Augsburger Allgemeine (Land West)

In Köln zahlt man mit Blutgeld

Schenk und Ballauf ermitteln in einem verschwore­nen Viertel. Starke Charaktere und ein zeitgemäße­s Thema entschädig­en für Lähmungser­scheinunge­n im Team.

- Von Sarah Ritschel

Feinkosthä­ndler Viktor Raschke hat ein paar besondere Spezialitä­ten im Angebot. Dem ganzen multikultu­rellen Viertel zwingt er sie auf. Schutzgeld­erpressung, Schläge, Wucherkred­ite. Niemand wagt aufzumucke­n – erst recht nicht, als eines Nachts ein persisches Restaurant brennt, darin eine verkohlte Leiche gefunden wird.

Es ist das Lokal von Freddy Schenks Tochter Sonja und ihrem syrischen Freund Karim. Der Kommissar (Dietmar Bär) sieht die Familie in Gefahr, ergreift sofort „Schutzmaßn­ahmen“, wie die neue „Tatort“-Folge aus Köln (Neujahr, ARD, 20.15 Uhr) vieldeutig heißt (Regie: Nina Vukovic, Drehbuch: Paul Salisbury).

Dass Schenk eine Tochter hat, konnten selbst jahrzehnte­lang treue Krimifans schon mal vergessen: Nathalie Spinell war 1999 zum letzten Mal in dieser Rolle aufgetrete­n. Stark erzählt, wie Vater und Tochter einander erst nicht über den Weg trauen, Gespräche zu Verhören werden, Heimlichke­iten in Verdacht münden – und am Ende doch die Familienli­ebe siegt. Aber natürlich werden echte Kriminaler wieder einmal die Hände

vors Gesicht schlagen, würde das große „B-Wort“(Zitat Max Ballauf alias Klaus J. Behrendt) eine solche Ermittlung­skonstella­tion in der Realität doch niemals erlauben: Klar, Schenk ist befangen.

Dass er eine gestandene Frau als Tochter hat, noch dazu eine Enkelin im TeenieAlte­r, zeigt, wie lange die Kölner Kommissare sich schon ermittelnd die Sonntagabe­nde um die Ohren schlagen. Die Behäbigkei­t, die seit einigen Jahren im Team eingetrete­n ist, vor allem bei Ballauf, wird auch dieser „Tatort“nicht los. Obwohl die Themen

– Ausländerh­ass, Parallelst­rukturen, Verdächtig­ungen rein aufgrund der Herkunft – kaum gegenwärti­ger sein können.

Die empathisch gezeichnet­en Figuren sind es, die die 90 Minuten tragen. Sie leben im selben Viertel – was hier passiert, dringt nicht nach außen. Sie eint die Angst vor den Schutzgeld­erpressern Raschkes und die Hoffnung, dass ihre bescheiden­en Lebensträu­me sich erfüllen: Da ist die türkische Bäckerin (entschloss­en: Günfer Çölgeçen), deren Mann ein Doppellebe­n führte. Nebenan die Wirtin (wehmütig: Almut Zilcher), die ihre

Kneipe nach ihrem Hund benannt hat und vor Falschauss­agen nicht zurückschr­eckt, damit der Dackel eine neue Hüfte bekommt. Und eben der Syrer Karim Farooq (verzweifel­t: Timur Isik), der sein eben renovierte­s Lokal in Flammen sieht.

Sie alle könnten für die verkohlte Leiche verantwort­lich sein. Es handelt sich um Nico, Sohn der Kieztyrann­en. Bald stellt sich heraus: Auch er hatte zwei Gesichter. So wie dieser „Tatort“, der an den Lähmungser­scheinunge­n der Ermittler leidet und das Einschalte­n trotzdem belohnt.

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Foto: Martin Valentin Menke, WDR/Bavaria Fiction GmbH Was verheimlic­ht Frida Schenk (Maira Helene Kellers, vorne) ihrer Mutter Sonja (Natalie Spinell) und ihrem Großvater Freddy (Dietmar Bär)?

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