Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Wasserstoff-Rebellen aus Augsburg
Quantron baut Fahrzeuge mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb. Das Unternehmen von Andreas Haller hat einen Milliarden-Auftrag aus den USA bekommen. Künftig will er auch Rundum-Mobilitätspakete anbieten.
Das Fahrzeug fährt hinein in die Halle. Der Dieselmotor kommt raus, ein Elektromotor rein. Und wenn es gewünscht ist, kann das Fahrzeug auf Wasserstoff umgestellt werden. Der Weg zur Klimaneutralität kann einfach sein, das will das Unternehmen Quantron aus Gersthofen bei Augsburg beweisen. „Die Umrüstung eines Fahrzeugs ist häufig einfacher, als ein Neufahrzeug zu kaufen“, sagt Quantron-Gründer Andreas Haller, 44. Gerade ist es ein Müllfahrzeug, das das Quantron-Team zum Klimaschützer macht. Bis vor vier Wochen war es mit einem Dieselmotor in Darmstadt unterwegs. Doch das Startup rüstet nicht nur Fahrzeuge um, sondern entwickelt auch eigene und hat kürzlich mit einem Milliarden-Euro-Auftrag aus den USA für Aufsehen gesorgt hat.
Jetzt ist der Müllwagen aus Darmstadt blank geputzt, die Fahrerkabine ist nach vorne weggeklappt; wo früher der Tank war, sind inzwischen schrankgroße Batteriesysteme eingebaut. Damit kann der Müllwagen einen Tag lang durch die Straßen fahren und Tonnen leeren, ohne zu laden. Noch ist der Umbau relativ teuer, er kostet rund 400.000 Euro, mehr als ein neues Diesel-Müllauto. „Die Kommunen stehen allerdings durch europäische Vorgaben unter großem Druck, ihre Flotten auf klimaneutrale Antriebe umzustellen“, erklärt Haller.
Andreas Haller kommt dem Besucher mit schnellem Schritt entgegen. Blauer Anzug, Sneakers, rotblonde Haare. Das neue Firmengebäude im Industriegebiet zwischen Augsburg und Gersthofen täuscht darüber hinweg, dass Quantron einem über 140 Jahre alten Traditionsunternehmen entstammt. Die alteingesessene Haller-Gruppe aus Gersthofen hatte 1882 als Pferdekutscherei begonnen. „Zu unserer Gründung waren wir klimaneutral“, scherzt Andreas Haller. Später war die Gruppe das
erste Taxi-Unternehmen in Augsburg, heute übernimmt Haller die Wartung und Reparatur von Bussen. Andreas Haller stieg 2001 in fünfter Generation in den Familienbetrieb ein. Bald begann er den neuen Markt emissionsfreier Mobilität zu erschließen. Bereits 2011 habe er den ersten Elektrobus nach Osnabrück verkauft. Dann zog die Nachfrage nach Elektro-Lkw stark an. 2019 gründete Haller Quantron – ein Kunstwort aus „Quantensprung“und „Elektronik“. Inzwischen hat die Ausgliederung rund 120 Beschäftigte. Zählt man Ingenieurbüros, Softwareentwickler und Lohnfertiger hinzu, sind nach Unternehmensangaben rund 400 Menschen für Quantron tätig. Der Umsatz lag 2021 bei rund zehn Millionen Euro, dieses Jahr peilt man 15 Millionen Euro an.
Das Hauptgeschäft ist es derzeit, normale Kleintransporter zu
elektrifizieren, genauer gesagt den Iveco Daily. Das Unternehmen bestellt Neufahrzeuge, baut die Dieselmotoren aus, verkauft diese weiter und baut dafür Batterien und Elektromotoren ein. Rund 70 elektrifizierte Kleintransporter fahren derzeit allein in Österreich. Davon sind allein 50 für Ikea in Wien unterwegs. „Über Nacht geladen, speichern die größten Batterien genug Energie für rund 300 Kilometer Fahrt“, erklärt Haller. „Dies reicht für den üblichen Lieferverkehr in der Stadt aus; mit der Reichweite sind wir Marktführer.“
Quantron hat auch eigene Fahrzeuge im Angebot. Einige Schritte weiter glänzt ein futuristischer Kleintransporter. Das Unternehmen hat das Fahrzeug mit dem Namen Qargo selbst entwickelt; das erste Fahrzeug wird nach SaudiArabien ausgeliefert. Der „Star“aber ist eine selbst entwickelte
elektrische Sattelzugmaschine für ein Gesamtgewicht von bis zu 44 Tonnen. Allein mit Batterien betrieben hat der Laster eine Reichweite von bis zu 180 Kilometern; die neue Generation soll auf bis zu 350 Kilometer kommen.
