Augsburger Allgemeine (Land West)
Der Demütige
Nicht nur in Rom, sondern auch in Oberbayern trauern die Gläubigen um Benedikt XVI. Hier erfüllt man ihm seinen letzten Wunsch – seine Bitte um Verzeihung.
„In der Kirche ist das Beharrungsvermögen ein sehr starker Faktor. Sie neigt infolgedessen dazu, einmal erworbenes Gut und erworbene Positionen zu verteidigen.“
Am 11. Mai 2010 über die Missbrauchsskandale
Es war zwölf Uhr mittags am Sonntag, als sich Papst Franziskus vom Apostolischen Palast zum Angelusgebet an Neujahr an die auf dem Petersplatz versammelten Menschen wendete. Der Papst sprach von der „heiligsten Maria“. „In diesen Stunden bitten wir sie insbesondere um ihre Fürsprache für den emeritierten Papst Benedikt XVI., der gestern Morgen von uns gegangen ist“, sagte Franziskus und hielt inne. Die rund 40.000 Menschen auf dem Platz antworteten mit warmem Applaus für den am Silvestertag verstorbenen Papst aus Deutschland.
Er danke Gott „für das Geschenk dieses treuen Dieners des Evangeliums und der Kirche“, fuhr Franziskus fort. Bei der Neujahrsmesse zuvor im Petersdom hatte er ebenfalls die Muttergottes angerufen, Benedikt XVI. „bei seinem Übergang von dieser Welt zu Gott“zu begleiten. Am Donnerstag wird Franziskus als erster Papst überhaupt seinen Vorgänger zu Grabe tragen und auf dem Petersplatz eine Trauermesse feiern. Erwartet werden Delegationen aus Deutschland und Italien.
Bedrückte Atmosphäre herrschte am Sonntag auf dem sonnigen Petersplatz nicht. „Es tut mir leid für ihn, aber mit 95 Jahren hat Ratzinger ein stattliches Alter erreicht“, sagte ein Tourist aus Ingolstadt, der sich nicht namentlich zitieren lassen wollte. „Ich denke, viele in Deutschland haben sich auch wegen Benedikt XVI. von der Kirche abgewendet“, mutmaßte eine Nürnberger Touristin, die zu einer Silvesterfahrt in die Stadt gekommen war.
Dass am Vortag ein Papst im Vatikan gestorben war, war nur an kleinen Details zu erkennen. Arbeiter errichteten vor dem Petersplatz ein Gerüst für die Fernsehsender, die die Begräbnisfeier am Donnerstag übertragen werden. Die Polizei erwartet dazu bis zu 60.000 Besucher, ein Bruchteil der Million Menschen, die 2005 zur Begräbnisfeier für Johannes Paul II. gekommen waren. Auch die Metallgitter für die Schlange der Menschen, die sich von Benedikt XVI. verabschieden wollen, wurden aufgebaut. Der Leichnam des emeritierten Papstes, der 2013 zurücktrat, wird von Montagmorgen bis Mittwoch im Petersdom aufgebahrt sein.
Am Sonntag veröffentlichte der Vatikan Bilder vom Totenbett Benedikts aus dem Vatikan-Kloster Mater Ecclesiae. In der Kapelle am früheren Wohnsitz des emeritierten Papstes war der Leichnam am Sonntag aufgebahrt worden. Auf den Bildern aus der Kapelle des Vatikan-Kloster Mater Ecclesiae ist er mit einem roten liturgischen Gewand und einer traditionellen Kopfbedeckung, einer Mitra, zu sehen. In seinen gefalteten Händen hält Joseph Ratzinger – Benedikts bürgerlicher Name – einen Rosenkranz. Neben ihm vor dem Altar der Kapelle stehen ein geschmückter Christbaum und eine Krippe. Wie es heißt, habe Benedikts Privatsekretär Georg Gänswein unmittelbar nach dessen Tod am Samstagmorgen Papst Franziskus verständigt. Der sei sogleich ins Kloster gekommen und habe sich als Erster von Benedikt XVI. verabschiedet.
