Augsburger Allgemeine (Land West)
Sechs gute Gründe, um mit Freude auf das Jahr zurückzuschauen
Eine Krankenschwester verbringt eine Nacht auf der Straße, ein Arzt rettet einem Mädchen das Leben, Anwohner freuen sich über einen Nager. Warum 2022 nicht so schlecht war.
Wie viel eine einzelne Person bewirken kann, hat in diesem Jahr die Krankenschwester Christina Zeeb bewiesen. Ihr Ziel war es, obdachlosen Menschen zu helfen. Sie hatte von speziellen Schutzanzügen gehört – sogenannten Sheltersuits – die Personen, die auf der Straße leben, in der kalten Jahreszeit vor Kälte, Schnee und Regen schützen. Sie nahm Kontakt zum katholischen Sozialverband (SKM) auf, die sie bei einem Spendenaufruf unterstützten. Außerdem verbrachte Christina Zeeb eine Nacht in der Augsburger Innenstadt auf der Straße, um auf die Probleme von wohnungslosen Menschen aufmerksam zu machen. „Um 6.15 Uhr habe ich meine Sachen zusammengepackt und bin nach Hause gegangen. Andere können das nicht“, sagte sie damals. 5000 Euro kamen bei der Spendenaktion zusammen, 17 Schutzanzüge konnten angeschafft werden, die der SKM nun bei Bedarf verteilt. „Bei der Kälte wird als Erstes immer der Aufenthalt im Übergangswohnheim angeboten. Doch nicht alle wohnungslosen Menschen wollen das. Deshalb verteilen unsere Streetworker Schlafsäcke, wenn sie benötigt werden, und nun auch die Schutzanzüge, wenn uns die obdachlosen Menschen bekannt sind“, erklärt Pia Haertinger vom SKM. ***
Die Corona-Pandemie blieb im Jahr 2022 ein Thema. Dennoch war vieles anders gegenüber den Jahren 2020 und 2021. Endlich war es wieder möglich, in großen Runden und bei vielen Festen zu feiern. Am Plärrer standen Bierzelte, der Christkindlesmarkt kehrte nach zweijähriger Pause zurück, die Lechhauser Kirchweih bekam einen neuen Festwirt, die italienische Nacht in Göggingen war stimmungsvoll. Die Auflistung könnte nahezu endlos weitergehen. Ein Fest bleibt in Erinnerung: das Ulrichsfest. Wie immer waren Tausende Menschen im Ulrichsviertel unterwegs. Die Begegnung mit einem Akteur hatte etwas Faszinierendes. „Meister Eder“hatte seine Schreinerwerkstatt geöffnet. Mit richtigem Namen, verriet der 85-jährige Mann, heißt er Manfred Nachbaur. Die Organisatoren hätten ihn zum Meister Eder gemacht. In der Werkstatt zeigte der Schreinermeister stolz alte Werkstücke und Geräte. Am meisten freue es ihn, den treuen Abonnenten der Augsburger Allgemeinen, einmal in der Heimatzeitung erwähnt zu werden, sagte Meister Eder: „Dafür hat es sich gelohnt, alt zu werden.“Für das Foto mit einer Besucherin vor der Werkstatt zeigte Meister Eder ein strahlendes Lächeln. „Da strenge ich mich jetzt besonders an“, meinte er verschmitzt.
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Was hatten sich die Anwohner am Sparrenlech nahe der City-Galerie schon aufgeregt über den Biber, der ihnen da Nacht für Nacht die Bäumchen annagte. Der Ärger war sogar so groß, dass der kleine Bachlauf irgendwann mit einem Zaun abgetrennt wurde. Doch dann saß er diesen August eines Tages da auf einer Wiese und rührte sich kaum. Der Biber war ganz offensichtlich verletzt, besorgte Bürgerinnen und Bürger riefen die Feuerwehr. Die fing das Tier ein und brachte es in eine Augsburger Tierklinik, wo der Biber nicht nur einen Namen bekam – Justin -, sondern auch erfolgreich kuriert wurde. Eines Nachmittags im Sommer brachte die Berufsfeuerwehr ihn dann zurück. Justin wurde unter großem Hallo einiger Anwohnerinnen und Anwohner wieder am Ufer des Sparrenlechs freigelassen und darf dort wieder nagen – diesmal vielleicht auch an den Bäumchen der
Nachbarn. Manchmal merkt man eben erst, was einem am Herzen liegt, wenn man es nicht mehr hat ...
