Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Duell, das keines ist
Die neuen VW Amarok und Ford Ranger sind nahezu baugleich – trotzdem gibt es Unterschiede.
Dieser Vergleich ist ein Vergleich, aber doch kein Vergleich. Liest sich paradox. Und ist es auch. Kann man aber erklären. Es geht um zwei Pick-ups. Den Amarok von VW und den Ranger von Ford. Eigentlich sind die beiden scharfe Konkurrenten, weil sie im gleichen Revier ihre Kunden jagen. Die tiefere Wahrheit lautet jedoch: Amarok und Ranger sind seit diesem Modelljahr nahezu identisch. Außer dem Blechkleid und einigen Details im Innenraum. Von daher ist die Frage „Wer ist besser?“so etwas wie die Frage, welche Farbe ein weißer Schimmel hat. Amarok ist Ranger und Ranger ist Amarok.
Zwar hatte sich der klobige Pritschenwagen von VW in seinen zehn Jahren Modellgeschichte ordentlich verkauft (830.000 Exemplare weltweit). Das Kosten-ErlösVerhältnis war allerdings so ungleich, dass man bei Volkswagen nach einem Partner suchte. Fündig geworden ist man dort, wo die größte Pick-up-Expertise der Welt zu Hause ist. Bei den Kollegen von Ford. Und so hat man mit den Amerikanern einen kleinen, feinen Deal vereinbart. Die Amerikaner entwickeln für die Wolfsburger den Amarok, im Gegenzug liefert VW auf der Elektro-Plattform des ID3 zwei neue kompakte Elektroautos für die europäische FordTochter. Was den Amarok angeht, so ist er damit nur noch eine FordSchreibung der eigenen Erfolgsgeschichte. Ob das ein Ford-Schritt ist?
Genug gekalauert – zurück zum Duell, das keines ist. Egal in welcher
Ausführung der Amarok auch zum Kunden rollt, er ist ein waschechter Ami. Vom Leiterrahmen bis zum Motor. Richtig. Unter der Fronthaube arbeitet noch nicht einmal ein eigener VolkswagenMotor. Vier- und Sechszylinder von Ford treiben den neuen Amarok an, wahlweise mit Benzin, Diesel – immer mit Allrad. VW fährt Ford. Mit einem feinen kleinen Unterschied. Das Topmodel PanAmericana von VW wird mit einem V6-Diesel mit 240 PS und 600 Nm Drehmoment ausgestattet. Dem Ranger Raptor bleibt, ganz Amerikaner, der V6-Benziner mit 292 PS und 491 Nm Drehmoment vorbehalten. Wir sind beide gefahren und von beiden Aggregaten überzeugt.
Leise und ziemlich abgekapselt werkelt der Sechszylinder-Selbstzünder im VW vor sich hin, wir mussten schon zwei Mal hinhören, um zweifelsfrei die Frage zu klären: Ist das wirklich ein Diesel? Zumal wir die geballte Kraft von 600 Newtonmeter kaum spüren. Des Rätsels Lösung: Weil der Diesel die neuen, scharfen Abgasnormen in Europa erfüllen muss, schaltet das Zehn-Gang-Automatik-Getriebe so, dass sich der CO²-Ausstoß im Rahmen hält. Das ist völlig legal. Austricksen kann man das nur, wenn man mit der Hand schaltet. Da schiebt er Pritschenwagen dann auch gleich mächtiger an. Ist beim Amarok aber spaßbefreit, da man das nur am Schalthebel mit Plus-Minus-Tasten erledigen
kann. Der Benziner des Raptors kam uns bei den Testfahrten einen Tick dynamischer vor. Er hat ja auch ein Paar Pferdestärken mehr. Am Gewicht kann es nicht liegen. Amarok PanAmericana und Ranger Raptor bringen stattliche 2,5 Tonnen auf die Waage. Ziehen kann der VW mehr als der Ford. 3,5 Tonnen schlagen 2,5 Tonnen. Der Punkt geht klar nach Wolfsburg. Auch was den Verbrauch angeht. 10,8 Liter waren es bei unserer Testfahrt, der Raptor schluckt 13,8 Liter laut Ford.
Was die Geländefähigkeit angeht, so ist hüben wie drüben nichts zu meckern. Der Amarok kommt ebenso wie der Ranger mit zuschaltbarem Allradantrieb daher. Die Top-Version hat eine vierte
Option. Neben 2 H, 4H und 4L gibt es noch 4A. Das heißt: Hier wird die Kraft über eine Kupplung zwischen Vorder- und Hinterrädern verteilt. Dazu noch eine Sperre für die Hinterachse – und schon rumpelt der Amarok über Stock und Stein, schluckt Schlaglöcher weg, und quert tiefe Furten. Das ist selbst für einen Pritschenwagen souverän, der mit seinem langen Radstand ja eher Nachteile im Gelände hat. Apropos: Pritsche. Die sorgt im unbeladenen Zustand für das typische Ruckeln auf Asphalt, weil die Federn und Dämpfer fast nicht nachkommen, um die Karosseriebewegungen im Zaum zu halten. Der Raptor ist ebenfalls ein Ur-Viech im Gelände. Ausgestattet mit dem Downhill-Assistenten stürzen wir uns in einer Kiesgrube bei Österreich den Hang hinunter wie weiland Franz Klammer. Füße weg vom Pedal und die 2,5 Tonnen selbstständig arbeiten lassen. Erfordert Mut. Stoisch fährt der Raptor mit den eingestellten 2 km/h zu Tale.
Deutlich zugelegt hat der Amarok bei der Karosserie. Sie ist um zehn Zentimeter in der Länge gewachsen (jetzt 5,35 Meter) der Radstand sogar um 17 Zentimeter. Das kommt dem Sitzkomfort zugute. Im neuen Amarok fühlt sich der Fahrer wie in einem Pkw. Digitaler Tacho, 12-Zoll-Display, HarmanKardon-Soundanlage, elektrisch verstellbare Sitze, 360-Grad-Kamera – hört sich nicht mehr nach Nutzfahrzeug an und sieht auch nicht mehr so aus. Auf Wunsch gibt es gegen Aufpreis sogar Kunstleder. Fünf Ausstattungsvarianten bietet VW. An der Spitze rangieren Aventura (flotter Straßen-Kreuzer) und PanAmericana (Gelände-Optik). Wie teuer die einzelnen Modelle werden, das ist noch nicht raus. Man rechnet mit einem Basispreis von rund 40.000 Euro. Ob die Spitzenmodelle dann an das Preisniveau des Rangers reichen (rund 80.000 Euro), wird man sehen.
Raptor oder Amarok, VW oder Ford – zumindest bei der Technik wird einem die Entscheidung abgenommen, welchen Pick-up man wählen soll. Bleibt hauptsächlich die Optik. Und die ist beim Ranger kernig, selbstbewusst. Wenn man so will, vielleicht ein wenig derb. Der neue Amarok hingegen wirkt elegant und gefällig. Ein echter Ford im VW-Pelz – vielleicht das Beste aus beiden Welten.