Der batterieelektrische Lkw hat noch einen reichweitenstärkeren „Bruder“. Er beruht auf einem ganz anderen technologischen Konzept, das Quantron auf der Internationalen Automobil-Ausstellung für Nutzfahrzeuge vorgestellt hat. Hier wird die Sattelzugmaschine mit einer Brennstoffzelle, einem Wasserstofftank und einer Pufferbatterie ausgestattet. Das Fahrzeug kommt so auf eine Reichweite von bis zu 1000 Kilometern. Bei Quantron spricht man intern liebevoll vom „Biest“. Beide 44 Tonnen schweren Lkw werden in Augsburg gefertigt.
Mit Wasserstoff und Brennstoffzellen
angetriebene Laster spielen in den Überlegungen von Quantron seit Jahren eine große Rolle. Neben Kommunen stellen immer mehr Unternehmen ihre Logistik um, um Pakete, Kleidung und Lebensmittel CO2-frei auszulieren. Der Druck auf die Branche ist groß. Für die Zustellung in der Stadt – auf der letzten Meile bis zur Haustüre – seien batterieelektrische Fahrzeuge die beste Wahl. Für längere Distanzen über 400 Kilometer werde Wasserstoff als Energieträger zum Zug kommen, ist Haller überzeugt.
Aber kann es ein junges Unternehmen mit Großkonzernen wie MAN oder Daimler aufnehmen, die stark in neue Antriebe investieren? In den hellen Hallen von Quantron beugen sich Mitarbeiter über die Fahrzeuge, bauen Motoren aus, schrauben Halterungen für die Batterien ein. Der Betrieb ähnelte eher einer Manufaktur als einer Fließbandfertigung. „Wir arbeiten komplementär zu den Autoherstellern und sehen uns nicht als Konkurrenz“, betont Andreas Haller. Auch Rückschläge hat Quantron verkraften müssen, als zum Beispiel durch den Ukraine-Krieg eine große Bestellung von ElektroBussen storniert wurde. Doch Quantron ist längst mehr als ein reiner Fahrzeughersteller.
Quantron sieht das Hauptprodukt in Zukunft in einer Dienstleistung. Die Firma will anderen Unternehmen eine CO2-freie Logistik ermöglichen. Dafür stellt man klimaneutrale Fahrzeuge bereit, Treibstoff und die Wartung. Die Kunden zahlen dafür pro Kilometer eine Gebühr.
Ein großer Erfolg ist ein Großauftrag aus den USA: Bis Ende 2024 will Quantron dem US-Logistiker TMP bis zu 500 wasserstoffbetriebene Lkw zur Verfügung stellen, dazu den Brennstoff und die Wartung. Der Kraftakt kann nur mit Partnern gelingen. In der Brennstoffzellen-Technik arbeitet Quantron mit dem Wasserstoff-Spezialisten Ballard Power Systems zusammen. Die Fertigung der Trucks wird von der neu gegründeten Tochter Quantron U.S. an der Ostküste der USA übernommen. Die ersten 40 Fahrzeuge sollen 2023 auf die Straße kommen. „Ab 2024 soll es dann jeden Tag ein Fahrzeug sein“, sagt er. Es müssten aber letztlich nicht alle Fahrzeuge von Quantron stammen. „Wir sind ein Lösungsanbieter, um unsere Kunden hin zu Emissionsfreiheit zu begleiten“, erklärt Haller. Der Vertrag hat eine Laufzeit von acht Jahren. Alle in dieser Zeit bereitgestellten Kilometer summierten sich auf den Gegenwert von einer Milliarde Euro. Zur Vertragsunterzeichnung in Washington kam Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Der Freie WählerChef ist ein Wasserstoff-Fan.
Wohin sich die Dienstleistungsidee entwickeln könnte, sieht man in einem zur Leitstelle ausgebauten Büro: Bildschirme zeigen, wo gerade Quantron-Fahrzeuge in Europa unterwegs sind. Von Augsburg aus kann Quantron Daten der Fahrzeuge abrufen. Die können zum Beispiel Aufschluss geben, wann eine Wartung ansteht. „Der Markt für emissionsfreie Mobilität wird explodieren“, ist Haller überzeugt. Daran will das Unternehmen einen Anteil haben: „Unser Ziel ist es, bis 2030 über unsere Plattformen 50.000 Fahrzeuge in den USA und in Europa zu orchestrieren“, erklärt er. Wie realistisch sind solche Pläne?
Manchmal habe er sich angesichts der Zweifel und Fragen schon „wie ein Erklärbär“gefühlt, sagt Haller. „Dabei wissen wir, dass wir auf einer Weltkugel leben und Klimaschutz wichtig für uns alle ist“, meint er. „Die Technologie dafür ist da: Wir können einen Fuhrpark auf Emissionsfreiheit umstellen, mit Wasserstoff können wir unabhängig werden von der Ölindustrie und ölexportierenden Ländern.“Deshalb freut er sich, dass sein Unternehmen wächst. „Wir stellen pro Monat fünf bis zehn Mitarbeiter ein“, sagt er. Als Mittelständler könne man manchmal mehr bewegen als mancher Großkonzern. „Man braucht nur Leute, die an etwas glauben.“