Am Todestag hatte der Vatikan das „geistige Testament“Benedikt XVI. veröffentlicht. In diesem auf den 29. August 2006 datierten Text, den Benedikt demnach in seinem zweiten Amtsjahr als Papst verfasste, ruft der damalige Papst insbesondere die Gläubigen in
Bayern und Deutschland dazu auf, sich nicht beirren zu lassen. „Ich bete darum, dass unser Land ein Land des Glaubens bleibt und bitte Euch, liebe Landsleute: Lasst euch nicht vom Glauben abbringen.“
Programmatisch schreibt Benedikt XVI. auch über den Zusammenhang von Glauben und Vernunft. „Ich habe von weitem die Wandlungen der Naturwissenschaft miterlebt und sehen können, wie scheinbare Gewissheiten gegen den Glauben dahinschmolzen“, heißt es in dem zweiseitigen Text. Er habe auch in der Theologie über die Generationen hinweg „unerschütterlich scheinende Thesen zusammenbrechen sehen, die sich als bloße Hypothesen erwiesen“. Explizit nannte er „die liberale Generation, die „existenzialistische Generation“sowie die „marxistische Generation“. Aus jenem „Gewirr der Hypothesen“sei schließlich „neu die Vernunft des Glaubens hervorgetreten“. Jesus Christus sei „wirklich der Weg, die Wahrheit und das Leben – und die Kirche ist in all ihren Mängeln wirklich Sein Leib.“
In seinem Testament blickte der frühere Papst mit Dankbarkeit auf sein Leben zurück. Insbesondere seinen Eltern und seinen Geschwistern dankte er und bat auch für seine Fehler um Vergebung. „Alle, denen ich irgendwie Unrecht getan habe, bitte ich von Herzen um Verzeihung“, heißt es in dem Text.
Auch in seiner Heimat Bayern trauern die Menschen um ihn. Im Zimmer im oberbayerischen Marktl, in dem Joseph Ratzinger vor gut 95 Jahren als Sohn eines Gendarmen das Licht der Welt erblickt hatte, stehen eine Kerze und eine Rose. Auch in Pentling, wo Benedikt von 1970 bis 1977 lebte und wo er seinen Ruhestand hätte verbringen wollen, ist die Trauer groß. „Lieber Heiliger Vater, in dankbarer Erinnerung an persönliche Gespräche mit Ihnen sind wir in Trauer hierhergekommen“, schreiben Besucher in Marktl in das Kondolenzbuch.
Kurt und Annemarie Spennesberger haben sich nach der Todesnachricht im Allgäu auf den Weg an die Geburtsstätte Joseph Ratzingers gemacht, um ihm die Ehre zu erweisen. „Ich sehe ihn so, wie er gewesen ist, als Mensch. Kein Mensch ist ohne Fehler“, sagt Kurt Spennesberger zu Kritik an dem emeritierten Papst Benedikt XVI. nicht zuletzt im Zusammenhang mit dessen Rolle bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. Durch diesen hatte sich gerade in den vergangenen Jahren ein Schatten über das Wirken Benedikts gelegt. Mancherorts war unter anderem gar über eine Aberkennung von Ehrenbürgerwürden diskutiert worden.
Christiane Hartwig aus Marktl sagt, Benedikt XVI. habe viel für den Glauben getan und stets versucht, die Menschen darin zu stärken; er habe durch seine theologischen Aussagen viel bewegt. Dennoch habe der Missbrauchsskandal sie „sehr erschüttert“. Und weiter: „Das hat mich schon manchmal zweifeln lassen.“
Seinen Geburtsort Marktl am Inn hatte Benedikt 2006 zuletzt besucht. Viele erinnerten sich daran, sagt Franz Haringer, theologischer Leiter des Geburtshauses von Benedikt XVI., in der Predigt. Der emeritierte Papst sei „im tiefsten einfach, liebenswürdig und humorvoll gewesen“– ganz anders als viele ihn gesehen hätten, nämlich konservativ und streng. Er habe sein Leben lang nichts anderes gewollt, als den Glauben zu verstehen und zu feiern. (mit dpa)
Als Kardinal Joseph Ratzinger 1996 in einem Gespräch mit seinem Biografen
„Natürlich denke auch ich hin und wieder: Warum hilft er mir denn nicht stärker?“
Im Jahr 2000 auf die Frage, ob er sich auch schon mal über Gott ärgere
„Mein Herz schlägt bayerisch.“
Am 9. September 2006 im Flugzeug nach Deutschland
„Die größte Verfolgung der Kirche kommt nicht von den äußeren Feinden, sondern erwächst aus der Sünde in der Kirche.“
„Auch beim Jubel der Massen wusste ich immer, die Leute meinen ja nicht dieses armselige Männlein da, sondern meinen doch den, den ich vertrete.“
Aus dem am 9. September 2016 veröffentlichten Buch, dem Interview-Band „Letzte Gespräche“