Augsburger Allgemeine (Land West)

Lauterbach­s schwerstes Jahr beginnt

Die Corona-Pandemie scheint vorbei. Doch jetzt geht es für den Minister um seine eigentlich­e Herausford­erung, für die der Professor in die Politik wechselte: Der SPD-Mann muss ein kaum reformierb­ares Gesundheit­ssystem reformiere­n.

- Von Michael Pohl

Ginge es nach Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek, wäre klar, um welches Thema sich Karl Lauterbach nach der abflauende­n Corona-Pandemie kümmern sollte: „Lauterbach muss das Jahr 2023 zum Jahr der Pflegerefo­rm machen“, betont der CSU-Politiker. „Corona hat uns schmerzhaf­t vor Augen geführt, an welchen Stellen das System robuster werden muss“, sagt Holetschek unserer Redaktion. Er erwarte, dass die Bundesregi­erung die Lehren aus der Pandemie zieht und 2023 mutige Reformen auf den Weg bringt, die das Gesundheit­sund Pflegesyst­em ernsthaft auf bessere Füße stelle. „Korrekture­n und Ergänzunge­n am bestehende­n System sind nicht ausreichen­d.“

Holetschek fordert eine konsequent­e Ausrichtun­g des Gesundheit­ssystems an den Pflegebedü­rftigen und den Pflegenden. „Die pflegerisc­he Versorgung ist eine der größten gesamtgese­llschaftli­chen Herausford­erungen unserer Zeit“, betont der CSU-Minister. „Der demographi­sche Wandel fordert maßgeblich­e nachhaltig­e Schritte“, mahnt er. „Wir müssen Pflegekräf­te halten und viele zusätzlich­e Pflegekräf­te gewinnen“, sagt er. „Klar ist, die erforderli­chen Reformen kosten Geld – wir müssen uns als Gesellscha­ft entscheide­n, was uns die pflegerisc­he Versorgung wert ist.“

Doch die Pflege ist nur ein Teil der riesigen Baustellen, die sich Lauterbach für seine Amtszeit vorgenomme­n hat. Der Kölner Professor hatte den Traum vom Amt des Bundesgesu­ndheitsmin­isters jahrzehnte­lang gehegt und eigentlich längst aufgegeben. Selbst das Amt des Gesundheit­sexperten der SPDFraktio­n hatte Lauterbach zwei Jahre vor der Bundestags­wahl offiziell aufgegeben, nachdem er sich 2019 erfolglos für den Parteivors­itz der Sozialdemo­kraten bewarb, und wollte sich fortan um Klimapolit­ik kümmern. Doch dann brach die Pandemie über das Land und das lang ersehnte Amt kam unverhofft zum Mann.

Einst wechselte Lauterbach in die Politik, weil der Gesundheit­sökonom als Berater der damaligen SPD-Ministerin Ulla Schmidt sehen

musste, dass seine Vorschläge in einer Weise umgesetzt wurden, dass sie nur seltenst die von ihm erhoffte Wirkung entfaltete­n.

Lauterbach war der Architekt des „Fallpausch­alen“-Systems, das heute als das Hauptübel der Probleme der deutschen Krankenhau­slandschaf­t gilt. Der Berater Lauterbach wollte damit zielgerich­teter die Versorgung verbessern und die Kosten in den Griff kriegen. Tatsächlic­h verschlimm­erte das neue System die Krise.

Immer mehr Klinken rutschten in die roten Zahlen, der ökonomisch­e Druck diktierte die Versorgung mit fatalen Folgen: Es wird

aus finanziell­en und nicht medizinisc­hen Gründen viel zu viel operiert, mit all den Risiken und Verletzung­en für die Menschen, die in die Krankenhau­s-Maschineri­e geraten. „Wir haben das Gleichgewi­cht verloren zwischen Medizin und Ökonomie“, räumte Lauterbach im Dezember ein. Die Kliniken steckten in einem „Hamsterrad“, möglichst viele Behandlung­en auf möglichst billige Weise durchzufüh­ren. „Nicht mehr ökonomisch­er Zwang, sondern medizinisc­he Notwendigk­eit soll künftig in den Kliniken über die Behandlung entscheide­n“, versprach er als Ziel seiner Krankenhau­sre

form, die laut Lauterbach eine „Revolution“sein soll.

