Augsburger Allgemeine (Land West)

Vor der Ampel liegt mehr als nur ein Marathon

Nicht weniger als einen Umbau der Gesellscha­ft hatte sich die Koalition vorgenomme­n. Nun geht es um Grundlegen­des wie Strom, Wärme, Ernährung. Die SPD hat großen Anteil an vielen Problemen im Land

- Von Bernhard Junginger

Je größer die Vorsätze für das neue Jahr, desto schneller scheitern sie meist. Runter vom Sofa, rauf aufs Marathon-Podest, drunter geht es nicht. Doch nach den ersten, viel zu schnellen Trainingsr­unden zieht es im Knie, wird „kurz“pausiert. Dann ist es zu kalt. Zu heiß. Es regnet. Das hehre Ziel und die unbenutzte­n Laufschuhe sorgen nagend für ein schlechtes Gewissen, verhindern aber, dass wichtigere Dinge angepackt werden: Endlich die Finanzen in Ordnung bringen, die Wohnung in Schuss halten, Freundscha­ften pflegen. Zwölf Monate später bleibt wieder nur der Frust über geplatzte Träume, sorgen unerledigt­e Hausaufgab­en für Hektik, ja Panik. Genauso ist es in der Politik: Die AmpelKoali­tion war mit hehren Zielen gestartet, ein weitreiche­nder ökologisch­er und sozialer Umbau der ganzen Gesellscha­ft sollte es sein.

Doch der Ukraine-Krieg hat noch schonungsl­oser offengeleg­t, was eigentlich längst klar ist: Vor der Kür ist erst einmal die Pflicht zu erfüllen. Das ist in immer weniger Bereichen der Fall. Bei einer Bundeswehr, die so kaputtgesp­art wurde, dass sie weder in der Landesvert­eidigung noch im Rahmen des Nato-Bündnisses ihre Aufgaben erfüllen kann. In einem Gesundheit­ssystem, das vor dem Kollaps steht, kaum mehr finanzierb­ar ist. Es fehlen Pflegekräf­te, Medikament­e und Krankenhau­sbetten, gerade auch für Kinder. Aus der Pandemie, von der noch ungewiss ist, ob sie wirklich schon vorbei ist, wurden wieder nicht die richtigen Lehren gezogen. Wohnungen sind rar und teuer, auch wegen eines

Übermaßes an Regulierun­g wurde viel zu wenig gebaut, sogar als die Kredite so billig waren wie nie. Und jetzt, wo die Zinsen wieder hoch sind, droht erst recht der Stillstand. Dass nun Millionen Menschen mehr die Sozialleis­tung Wohngeld zusteht, dämpft die Auswirkung­en der Misere ein wenig, ändert aber nichts an ihren Ursachen.

Dann erst der Energiesek­tor: Den Ausstieg aus Kohle und Atom beschlosse­n, beim Ausbau von Wind- und Sonnenener­gie aber nicht schnell genug vorangekom­men und deshalb fatalerwei­se immer mehr auf russisches Gas als „Brückentec­hnologie“gesetzt. Das fehlt jetzt natürlich schmerzhaf­t. Wo all der Öko-Strom für Wärmepumpe­n und Elektroaut­os herkommen soll, wo der grüne Wasserstof­f für die Industrie, ist noch längst nicht klar. Heizkosten explodiere­n wie die Preise für Strom und Lebensmitt­el. Teure Kostenbrem­sen aber belasten künftige Generation­en.

Eine Zeitenwend­e hat Kanzler

Olaf Scholz nach dem Schock des russischen Überfalls auf die Ukraine angekündig­t. Das klingt nach Quantenspr­ung. In Wirklichke­it tut seine Koalition aus SPD, Grünen und FDP gut daran, sich einzugeste­hen, dass es jetzt erst einmal darum geht, wieder ganz grundlegen­de Dinge zu garantiere­n. Dass Wohnungen, Strom, Wärme und Ernährung überhaupt ausreichen­d verfügbar, aber auch bezahlbar sind. Dass Bildung, Gesundheit und Infrastruk­tur in Ordnung kommen. Dass Sicherheit herrscht, im Inneren und nach außen. Die Union sollte das kritisch, vor allem aber konstrukti­v begleiten. Denn sie selbst hat zuvor lange die Regierunge­n angeführt und großen Anteil an vielen Problemen. Es nutzt nichts: Dieser Jahresbegi­nn ist nicht die Zeit für so glamouröse wie unrealisti­sche Protz-Vorsätze. Angesagt sind jetzt Aufräumen, Reparieren, Ausmisten, den Haushalt in Ordnung bringen, Zimmer für Zimmer, Schublade um Schublade. Ein Marathon ist ein Klacks dagegen.

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