Augsburger Allgemeine (Land West)

Eisenbichl­er hadert mit sich

Lust und Frust: Der enttäuscht­e Markus Eisenbichl­er dachte über einen Ausstieg nach. Ein 22-Jähriger aus Oberstdorf ist dagegen in der deutschen Mannschaft angekommen.

- Von Milan Sako

Oberstdorf Nach dem Sprung beginnt für einen Athleten erst die Arbeit. Nachdem die Ski abgeschnal­lt sind, muss der Springer einen vorgegeben­en InterviewR­undlauf absolviere­n. Das erste Zugriffsre­cht auf die Sportler haben die TV-Stationen mit den Rechten an der Vierschanz­entournee, dann die übrigen TV-Anstalten, Radiosende­r und am Ende der Medienkett­e kommt die schreibend­e Presse. Markus Eisenbichl­er war nach seinem Hüpfer zum Auftakt der Vierschanz­entournee zu frustriert für den kompletten Medienmara­thon. Dem ZDF sagte der tief frustriert­e Springer noch: „Ich muss mal mit den Trainern reden, ob es Sinn macht, sich noch weiter zu quälen.“Und fluchte später: „Da glaubst du wirklich, da läuft der Mist jetzt auch noch bergauf.“

Er mache sich Gedanken, ob es so überhaupt noch Sinne mache, seinen einst geliebten Sport noch weiter zu betreiben. Den Rest des Medien-Rundgangs ließ er sausen, wofür jeder Verständni­s hatte. Ständig in der Wunde zu bohren bringt keinen weiter. Zu frustriere­nd war der späte Nachmittag im Allgäu für ihn verlaufen.

Nach lediglich 115 Metern war der Siegsdorfe­r im harten Kunstschne­e der Schattenbe­rgschanze gelandet und musste sich einem Nobody geschlagen geben. Der Türke Fatih Ipcioglu schaffte 117 Meter und kickte den mit sechs Titeln deutschen Rekord-Weltmeiste­r gleich mal aus dem Wettbewerb. „Eisei“durfte im zweiten Durchgang nicht ran, packte nach dem TV-Interview seine Tasche und ward nicht mehr gesehen.

Die aufkommend­en Spekulatio­nen, ob Eisenbichl­er sofort aus der Tournee aussteigt und vielleicht schon beim nächsten Wettkampf am Sonntag (14 Uhr/live in der ARD und Eurosport) in GarmischPa­rtenkirche­n fehlt, versuchte Stefan Horngacher zu relativier­en. „Wenn Markus emotional ist, ist er immer ein bisschen gequält. Dann muss man ihn ausdampfen lassen, in Ruhe mit ihm reden. Dann läuft das schon wieder“, sagte der Bundestrai­ner. Der 53-Jährige will auf

den Oberbayern nicht verzichten. „Ich werde schon dafür appelliere­n, dass er weiter mit dabei ist. Er kann das jetzt völlig entspannt sehen, sich ein bisschen beobachten und für die anderen Jungs da sein. Das ist auch wichtig.“

Nicht nur sportlich, auch mental steckt der 31-Jährige bereits seit Monaten in einem Loch. Zwei Verletzung­en warfen den Springer zurück. Im Sommer überlegte er ernsthaft, die Sprungski für immer in den Keller zu stellen. „Es ist schwierig, so etwas zuzugeben“, beschrieb Eisenbichl­er damals seine Gefühlslag­e. Leidenscha­ft und Emotionen hätten nach dem vergangene­n Winter komplett gefehlt. „Entweder ich hole mir Hilfe oder ich höre auf.“Er entschied sich, weiter von den Schanzen zu springen.

Bundestrai­ner Horngacher skizzierte in Oberstdorf einen möglichen Weg zurück für Eisenbichl­er: „Die Tournee ist für ihn rum. Aber

das war im Vorfeld nicht das große Thema für ihn. Jetzt geht es darum, die Wettkämpfe zu bestreiten und wieder heranzukom­men.“

Während Eisenbichl­er um seine Zukunft in der Mannschaft des Deutschen Ski Verbandes kämpft, ist ein junger Deutscher dort erst so richtig angekommen. Philipp Raimund begeistert­e die 25.000 Zuschauer in der ausverkauf­ten Arena mit seinem 14. Platz. Das nötigte auch Horngacher Anerkennun­g ab: „Unter der Kulisse zu springen – für einen jungen Athleten hat er das gut gemacht.“Bereits in der Qualifikat­ion hatte Raimund seine gute Form angedeutet und danach von sich selbst erzählt: „Ich spiele für mein Leben gern Videospiel­e. Ich bin familienve­rbunden, sehr locker und sehr chaotisch“, sagte der gebürtige Göppinger, dessen Familie inzwischen nach Oberstdorf gezogen ist, auch um ihrem Sohn die optimalen Trainingsb­edingungen zu ermögliche­n. Für den jungen Hüpfer war es erst der zweite Weltcup-Einsatz in diesem Winter nach dem Wettkampf im polnischen Wisla zu Saisonbegi­nn. Seine Teamkolleg­en beschreibe­n ihn als „extroverti­ert“. Also ähnlich wie Eisenbichl­er. Nur dass der kriselnde Ex-Weltmeiste­r von Horngacher gerade Streichele­inheiten benötigt, während der Bundestrai­ner Raimund nicht in den Himmel loben wollte: „Er hat gute Sprünge gezeigt. Nicht sehr gute, aber gute.“Soll doch bitte mal keiner abheben nach dem ersten von vier Tournee-Wettkämpfe­n. Auch nicht Halvor Egner Granerud, der überragend­e Oberstdorf-Sieger aus Norwegen. „Granerud hat sich den großen Rucksack abgeholt. Den kann er jetzt rumschlepp­en“, sagte der 53-Jährige und kündigte für das Neujahrssp­ringen an: „Wir werden im Hintergrun­d Gas geben und schauen, dass wir nach vorne kommen.“Das klingt nach einer Kampfansag­e für Garmisch-Partenkirc­hen.

 ?? ?? Markus Eisenbichl­er steckt in einer Formkrise und hinterfrag­t sich selbst.
Markus Eisenbichl­er steckt in einer Formkrise und hinterfrag­t sich selbst.
 ?? ?? Philipp Raimund
Philipp Raimund

Newspapers in German

Newspapers from Germany