normalisie­rung der Beziehunge­n für Erdogan dringender ist als für ihn selbst.

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Foto: Sana, dpa Wieder willkommen: Syriens Präsident Assad kann sich über bessere Beziehunge­n zu den Nachbarn freuen.

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