Augsburger Allgemeine (Land West)

Conrad Ferdinand Meyer: Der Heilige (4)

- 5. Fortsetzun­g folgt

Novelle von C. F. Meyer

England im Hochmittel­alter: Unverzicht­bare rechte Hand für König Heinrich II. ist der Kanzler Thomas Beckett, der mit überlegene­r Klugheit die politische­n Geschäfte führt. Als der sinnenfroh­e König jedoch durch einen Zufall die ihm bisher verborgen gebliebene Tochter Becketts entdeckt und sie verführt, nimmt das Unheil seinen Lauf … © Projekt Gutenberg

Ihr müßt wissen, ich bin aus einem edeln Geschlecht­e, und wenn Ihr Hohenkling­en oder Hohenkrähe­n sagt, so nennet Ihr zwar nicht mein Stammhaus, das in Schutt versunken ist, aber sein Name lautete ähnlich, und es lag, wie jene festen Häuser, unweit vom Bodan und vom Rhein. Schon mein Vater war schwer verschulde­t und – warum, das weiß Gott – von seiner Sippe gescheut und gemieden, als er, um seinen Gläubigern zu entgehen und um seine Seele zu retten, sich das Kreuz anheftete und nach dem Gelobten Lande zog, aus welchem er nicht zurückkehr­te. Mein Mütterlein schleppte seit meiner Geburt einen siechen Leib und weinte sich die Augen blind, als mein älterer Bruder nicht in ritterlich­er Fehde, sondern in bösem Raufhandel um Dein und Mein erschlagen wurde; denn wir halfen uns, wie wir konnten, und lauerten an den Wegen, wo etwas vorüberkam. Bei meiner Sippe suchte ich weder Rat noch Hilfe, ich hätte dort keine gefunden. Die einzigen Freunde waren mir meine Armbrust und meine Hunde, mit denen ich zu Walde zog; aber ich selbst ward wie ein Wild gehetzt von einem bösen Feinde, den ich wie den Teufel haßte. Das war der Jude Manasse, der in Schaffhaus­en saß und auf Zinsen lieh. Ihm hatte mein Vater seinen Burgstall und seine wenigen Äcker verpfändet. Nun begab es sich, daß mich meine Mutter zu dem Juden schickte, um Aufschub zu verlangen, aber keine Barmherzig­keit war bei dem Wucherer zu finden. Da erfaßte mich plötzlich eine große Kümmernis und ein Erbarmen mit meinem siechen Mütterlein und auch mit dem blutigen Leiden unseres Heilandes, den die Juden grausam gemartert haben, und ich schlug den Manasse hart mit Fäusten, daß er starb. Gott rechne mir diesen Mord nicht zu! Als ich ihn beging, war ich, wenn auch schon von Mannesgest­alt und Stärke, noch ein Kind und dazu von weicher und heftiger Gemütsart. Der Jude indessen hatte in der Stadt und unter dem umliegende­n Adel viele Freunde, und ich wäre verloren gewesen ohne die geöffnete Klosterpfo­rte von Allerheili­gen. Und da ich froh sein mußte, daß sie sich fest hinter mir schloß, wurde ich unverhofft geistlich und nach Jahresfris­t ein Mönch. In alledem hatte ich aufrichtig gehandelt und war kein Falsch an mir gewesen; aber ich taugte schlecht zum Mönche und hatte den Wuchs meiner Natur und das Erdreich ihres Gedeihens nicht vorausgeka­nnt. Mißversteh­t mich nicht, Herr! Nicht das sündige Blut unserer Stammelter­n allein meine ich, sondern mehr noch den zündenden Funken, der aus der Schöpferha­nd Gottvaters in den Ton, aus welchem ich geformt bin, herüberges­prungen ist, das ist: Kraft, Verstand, Unternehmu­ng, Baukunst und Wanderlust. Aber von menschlich­er Kunst und Wissenscha­ft war zu Allerheili­gen nichts zu lernen als der Poet Virgilius, den ich auch heute noch großenteil­s auswendig weiß.

Der Prior rühmte an diesem Poeten, daß er ein frommer Heide gewesen und Gott ihm zum Lohne seiner Tugenden prophetisc­he Kraft eingehauch­t, so daß in seinen Versen die hochgelobt­e Mutter mit dem Kinde sich spiegle und deutlich zu erkennen sei. Daher kam es, daß die Rolle, aus der ich lernte, ganz von Messerstic­hen durchlöche­rt war. In der Johannisna­cht, da ich von Allerheili­gen schied und bevor ich den Sprung über die Mauer tat, habe auch ich hineingest­ochen zu dreien Malen, nach inbrünstig­er Anrufung der drei heiligen Namen, und die Worte getroffen: sagittas, calamo, arcui. Und Virgilius hatte wahr gesprochen: mit Pfeil und Bogen hab ich all mein Lebtag zu tun gehabt.

So genoß ich denn meiner raschen Füße wieder und eilte durch das Waldgebirg dem Elsaß zu, den großen Bogen des Rheines mit einer geraden Linie abschneide­nd. Gegen Mittag kam ich vor einem festen Orte auf eine Wiese, wo von allerlei Volk ein Bogenschie­ßen abgehalten wurde.

Ich war schon unterwegs wie berauscht von dem Odem der Erde und der Lust, meine Glieder zu brauchen, und da ist es nicht zu verwundern, daß ich mir in dem Lustlager und Getümmel der Schießende­n von den ausgelasse­nen Gesellen, die der verlaufene Mönch ergötzte, einen Bogen in die Hand geben ließ und dann, mit vorgestrec­ktem Fuße Stand fassend, Schuß um Schuß ans Ziel schickte. Mein Blick, sei Euch gesagt, ist scharf und sicher von Na-* tur und hat mich von Kindheit an nie betrogen.

Ich glaube, daß sie mich, der den Becher verlernt hatte, trunken machten, daß ich in der Glut die Ärmel aufstreift­e und die Kutte bis an die Schenkel schürzte, und mir steht dunkel und ärgerlich vor Augen, daß ich zuletzt unter Spott und Gelächter mit nackten Armen und Beinen im Narrentriu­mphe herumgetra­gen wurde.

Am frühen Morgen, in der Knechtstra­cht, die mir ein guter Gesell geschenkt, weiter wandernd, betrachtet­e ich nicht ohne Scham den Stand meiner Dinge. Ein beflecktes Wappen lag rechts und eine zerrissene Kutte links hinter mir am Wege. Nichts blieb mir als das Handwerk, und ich suchte mir eines, das mich von ritterlich­en Leuten und Dingen nicht ganz entferne und seinen Mann ernähre in Kriegs- und Friedensze­iten. Da erhellte sich mir die Losung des Virgilius, und ich beschloß, ein Bogner und Armbruster zu werden.

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