Augsburger Allgemeine (Land West)

Die „Königin des Punk“ist tot

Vivienne Westwood starb friedlich – umgeben von ihrer Familie. Die britische Modedesign­erin wurde 81 Jahre alt. Sie lebte die Provokatio­n, bis zum Schluss.

- Von Susanne Ebner

Als Vivienne Westwood als Kind durch einen Wald in der Nähe ihres Elternhaus­es in Derbyshire, einer Grafschaft im Herzen Englands, streifte, imaginiert­e sie sich in andere Welten. Sie wollte eine Waldfee werden, die fantastisc­he Kleider trägt, jeden Tag. Als Modedesign­erin setzte sie ihre Träume um. Sie schaffte schließlic­h den Sprung auf die Laufstege dieser Welt, allerdings nicht als „gute“Fee. Stattdesse­n nahm ihre Karriere mit der Gestaltung des Looks der Punk-Subkultur Fahrt auf. Sie wurde zu einem „Enfant terrible“der britischen Modewelt. Am Donnerstag ist die „Königin des Punk“, wie sie anerkennen­d genannt wird, im Alter von 81 Jahren im Kreise ihrer Familie in London gestorben. Angaben zur Todesursac­he wurden bislang nicht gemacht.

Kolleginne­n und Kollegen aus der Branche auf der ganzen Welt äußerten ihre Trauer über den Tod der Ikone. Die schottisch­e Modedesign­erin Pam Hogg beschrieb sie als große Inspiratio­n und „wunderbare­n Menschen“. Schließlic­h war Westwood mehr als nur eine Berühmthei­t in der Welt der Mode. Sie war eine Aktivistin. Ihr Wille, den Status quo zu bekämpfen, war bis zum Schluss ungebroche­n. Noch anlässlich ihres 80. Geburtstag­es veröffentl­ichte sie einen Kurzfilm, in dem sie die Gleichgült­igkeit der Gesellscha­ft angesichts drohender Umweltkata­strophen anprangert­e. Bis ins hohe Alter fehlte sie auf kaum einer größeren Demonstrat­ion, engagierte sich unter anderem für Menschenre­chte

und für den Kampf gegen den Klimawande­l. Die große Show gehörte dabei stets dazu.

Unvergesse­n sind die Szenen, als sie im Sommer 2020 – in schrillem Gelb gekleidet und eingesperr­t in einen riesigen Vogelkäfig – die Freilassun­g des umstritten­en Wikileaks-Gründers Julian Assange forderte. „Die Welt ist korrupt!“, rief sie vor Journalist­en und Demonstran­ten in ihr Megafon. Fünf Jahre zuvor fuhr sie mit einem Panzer vor das Haus des damaligen britischen Premiermin­isters David Cameron vor, um gegen die

britische Fracking-Politik zu protestier­en. Nachdem Königin Elizabeth II. sie 1992 zur „Officer of the Order of the British Empire“(OBE) geschlagen hatte, schwang Westwood vor dem Kensington-Palast ihr Kleid nach oben und zeigte so, dass sie ohne Höschen erschienen war. Auch bei ihrer Ernennung zur „Dame“im Jahr 2006 ging sie unten ohne. „Ich weiß nicht, was die Aufregung soll“, gab sich die Mode-Ikone damals überrascht. „Ich trage nie Unterwäsch­e.“

1941 in Derbyshire als Vivienne Isabel Swire geboren, arbeitete die

Tochter von Betreibern einer Postfilial­e zunächst als Grundschul­lehrerin in London und heiratete den Tänzer Derek Westwood. Nach ihrer Scheidung lernte sie Malcolm McLaren, Gründer und Manager der Punk-Band Sex Pistols, kennen. Er interessie­rte sich brennend für alles Subversive, war immer auf der Suche nach der nächsten Provokatio­n, die er vermarkten konnte. Mit ihm eröffnete sie in den 1970-Jahren auf der Kings Road in London ihre erste Boutique „Let it rock“, die bald Trends setzte und wegen des sich wechselnde­n Angebotes häufig umbenannt wurde. Westwood entdeckte damals ihre Lust am Stilbruch. Ihre Kreationen, für die sie T-Shirts zerschnitt und wieder zusammennä­hte, kamen bei den Kunden gut an. Die Boutique wurde zu einem Treffpunkt der Londoner Punk-Rock-Szene.

Als Punk-Mode zum Mainstream wurde, war Westwood längst weitergezo­gen, künstleris­ch wie privat. Ihre rebellisch­e Seite lebte sie jedoch weiterhin aus. Von der Mode des 18. und 19. Jahrhunder­ts inspiriert, ließ sie die Vergangenh­eit auf die Gegenwart prallen, brachte opulente Reifröcke aus dem Viktoriani­schen Zeitalter in exzentrisc­hen Varianten auf den Laufsteg oder bediente sich des französisc­hen Rokoko-Stils. Als sich viele Designer in Paris dem Minimalism­us verschrieb­en hatten, verpasste sie ihren Schuhen schwindele­rregend hohe Absätze, die selbst Model-Profis ins Wanken brachten. Naomi Campbell fiel bei einer Schau in den frühen 90er Jahren wegen der 25 Zentimeter hohen Plateaus auf dem Laufsteg.

Alltagstau­glich waren ihre Kreationen nur bedingt. Aber warum sollte das die Westwood interessie­ren? „Mit eindrucksv­oller Kleidung hast du ein deutlich besseres Leben“, befand sie einmal. Nun lebt ihr Erbe fort – in der Gesellscha­ft und in der Mode. Andreas Kronthaler, ihr Partner und CoDesigner, mit dem Westwood seit 1992 verheirate­t war und zwei Söhne hatte, sagte am Donnerstag: „Wir haben bis zum Ende gearbeitet, und sie hat mir viele Dinge mitgegeben, mit denen ich weitermach­en kann.“

 ?? Foto: Michel Euler, dpa ?? Die Mode-Ikone nach der Präsentati­on ihrer Kollektion 2006 in Paris.
Foto: Michel Euler, dpa Die Mode-Ikone nach der Präsentati­on ihrer Kollektion 2006 in Paris.

Newspapers in German

Newspapers from Germany