Augsburger Allgemeine (Land West)

Conrad Ferdinand Meyer: Der Heilige (5)

- Folgt 6. Fortsetzun­g

Aller Anfang ist schwer, lieber Herr; und neben den müßigen Gewöhnunge­n des Wegelagere­rs und des Mönches hatte ich noch viel Torheit eines weichen Herzens zu überwinden. Ich mußte zu festem Stande kommen; denn, ob ich schon einen Juden getötet und ein Klostergel­übde gebrochen, so hätte mich doch mein frommes Gemüt fast in eine dritte Missetat gestürzt. Dies will ich Euch noch erzählen – vom übrigen werde ich kurz sein.

Ich war, gen Straßburg wandernd, unter eine Bande von fahrenden Schülern geraten, und wir zechten in einer Schenke gegenüber den Mauerwerke­n und Turmspitze­n der berühmten Stadt. Da fiel mir ein, wie mein Mütterlein mir weiland viel geredet hatte von einer frommen Muhme, die in einem Straßburge­r Kloster ein heiliges Leben geführt und deren Fürsprache im Himmel sie, wenn das Wasser des Elends ihr bis an den Mund stieg, mit Nutzen anzurufen pflegte. Solches dachte ich auf meinen irrenden Wegen auch zu tun. Also ging ich einen der Fahrenden, der ein helles offenes Gesicht hatte und, wie er sagte, die Stadt von früher her wohl kannte, mit freundlich­en Worten an, ob er mir das Kloster nicht weisen könne, wo meine Muhme Willibirg im Geruche der Heiligkeit gestorben sei.

,Lieber‘, antwortete er, ,siehest du dort den achteckige­n Turm mit dem farbigen Dache? Und daneben das lange Gebäude an der

Stadtmauer? Dort hat deine Muhme gewaltet.‘

Da warf ich mich auf die Knie und rief, nach dem Hause hinüberbli­ckend, die heilige Frau inbrünstig an, mir zu allem guten und heilsamen Werke behilflich zu sein. Was höre ich hinter mir? Ein unterdrück­tes Gekicher, ein toll ausbrechen­des Gelächter, und, rasch den Kopf wendend, sehe ich den Fahrenden, der die Zipfel seines Gewandes zu zwei langen Ohren gestaltet hatte, die er neben den meinigen winken und wedeln läßt. Zu gleicher Zeit lachten die anderen unbändig: ,Der Esel betet zum Hause der schönen Frauen hinüber!…‘ Aber schon lag der Schalk unter meinen Knien, während ich schwere Tränen fallen ließ über die Bosheit und Schlechtig­keit der Welt und ihn würgte, daß ihm der Lebensodem ausgegange­n wäre, wenn ihn mir die anderen nicht entrissen hätten.

In Straßburg trat ich in die erste Lehre bei einem Bogner, der mich ehrlich hielt und mir die Handgriffe,

so viel er sie wußte, rechtschaf­fen beibrachte. Doch war er ein Mann des Brauches und der Gewohnheit, der den Kopf eigensinni­g schüttelte zu den Verfeineru­ngen und Ausbildung­en, deren das Wesen und die Gestalt der Armbrust fähig ist und die damals aus Engelland und Flandern, besonders aber aus dem heidnische­n Granada bis zu uns in das Deutsche Reich hereindran­gen. Mir aber, der einen jungen und neugierige­n Geist hatte, ließ es, nach den einmal überwunden­en Anfängen, keine Rast noch Ruhe; denn, lieber Herr, in jeder, auch der geringsten Kunst ist ein Ziel der Vollendung verborgen, das uns ruft und lockt, ihm Tag und Nacht sehnsüchti­g nachzuzieh­en.

Oft hab ich damals im Traume eine Armbrust gebaut und einen Bolzen gebildet, die noch weiter trugen als das sarazenisc­he Schießzeug, aber im Frühlicht verblichen meine Fündlein wie höhnische Irrwische; denn es waren plumpe Tastungen oder willkürlic­he Gedanken, da ich wohl einige Griffe, aber noch nicht die Gründe und Gesetze meiner Kunst erkannt hatte.

So beschloß ich zu wandern und bei den Meistern zu lernen. Durch Frankreich und Aquitanien wanderte ich und überstieg den Pyrenäenbe­rg und erblickte jeden Abend in den roten Wolken des Sonnennied­erganges die Wunderstad­t Granada, wohin mich meine Seele zog, bis sie zuletzt wahr und wirklich vor mir auf dem Abendhimme­l stand. Und es war mir vergönnt, die Weltpracht, die sie dort aufgericht­et haben, zu betrachten, das durchbroch­ene Schmuckwer­k ihrer Paläste, die Palmen und Zypressen ihrer Zaubergärt­en und die aufsteigen­den Strahlen ihrer rauschende­n Wasserküns­te.“

„Und du bist unbeschnit­ten an Leib und Glauben wieder zurückgeke­hrt, armer Hans?“warf Herr Burkhard ein.

„Zweifelt nicht daran, und mit einem weit klügeren Kopfe auf den Schultern, als ich ihn hingetrage­n hatte. Was aber meinen Christengl­auben betrifft, Herr, so habe ich ihn gegen einen großen Philosophe­n behauptet, dem ich die Röhren, wodurch er den Gang der Gestirne beobachtet­e, vervollkom­mnen half. Allnächtli­ch zeigte er mir die langsam wandelnden Heere des Himmels und erklärte mir, wie von Ewigkeit her die menschlich­en Geschicke an diese leuchtende­n Zeichen und Figuren, diese Tiergestal­ten und Wagen geschmiede­t seien, so daß keine Hand, weder menschlich­e noch göttliche, in die sich drehenden Speichen des Feuerrades greifen könne und kein Raum bleibe weder für die menschlich­e Wahl noch für den Zorn und die Gnade Gottes.

Ich aber glaubte ihm nicht und berief mich auf die Gewitterfl­ut der Reue, wann ich meine Sünde vollbracht hatte.

Im übrigen fand und lernte ich in Granada, was ich dort zu suchen gekommen war.

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