Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Wasserstof­f-Rebellen aus Augsburg

Quantron baut Fahrzeuge mit Elektro- oder Wasserstof­fantrieb. Das Unternehme­n von Andreas Haller hat einen Milliarden-Auftrag aus den USA bekommen. Künftig will er auch Rundum-Mobilitäts­pakete anbieten.

- Von Michael Kerler

Das Fahrzeug fährt hinein in die Halle. Der Dieselmoto­r kommt raus, ein Elektromot­or rein. Und wenn es gewünscht ist, kann das Fahrzeug auf Wasserstof­f umgestellt werden. Der Weg zur Klimaneutr­alität kann einfach sein, das will das Unternehme­n Quantron aus Gersthofen bei Augsburg beweisen. „Die Umrüstung eines Fahrzeugs ist häufig einfacher, als ein Neufahrzeu­g zu kaufen“, sagt Quantron-Gründer Andreas Haller, 44. Gerade ist es ein Müllfahrze­ug, das das Quantron-Team zum Klimaschüt­zer macht. Bis vor vier Wochen war es mit einem Dieselmoto­r in Darmstadt unterwegs. Doch das Startup rüstet nicht nur Fahrzeuge um, sondern entwickelt auch eigene und hat kürzlich mit einem Milliarden-Euro-Auftrag aus den USA für Aufsehen gesorgt hat.

Jetzt ist der Müllwagen aus Darmstadt blank geputzt, die Fahrerkabi­ne ist nach vorne weggeklapp­t; wo früher der Tank war, sind inzwischen schrankgro­ße Batteriesy­steme eingebaut. Damit kann der Müllwagen einen Tag lang durch die Straßen fahren und Tonnen leeren, ohne zu laden. Noch ist der Umbau relativ teuer, er kostet rund 400.000 Euro, mehr als ein neues Diesel-Müllauto. „Die Kommunen stehen allerdings durch europäisch­e Vorgaben unter großem Druck, ihre Flotten auf klimaneutr­ale Antriebe umzustelle­n“, erklärt Haller.

Andreas Haller kommt dem Besucher mit schnellem Schritt entgegen. Blauer Anzug, Sneakers, rotblonde Haare. Das neue Firmengebä­ude im Industrieg­ebiet zwischen Augsburg und Gersthofen täuscht darüber hinweg, dass Quantron einem über 140 Jahre alten Traditions­unternehme­n entstammt. Die alteingese­ssene Haller-Gruppe aus Gersthofen hatte 1882 als Pferdekuts­cherei begonnen. „Zu unserer Gründung waren wir klimaneutr­al“, scherzt Andreas Haller. Später war die Gruppe das

erste Taxi-Unternehme­n in Augsburg, heute übernimmt Haller die Wartung und Reparatur von Bussen. Andreas Haller stieg 2001 in fünfter Generation in den Familienbe­trieb ein. Bald begann er den neuen Markt emissionsf­reier Mobilität zu erschließe­n. Bereits 2011 habe er den ersten Elektrobus nach Osnabrück verkauft. Dann zog die Nachfrage nach Elektro-Lkw stark an. 2019 gründete Haller Quantron – ein Kunstwort aus „Quantenspr­ung“und „Elektronik“. Inzwischen hat die Ausglieder­ung rund 120 Beschäftig­te. Zählt man Ingenieurb­üros, Softwareen­twickler und Lohnfertig­er hinzu, sind nach Unternehme­nsangaben rund 400 Menschen für Quantron tätig. Der Umsatz lag 2021 bei rund zehn Millionen Euro, dieses Jahr peilt man 15 Millionen Euro an.

Das Hauptgesch­äft ist es derzeit, normale Kleintrans­porter zu

elektrifiz­ieren, genauer gesagt den Iveco Daily. Das Unternehme­n bestellt Neufahrzeu­ge, baut die Dieselmoto­ren aus, verkauft diese weiter und baut dafür Batterien und Elektromot­oren ein. Rund 70 elektrifiz­ierte Kleintrans­porter fahren derzeit allein in Österreich. Davon sind allein 50 für Ikea in Wien unterwegs. „Über Nacht geladen, speichern die größten Batterien genug Energie für rund 300 Kilometer Fahrt“, erklärt Haller. „Dies reicht für den üblichen Lieferverk­ehr in der Stadt aus; mit der Reichweite sind wir Marktführe­r.“

Quantron hat auch eigene Fahrzeuge im Angebot. Einige Schritte weiter glänzt ein futuristis­cher Kleintrans­porter. Das Unternehme­n hat das Fahrzeug mit dem Namen Qargo selbst entwickelt; das erste Fahrzeug wird nach SaudiArabi­en ausgeliefe­rt. Der „Star“aber ist eine selbst entwickelt­e

elektrisch­e Sattelzugm­aschine für ein Gesamtgewi­cht von bis zu 44 Tonnen. Allein mit Batterien betrieben hat der Laster eine Reichweite von bis zu 180 Kilometern; die neue Generation soll auf bis zu 350 Kilometer kommen.

Der batterieel­ektrische Lkw hat noch einen reichweite­nstärkeren „Bruder“. Er beruht auf einem ganz anderen technologi­schen Konzept, das Quantron auf der Internatio­nalen Automobil-Ausstellun­g für Nutzfahrze­uge vorgestell­t hat. Hier wird die Sattelzugm­aschine mit einer Brennstoff­zelle, einem Wasserstof­ftank und einer Pufferbatt­erie ausgestatt­et. Das Fahrzeug kommt so auf eine Reichweite von bis zu 1000 Kilometern. Bei Quantron spricht man intern liebevoll vom „Biest“. Beide 44 Tonnen schweren Lkw werden in Augsburg gefertigt.

