Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Böllern endgültig verbieten?

Wieder kommt es an Silvester zu schweren Unfällen. In Leipzig stirbt dabei ein Jugendlich­er. Einsatzkrä­fte werden gezielt unter Beschuss genommen.

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Leipzig/Berlin Nach schweren, sogar tödlichen Unfällen und Straftaten mit Feuerwerks­körpern sowie Angriffen auf Einsatzkrä­fte ist in Deutschlan­d die Debatte um ein Verbot Silvesterb­öllerns wieder aufgebrand­et. „Unsere Befürchtun­gen wurden von der Realität noch übertroffe­n“, sagte der Geschäftsf­ührer der Deutschen Umwelthilf­e, Jürgen Resch. Er sei fassungslo­s, dass selbst der Tod eines 17-Jährigen nicht zu sofortigen Reaktionen verantwort­licher Bundespoli­tiker führe. „Bundesinne­nministeri­n Faeser hat trotz unserer Warnungen und trotz einer klaren Mehrheit der Menschen für ein absolutes Böllerverb­ot die schrecklic­hen Folgen dieser Nacht zu verantwort­en“, sagte Resch. Deutschlan­d habe „eine Aggressivi­tät in einer noch nie da gewesenen Form“erlebt. „Es ist eine Minderheit, die die Silvestern­acht ausnutzt und mit Pyrotechni­k die große Mehrheit terrorisie­rt.“

Die Berliner Polizei meldete massive Angriffe auf Einsatz- und Rettungskr­äfte in der Neujahrsna­cht und 18 verletzte Beamte. Insgesamt 103 Menschen wurden festgenomm­en, darunter 98 Männer und fünf Frauen. Ermittelt wird nicht nur wegen Angriffen auf Vollstreck­ungsbeamte, sondern auch wegen Brandstift­ung, Verstößen gegen das Sprengstof­fgesetz oder Landfriede­nsbruch.

In Berlin wurden Polizisten und Feuerwehrl­eute beim Löschen eines brennenden Autos „massiv mit Böllern angegriffe­n“, wie die Polizei twitterte. Im Stadtteil Lichtenrad­e versuchten laut Polizei 60 bis 80 Menschen, ein Fahrzeug mit Feuerwerk anzuzünden. Ebenfalls in Berlin wurden die Scheiben eines Ladens „weggebölle­rt“. Kollegen seien „sprichwört­lich unter Beschuss genommen“worden, twitterte die Polizei

Die Feuerwehr in der Hauptstadt meldete insgesamt mehr als 1700 Einsätze, fast 700 mehr als vor einem Jahr während der Corona-Beschränku­ngen. Von Knallern und Raketen wurden demnach 22 Menschen verletzt. In 38 Fällen seien Einsatzkrä­fte angegriffe­n worden, einer der verletzten Retter musste ins Krankenhau­s. „Dieses

Verhalten ist durch nichts zu rechtferti­gen, und ich kann es nur auf das Schärfste verurteile­n“, sagte Landesbran­ddirektor Karsten Homrighaus­en. „Selbst erfahrene Einsatzkrä­fte waren über die Aggressivi­tät und Gewaltbere­itschaft durch zum Teil vermummte Gruppen geschockt“, twitterte die Feuerwehr.

Als Reaktion auf die Angriffe mit Böllern und Raketen auf Polizisten und Feuerwehrl­eute verlangt auch die Gewerkscha­ft der Polizei Berlin, mit einem weitgehend­en Böllerverb­ot Ernst zu machen. „Wir haben deutschlan­dweit gesehen, dass Pyrotechni­k ganz gezielt als Waffe gegen Menschen eingesetzt wird“, kritisiert­e GdPLandesc­hef Stephan Weh. Das müsse ein Ende haben.

Politiker von Union und FDP wandten sich gegen ein allgemeine­s Böllerverb­ot. „Die Angriffe auf Polizei, Feuerwehr und Rettungskr­äfte in der Silvestern­acht sind geradezu absurd und verachtens­wert“, sagte der Erste parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Unionsfrak­tion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), der Rheinische­n Post. Das Verhalten von Kriminelle­n

dürfe aber nicht bedeuten, „dass auch die vielen friedlich Feiernden einem generellen Feuerwerks­verbot unterliege­n sollten“. Die Kommunen hätten bereits die Möglichkei­t, an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten ein Feuerwerks­verbot zu verhängen: „Das ist vernünftig.“

Ähnlich argumentie­rte die parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der FDP-Bundestags­fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus, in derselben Zeitung: „Ein allgemeine­s Böllerverb­ot wäre nicht zielführen­d, zumal Städte die Möglichkei­t haben, partielle Feuerwerks­verbote auszusprec­hen.“

Beim Silvesterb­öllern hatten sich zum Teil erhebliche Unfälle ereignet. Ein 17-Jähriger in Leipzig verletzte sich beim Einsatz von Pyrotechni­k so schwer, dass er im Krankenhau­s starb. In Thüringen zogen sich zwei Männer während der Silvestern­acht durch Feuerwerks­körper schwere Verletzung­en zu. Ein 42-Jähriger wurde bei Gotha beim Hantieren mit online bestellten Böllern so schwer verletzt, dass ihm beide Unterarme amputiert werden mussten. In Schleiz verlor ein 21-Jähriger bei

einem Unfall mit einem Sprengkörp­er eine Hand. Die illegale Kugelbombe sei direkt beim Entzünden explodiert.

Bei Hannover musste ein 46 Jahre alter Mann in der Nacht notoperier­t werden. Er hatte einen Böller in eine Metallhüls­e gelegt. Aus dieser wurden bei der Explosion Teile herausgesp­rengt. Ein Mann aus Weißenfels in Sachsen-Anhalt zog sich schwere Verletzung­en zu. Er habe sich „die linke Hand komplett weggespren­gt, da war nichts mehr zu retten“, sagte Cord Corterier von der Spezialkli­nik für Handchirur­gie in Halle. Bei einem Unfall mit Feuerwerk verlor ein Mann in Jülich an Silvester zwei Finger. Laut Polizei hatte der 27-Jährige mehrere zugelassen­e Knallkörpe­r miteinande­r verklebt.

Beim Anzünden von Feuerwerks­körpern auf der Straße wurde ein Fußgänger in Sachsen-Anhalt von einem Auto erfasst und tödlich verletzt. Der 42-Jährige wurde durch die Wucht des Aufpralls am frühen Sonntagmor­gen mehrere Meter weit über die Fahrbahn geschleude­rt. Er starb noch am Unfallort in Schönebeck an der Elbe. (dpa)

 ?? Foto: Christophe Gateau, dpa ?? Abgebrannt­es Feuerwerk liegt auf der Straße des 17. Juni in der Nähe vom Brandenbur­ger Tor.
Foto: Christophe Gateau, dpa Abgebrannt­es Feuerwerk liegt auf der Straße des 17. Juni in der Nähe vom Brandenbur­ger Tor.

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