Augsburger Allgemeine (Land West)
Achtung, Sprengung!
Noch nie wurden in Bayern so viele Geldautomaten in die Luft gejagt wie dieses Jahr. Die Kriminellen agieren mit neuen Methoden und sind damit offenbar äußerst erfolgreich.
Die Tür ist aus den Angeln gerissen, die Decke hängt in Stücken herunter, Fenster und Mobiliar sind beschädigt. Nachdem Unbekannte den Geldautomaten gesprengt haben, gleicht die Filiale der Volks- und Raiffeisenbank im oberbayerischen Odelzhausen einem Trümmerfeld. „Das kommt einer Entkernung des Erdgeschosses gleich“, sagt Bankvorstand Johann Schöpfel. Den Schaden schätzt er auf rund 500.000 Euro.
Nach Angaben des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) war der Fall in Odelzhausen diese Woche bereits der 37. im Freistaat in diesem Jahr. Ein neuer Rekord. 2019 registrierte die Polizei 28 gesprengte Automaten, 2020 waren es 24, 2021 noch 17. Womöglich würden die Kriminellen nun nachholen, was ihnen in den Jahren zuvor durch die Corona-Pandemie nicht möglich war, mutmaßt Aldo Verbole, Sprecher des Landeskriminalamtes.
Meist schlagen die Täter in den frühen Morgenstunden zu und suchen sich Automaten in ländlichen Gebieten und in Autobahnnähe aus, da dort das Risiko, entdeckt zu werden, deutlich geringer sei, sagt Verbole. Und tatsächlich: Die Aufklärungserfolge der Polizei sind sehr gering. Dieses Jahr habe es nach Sprengungen in Bayern noch keine Festnahme gegeben. Das Problem sei, dass die Kriminellen keinerlei regionalen Bezug hätten, die Taten nur ein paar Minuten dauerten und Zeugen oft nicht mehr sehen würden als ein wegfahrendes schwarzes Auto.
Gleichzeitig werden die Täter immer erfolgreicher, denn sie verwenden eine neue Methode. Früher leiteten sie Gas in die Geldautomaten und entzündeten dieses. Heute ist in den Geräten in der Regel ein System verbaut, dass das Gas verpuffen lässt, sodass eine Explosion nicht mehr möglich ist. Seither greifen die Kriminellen zu Festsprengstoff. „Die selbst gebauten Sprengsätze haben eine größere Sprengwirkung, sodass diese mehr Schaden anrichten und auch für Menschen, die in den Häusern leben, gefährlicher geworden sind“, sagt der LKA-Sprecher.
Das Landeskriminalamt vermutet, dass die Täter, die die Geldautomaten in Bayern sprengen, aus den Niederlanden kommen. „Sie reisen ein, sprengen und reisen wieder aus“, sagt Sprecher Verbolen. In den Niederlanden wurden die Banken mittlerweile verpflichtet, ihre Geldautomaten mit Farbpatronen auszustatten, also „kommen die Täter nun nach Deutschland“. Aber warum setzen dann deutsche Banken diese Technik nicht flächendeckend ein?
Das größte Problem sei, dass diese Farbpatronen, die die Scheine
bei einer Sprengung bespritzen, derzeit nicht lieferbar seien, sagt VR-Bankvorstand Johann Schöpfel. Und wirklich Erfolg versprechend sind die Patronen wohl auch nicht in jedem Fall. So gibt es offenbar die Möglichkeit, die eingesetzte Farbe mithilfe von Chemikalien wieder aus den Geldscheinen zu waschen. Auch ist es nach Angaben des Bundeskriminalamtes möglich, gefärbte Banknoten einzeln oder in kleineren Stückzahlen wieder in den Zahlungsverkehr
einzubringen, zum Beispiel an Wechselautomaten oder in Spielcasinos. „Es gibt auch Straftäter, die eingefärbte Banknoten aufkaufen, um diese wieder in Umlauf zu bringen“, sagt Sprecherin Barbara Hübner. Dazu sei ihnen aber nur ein Fall im Ausland bekannt.
Aus Sicht der Polizei sei der Einsatz von Einfärbesystemen effektiv. In Portugal und Frankreich seien diese vorgeschrieben und hätten dort dazu beigetragen, dass die Fälle mit gesprengten Geldautomaten deutlich gesunken sei.
Aus Bankkreisen heißt es, dass die Täter noch einen anderen Weg gefunden hätten, die verfärbten Scheine loszuwerden. Mitunter würden ausländische Zentralbanken das gestohlene Geld annehmen – und an andere Zentralbanken weiterleiten. Diese Methode sei dem Bundeskriminalamt nicht bekannt, sagt die Sprecherin. Die Deutsche Bundesbank verweigere Scheine mit Raubstopptinte. „Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn der Einreicher eine schriftliche Stellungnahme zur Ursache der Verfärbung vorlegt, dass er legaler Besitzer der eingefärbten Banknoten ist.“
Eine andere Art, die Automaten zu schützen, ist eine Vernebelungstechnik. Steffen Steudel, Sprecher des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, gibt aber zu bedenken, dass auch das manche Täter nicht aufhalte: „Die Angreifer trainieren ihre Handgriffe und können auch dann weitermachen, wenn der Kassenvorraum vernebelt ist.“Es gebe nicht die eine Lösung. Nur ein Zusammenspiel aus bestmöglichem Schutz der Automaten, bauliche Maßnahmen wie Stahlrolltore und eine intensive Nachverfolgung der Täter könne zum Erfolg führen. „Es ist ein Hase-und-IgelSpiel, je mehr die Banken nachrüsten, desto schärfer und brutaler sind die Mittel, die die Täter einsetzen, um Erfolg zu haben.“
„Je mehr die Banken nachrüsten, desto brutaler sind die Mittel der Täter.“
Steffen Steudel, Banken-Sprecher