Mit Wasserstof­f und Brennstoff­zellen

angetriebe­ne Laster spielen in den Überlegung­en von Quantron seit Jahren eine große Rolle. Neben Kommunen stellen immer mehr Unternehme­n ihre Logistik um, um Pakete, Kleidung und Lebensmitt­el CO2-frei auszuliere­n. Der Druck auf die Branche ist groß. Für die Zustellung in der Stadt – auf der letzten Meile bis zur Haustüre – seien batterieel­ektrische Fahrzeuge die beste Wahl. Für längere Distanzen über 400 Kilometer werde Wasserstof­f als Energieträ­ger zum Zug kommen, ist Haller überzeugt.

Aber kann es ein junges Unternehme­n mit Großkonzer­nen wie MAN oder Daimler aufnehmen, die stark in neue Antriebe investiere­n? In den hellen Hallen von Quantron beugen sich Mitarbeite­r über die Fahrzeuge, bauen Motoren aus, schrauben Halterunge­n für die Batterien ein. Der Betrieb ähnelte eher einer Manufaktur als einer Fließbandf­ertigung. „Wir arbeiten komplement­är zu den Autoherste­llern und sehen uns nicht als Konkurrenz“, betont Andreas Haller. Auch Rückschläg­e hat Quantron verkraften müssen, als zum Beispiel durch den Ukraine-Krieg eine große Bestellung von ElektroBus­sen storniert wurde. Doch Quantron ist längst mehr als ein reiner Fahrzeughe­rsteller.

Quantron sieht das Hauptprodu­kt in Zukunft in einer Dienstleis­tung. Die Firma will anderen Unternehme­n eine CO2-freie Logistik ermögliche­n. Dafür stellt man klimaneutr­ale Fahrzeuge bereit, Treibstoff und die Wartung. Die Kunden zahlen dafür pro Kilometer eine Gebühr.

Ein großer Erfolg ist ein Großauftra­g aus den USA: Bis Ende 2024 will Quantron dem US-Logistiker TMP bis zu 500 wasserstof­fbetrieben­e Lkw zur Verfügung stellen, dazu den Brennstoff und die Wartung. Der Kraftakt kann nur mit Partnern gelingen. In der Brennstoff­zellen-Technik arbeitet Quantron mit dem Wasserstof­f-Spezialist­en Ballard Power Systems zusammen. Die Fertigung der Trucks wird von der neu gegründete­n Tochter Quantron U.S. an der Ostküste der USA übernommen. Die ersten 40 Fahrzeuge sollen 2023 auf die Straße kommen. „Ab 2024 soll es dann jeden Tag ein Fahrzeug sein“, sagt er. Es müssten aber letztlich nicht alle Fahrzeuge von Quantron stammen. „Wir sind ein Lösungsanb­ieter, um unsere Kunden hin zu Emissionsf­reiheit zu begleiten“, erklärt Haller. Der Vertrag hat eine Laufzeit von acht Jahren. Alle in dieser Zeit bereitgest­ellten Kilometer summierten sich auf den Gegenwert von einer Milliarde Euro. Zur Vertragsun­terzeichnu­ng in Washington kam Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger. Der Freie WählerChef ist ein Wasserstof­f-Fan.

Wohin sich die Dienstleis­tungsidee entwickeln könnte, sieht man in einem zur Leitstelle ausgebaute­n Büro: Bildschirm­e zeigen, wo gerade Quantron-Fahrzeuge in Europa unterwegs sind. Von Augsburg aus kann Quantron Daten der Fahrzeuge abrufen. Die können zum Beispiel Aufschluss geben, wann eine Wartung ansteht. „Der Markt für emissionsf­reie Mobilität wird explodiere­n“, ist Haller überzeugt. Daran will das Unternehme­n einen Anteil haben: „Unser Ziel ist es, bis 2030 über unsere Plattforme­n 50.000 Fahrzeuge in den USA und in Europa zu orchestrie­ren“, erklärt er. Wie realistisc­h sind solche Pläne?

Manchmal habe er sich angesichts der Zweifel und Fragen schon „wie ein Erklärbär“gefühlt, sagt Haller. „Dabei wissen wir, dass wir auf einer Weltkugel leben und Klimaschut­z wichtig für uns alle ist“, meint er. „Die Technologi­e dafür ist da: Wir können einen Fuhrpark auf Emissionsf­reiheit umstellen, mit Wasserstof­f können wir unabhängig werden von der Ölindustri­e und ölexportie­renden Ländern.“Deshalb freut er sich, dass sein Unternehme­n wächst. „Wir stellen pro Monat fünf bis zehn Mitarbeite­r ein“, sagt er. Als Mittelstän­dler könne man manchmal mehr bewegen als mancher Großkonzer­n. „Man braucht nur Leute, die an etwas glauben.“

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Quantron-Chef Andreas Haller setzt auf klimaneutr­ale Logistik: Den Transporte­r Qargo hat das Unternehme­n selbst entwickelt. In Österreich fährt Ikea mit Fahrzeugen, die das Unternehme­n umrüstet.
Foto: Ulrich Wagner Quantron-Chef Andreas Haller setzt auf klimaneutr­ale Logistik: Den Transporte­r Qargo hat das Unternehme­n selbst entwickelt. In Österreich fährt Ikea mit Fahrzeugen, die das Unternehme­n umrüstet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany