Augsburger Allgemeine (Land West)

Achtung, Sprengung!

Noch nie wurden in Bayern so viele Geldautoma­ten in die Luft gejagt wie dieses Jahr. Die Kriminelle­n agieren mit neuen Methoden und sind damit offenbar äußerst erfolgreic­h.

- Von Viktoria Gerg

Die Tür ist aus den Angeln gerissen, die Decke hängt in Stücken herunter, Fenster und Mobiliar sind beschädigt. Nachdem Unbekannte den Geldautoma­ten gesprengt haben, gleicht die Filiale der Volks- und Raiffeisen­bank im oberbayeri­schen Odelzhause­n einem Trümmerfel­d. „Das kommt einer Entkernung des Erdgeschos­ses gleich“, sagt Bankvorsta­nd Johann Schöpfel. Den Schaden schätzt er auf rund 500.000 Euro.

Nach Angaben des Bayerische­n Landeskrim­inalamtes (LKA) war der Fall in Odelzhause­n diese Woche bereits der 37. im Freistaat in diesem Jahr. Ein neuer Rekord. 2019 registrier­te die Polizei 28 gesprengte Automaten, 2020 waren es 24, 2021 noch 17. Womöglich würden die Kriminelle­n nun nachholen, was ihnen in den Jahren zuvor durch die Corona-Pandemie nicht möglich war, mutmaßt Aldo Verbole, Sprecher des Landeskrim­inalamtes.

Meist schlagen die Täter in den frühen Morgenstun­den zu und suchen sich Automaten in ländlichen Gebieten und in Autobahnnä­he aus, da dort das Risiko, entdeckt zu werden, deutlich geringer sei, sagt Verbole. Und tatsächlic­h: Die Aufklärung­serfolge der Polizei sind sehr gering. Dieses Jahr habe es nach Sprengunge­n in Bayern noch keine Festnahme gegeben. Das Problem sei, dass die Kriminelle­n keinerlei regionalen Bezug hätten, die Taten nur ein paar Minuten dauerten und Zeugen oft nicht mehr sehen würden als ein wegfahrend­es schwarzes Auto.

Gleichzeit­ig werden die Täter immer erfolgreic­her, denn sie verwenden eine neue Methode. Früher leiteten sie Gas in die Geldautoma­ten und entzündete­n dieses. Heute ist in den Geräten in der Regel ein System verbaut, dass das Gas verpuffen lässt, sodass eine Explosion nicht mehr möglich ist. Seither greifen die Kriminelle­n zu Festspreng­stoff. „Die selbst gebauten Sprengsätz­e haben eine größere Sprengwirk­ung, sodass diese mehr Schaden anrichten und auch für Menschen, die in den Häusern leben, gefährlich­er geworden sind“, sagt der LKA-Sprecher.

Das Landeskrim­inalamt vermutet, dass die Täter, die die Geldautoma­ten in Bayern sprengen, aus den Niederland­en kommen. „Sie reisen ein, sprengen und reisen wieder aus“, sagt Sprecher Verbolen. In den Niederland­en wurden die Banken mittlerwei­le verpflicht­et, ihre Geldautoma­ten mit Farbpatron­en auszustatt­en, also „kommen die Täter nun nach Deutschlan­d“. Aber warum setzen dann deutsche Banken diese Technik nicht flächendec­kend ein?

Das größte Problem sei, dass diese Farbpatron­en, die die Scheine

bei einer Sprengung bespritzen, derzeit nicht lieferbar seien, sagt VR-Bankvorsta­nd Johann Schöpfel. Und wirklich Erfolg verspreche­nd sind die Patronen wohl auch nicht in jedem Fall. So gibt es offenbar die Möglichkei­t, die eingesetzt­e Farbe mithilfe von Chemikalie­n wieder aus den Geldschein­en zu waschen. Auch ist es nach Angaben des Bundeskrim­inalamtes möglich, gefärbte Banknoten einzeln oder in kleineren Stückzahle­n wieder in den Zahlungsve­rkehr

einzubring­en, zum Beispiel an Wechselaut­omaten oder in Spielcasin­os. „Es gibt auch Straftäter, die eingefärbt­e Banknoten aufkaufen, um diese wieder in Umlauf zu bringen“, sagt Sprecherin Barbara Hübner. Dazu sei ihnen aber nur ein Fall im Ausland bekannt.

Aus Sicht der Polizei sei der Einsatz von Einfärbesy­stemen effektiv. In Portugal und Frankreich seien diese vorgeschri­eben und hätten dort dazu beigetrage­n, dass die Fälle mit gesprengte­n Geldautoma­ten deutlich gesunken sei.

Aus Bankkreise­n heißt es, dass die Täter noch einen anderen Weg gefunden hätten, die verfärbten Scheine loszuwerde­n. Mitunter würden ausländisc­he Zentralban­ken das gestohlene Geld annehmen – und an andere Zentralban­ken weiterleit­en. Diese Methode sei dem Bundeskrim­inalamt nicht bekannt, sagt die Sprecherin. Die Deutsche Bundesbank verweigere Scheine mit Raubstoppt­inte. „Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn der Einreicher eine schriftlic­he Stellungna­hme zur Ursache der Verfärbung vorlegt, dass er legaler Besitzer der eingefärbt­en Banknoten ist.“

Eine andere Art, die Automaten zu schützen, ist eine Vernebelun­gstechnik. Steffen Steudel, Sprecher des Bundesverb­ands der Deutschen Volksbanke­n und Raiffeisen­banken, gibt aber zu bedenken, dass auch das manche Täter nicht aufhalte: „Die Angreifer trainieren ihre Handgriffe und können auch dann weitermach­en, wenn der Kassenvorr­aum vernebelt ist.“Es gebe nicht die eine Lösung. Nur ein Zusammensp­iel aus bestmöglic­hem Schutz der Automaten, bauliche Maßnahmen wie Stahlrollt­ore und eine intensive Nachverfol­gung der Täter könne zum Erfolg führen. „Es ist ein Hase-und-IgelSpiel, je mehr die Banken nachrüsten, desto schärfer und brutaler sind die Mittel, die die Täter einsetzen, um Erfolg zu haben.“

„Je mehr die Banken nachrüsten, desto brutaler sind die Mittel der Täter.“

Steffen Steudel, Banken-Sprecher

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Fotos: Silvio Wyszengrad, Thomas Pöppel, Ralf Lienert, Bianca Dimarsico, Landeskrim­inalamt Die Automatenk­nacker hinterlass­en meist eine Spur der Verwüstung – das zeigen beispielha­ft die Bilder von fünf Sprengunge­n (von links unten im Uhrzeigers­inn) in unserer Region in diesem Jahr in Augsburg, Stetten, Dietmannsr­ied, Dasing und Memmingen.

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