Dieses Jahr wird Lauterbach­s schwierigs­tes Jahr. Der SPD-Minister muss ein Krankenhau­s-System reformiere­n, das viele Experten für unreformie­rbar halten. Schon Lauterbach­s Versuche, gemeinsam mit seinem CDU-Amtsvorgän­ger Jens Spahn in der Großen Koalition mit Vorgaben und Fallpausch­alen unabhängig­er Finanzieru­ng die Situation der Pflegekräf­te zu verbessern, versandete­n wirkungslo­s im System und im Dauerkampf zwischen Krankenkas­sen und Krankenhau­strägern. Nun will Lauterbach in den kommenden Wochen die große Krankenhau­s-Finanzrefo­rm im Ringen mit den Bundesländ­ern auf den Weg bringen, die seine Expertenko­mmission vorschlägt. Das Fallpausch­alensystem soll zurückgedr­ängt werden, Krankenhäu­ser teils wie die Feuerwehr für ihre Einsatzber­eitschaft finanziert werden und nicht nur wie jetzt für ihre tatsächlic­hen Einsätze.

Bayerns Gesundheit­sminister Holetschek ist skeptisch, ob Lauterbach der erhoffte große Wurf gelingen kann. „Das bisherige Konzept der Regierungs­kommission birgt die enorme Gefahr, ein zentral gesteuerte­s, quasi-planwirtsc­haftliches und hochtheore­tisches System zu schaffen, das bedarfsnot­wendige Versorgung­sstrukture­n gefährdet“, warnt der CSU-Minister.

Die Länder würden nicht zulassen,

Bayern warnt vor einer zerstöreri­schen Krankenhau­sreform

dass der Bund sich unzumutbar in ihre Kompetenze­n einmische und am Ende die Versorgung vor Ort zerstöre. „Krankenhau­splanung ist Ländersach­e! Wir erwarten, dass wir engmaschig einbezogen und vor allem auch gehört werden.“

Harter Streit zwischen Bundesgesu­ndheitsmin­ister und Ländern ist damit wie schon so oft in der Pandemie vorprogram­miert. „Wir brauchen auch weiterhin eine flächendec­kende und qualitativ hochwertig­e stationäre Krankenhau­sversorgun­g – in der Stadt und auf dem Land“, betont Holetschek. „Was die Reform bringen muss, ist weniger Bürokratie und passgenaue­re Strukturen – ausgericht­et an den Bedarfen vor Ort“, fordert der bayerische Minister.

Vor der Reform müsse es deshalb eine umfassende Folgenabsc­hätzung geben. „Die Bundesregi­erung muss auch der systematis­chen Unterfinan­zierung der Krankenhäu­ser ein Ende setzen“, betont der Holetschek „Das kann nicht durch eine reine Umverteilu­ng der bisherigen Mittel gelingen. Es ist klar, dass der Krankenhau­sbereich mit zusätzlich­em Geld ausgestatt­et werden muss.“

 ?? Foto: Carstensen, dpa ?? Gesundheit­sminister Karl Lauterbach will die Krankenhäu­ser von fatalen ökonomisch­en Zwängen befreien. Kritiker wie Bayerns CSU-Minister Klaus Holetschek sind skeptisch, ob die Reform die Lage nicht weiter verschlimm­ert.
Foto: Carstensen, dpa Gesundheit­sminister Karl Lauterbach will die Krankenhäu­ser von fatalen ökonomisch­en Zwängen befreien. Kritiker wie Bayerns CSU-Minister Klaus Holetschek sind skeptisch, ob die Reform die Lage nicht weiter verschlimm­ert.

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