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Es gibt Momente im Leben, die so berührend sind, dass man sie nie vergessen wird. Einer davon war eine Begegnung am Augsburger Hauptbahnhof im August. Mediziner Peter Lindner steht in der Ankunftshalle und ringt mit seiner Fassung. Gleich wird ein Zug aus Memmingen eintreffen. Unter den Fahrgästen, die aussteigen, sticht eine strahlend schöne junge Frau heraus: Salina Marwan Bibo. Sie läuft auf Lindner zu, auch ihr laufen Tränen über das Gesicht. Die Nordirakerin sieht zum ersten Mal seit zehn Jahren den Mann wieder, der ihr das Leben gerettet hat. Salina war mit einem Herzfehler zur Welt gekommen. In ihrer Heimat bedeutete das den sicheren Tod noch im Kindesalter. In Deutschland sind solche Löcher in der Herzscheidewand mit einer häufig angewandten Operation zu beheben. Lindner setzte alle Hebel in Bewegung, damit das damals achtjährige Mädchen in Deutschland erfolgreich operiert werden konnte. Heute ist sie eine fitte junge Frau, die viel aus ihrem Leben macht – und noch viele Träume für die Zukunft hat.
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Genau genommen ist es nicht eine gute Nachricht, es sind mehrere. So viele, dass man an dieser Stelle nicht alle aufzählen, sondern nur ein paar Beispiele nennen kann. Es geht um jene Menschen, die in diesem Jahr etwas gewagt, etwas neu angepackt haben. Und die damit das Leben in unserer Stadt bereichern. Corona zum Trotz sind auch in diesem Jahr wieder Lokale und Geschäfte entstanden, die sich abheben von den großen Ketten. Dafür braucht es Leidenschaft. So wie bei den fünf Geschwistern der Familie Ugurlu. Sie sind die dritte Generation einer türkischen
Endlich war es wieder möglich, in großen Runden und bei vielen Festen zu feiern.
Salina war mit einem Herzfehler zur Welt gekommen. In ihrer Heimat bedeutete das den sicheren Tod noch im Kindesalter.
Einwandererfamilie und haben das Café Dede gegenüber dem Brechthaus eröffnet. Es ist ein großes, gemütliches Wohnzimmer zum Wohlfühlen. Oder wie bei Sophia Humbaur. Sie bringt mit ihrem Modeladen „Into the Wild“, den man so eher in Berlin vermuten würde, frischen Wind in die Philippine-Welser-Straße. Und wem die Kleidung doch etwas zu wild ist, der genießt draußen vor dem Laden einen Cappuccino. Es sind die Menschen, die die Innenstadt lebenswert machen.
*** Augsburg und seine Menschen verdienen Aufmerksamkeit. Sie, liebe Leserinnen und Leser, wissen das, unsere Redaktion weiß das. Damit es diese Erkenntnis allerdings auch über den Großen Teich und auf die ganz, ganz große Bühne schafft, braucht es manchmal einen kleinen Impuls. So etwas wie eine Energiekrise. Die Stadt Augsburg war zu deren Beginn ja schnell dabei, Brunnen abzustellen und Straßenbeleuchtungen zu dimmen, Sie erinnern sich. Doch das reichte, um die New York Times – eine der weltweit großen Zeitungen auf Augenhöhe mit Ihrer Augsburger Allgemeinen – in die schwäbische Metropole zu locken. Gut, das mit der Metropole muss man der NYT noch beibringen, sie sprach lieber von „the provincial Bavarian city of Augsburg“. Auch die Bildsprache – zu sehen war ein Pilstrinkendes Ehepaar im Innenhof des Münchner Rathauses – und die Jobbeschreibung von Wirtschaftsreferent Wolfgang Hübschle – es hieß, er organisiere vorwiegend „Volksfeste voller Lederhosen“– passten noch nicht ganz. Geschenkt: Scheinwerferlicht ist hell, blendet aber eben auch. Wenn dadurch nur ein US-amerikanischer Tourist auf den Plärrer gelockt wurde, der kurz nach Veröffentlichung des Artikels Ende August begann, war es das schon wert.