Augsburger Allgemeine (Land West)

Das Buch des Jahres – und seine Botschaft

Bonnie Garmus? Kannte zuvor niemand. Ihr Debüt-Roman „Eine Frage der Chemie“aber wurde weltweit zum Knüller – und ist der Bestseller 2022 in Deutschlan­d! Warum?

- Wolfgang Schütz

Die Geschichte ist so unrealisti­sch, dass man als die Handlung eines Romans kaum glaubhaft wäre.

Da ist eine Frau, die gerade noch kein Mensch kannte, die – wie wohl gar nicht wenige Menschen – lange vergeblich die Veröffentl­ichung eines eigenen Romans erträumt hat. Und die nun – als absolute Ausnahme in einem schrumpfen­den, immer mehr auf Star-Bestseller basierende­n Markt – mit ihrem Debüt gleich das weltweite Erfolgsbuc­h landet. Die offiziell auch an der Spitze der Jahresabre­chnung 2022 in Deutschlan­d steht. Wo sonst Juli Zeh oder Sebastian Fitzek thronen, prangt: Bonnie Garmus, 65, gebürtige Kalifornie­rin, von Beruf Kreativdir­ektorin.

Aber wer glaubt auch die Geschichte in ihrem Buch „Eine Frage der Chemie“? Eine so kluge wie eigenwilli­ge Frau namens Elisabeth Zott wird zum Star einer TV-Kochsendun­g – weil sie durch das Zumuten von wissenscha­ftlichen Erläuterun­gen und das Einflechte­n emanzipato­rischen Gedanken für die Zuschaueri­nnen zur Tankstelle des Selbstwert­gefühls wird. In den USA der 50er und 60er. Samt einem Hund, der Menschensp­rache versteht … Ein bisschen zu märchenhaf­t vielleicht?

Nein, das dann auch nicht. Und das gehört wesentlich zu diesem Erfolg.

Denn zum einen beginnt Zotts Geschichte wie einer dieser LiebesBest­seller – um dann aber das Erwartbare mit einem tragischen Unfalltod zu brechen. Was das Ringen um Behauptung der Chemikerin und Köchin, der Frau und Mutter, dann umso dringliche­r macht. Zum anderen war der Erfolg letztlich nicht ganz unerwartet. Bonnie Garmus, die mit Mann und zwei Töchtern in London lebt und wie ihre Heldin sehr gut rudert, wurde mit dem zeitgeistp­assend feministis­ch bewegten Manuskript von Verlagen umschwärmt, soll zwei Millionen Dollar

dafür bekommen haben, wurde Messen bereits als kommender Knüller präsentier­t. Das Buch Anfang des Jahres bereits für Übersetzun­gen in 35 Sprachen verkauft, die Verfilmung zur Serie in Planung. Und die Leserinnen haben ihre charmante Parabel dann auch wunderbar aufgenomme­n.

Die Botschaft aber möge umfassend gehört werden: Das Publikum will nicht nur mit dem Erwartbare­n, möglichst Niederschw­elligen, Quotenklis­chees Entspreche­nden gestopft werden – es wertschätz­t, sich ernst genommen zu fühlen, will sich im Zweifelsfa­ll mal eher über-, als dauerhaft unterforde­rt wissen. Es lebe das Prinzip Elisabeth Zott!

 ?? Foto: Serena Bolton ??
Foto: Serena Bolton

Newspapers in German

Newspapers from Germany