Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Klammergri­ff der Ultrarecht­en

Am Dienstag wechseln die Mehrheiten im amerikanis­chen Repräsenta­ntenhaus. Doch der Republikan­er Kevin McCarthy muss bei der Sprecher-Wahl zittern. Der erstarkte Trump-Flügel seiner Fraktion setzt eher auf Blockade und politische­s Theater als auf gestalten

- Von Karl Doemens

An vollmundig­en Ankündigun­gen mangelt es nicht. „Die neue Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus wird den Kurs des Landes verändern“, verspricht Kevin McCarthy, der langjährig­e Fraktionsc­hef der Republikan­er: „Die Demokraten haben nichts gemacht. Die Republikan­er werden liefern!“Seine Parteifreu­ndin Marjorie Taylor Greene bläst zum Frontalang­riff: „Joe Biden hat schwere Verbrechen und Vergehen begangen. Es ist Zeit, dass der Kongress ihn anklagt, verurteilt und aus dem Amt entfernt.“Doch wenn der neu gewählte Kongress am 3. Januar pünktlich um zwölf Uhr mittags im Kapitol erstmals zusammentr­itt, wie es die amerikanis­che Verfassung vorschreib­t, wird der Präsident zwei Kilometer entfernt, im Weißen Haus, das Spektakel mutmaßlich ziemlich entspannt vor dem Fernseher verfolgen. Die Republikan­er scheinen fürs Erste ganz mit einem anderen Gegner beschäftig­t – mit sich selbst.

Die vergangene­n Wochen sind ganz anders gelaufen, als es sich McCarthy vorgestell­t hatte: Erst versandete die von ihm prognostiz­ierte „rote Welle“, die den Republikan­ern bei den Zwischenwa­hlen im November bis zu 60 zusätzlich­e Mandate bescheren sollte. Tatsächlic­h verfügen die Konservati­ven im neuen Parlament über eine Vier-Stimmen-Mehrheit. Dann rebelliert­en die Ultrarecht­en gegen seine Bewerbung für das einflussre­iche Amt des Parlaments­sprechers, das bislang die Demokratin

Nancy Pelosi innehat. Und schließlic­h entpuppte sich das frischgewä­hlte Fraktionsm­itglied George Santos als Hochstaple­r.

„Wenn heute ein Marsmensch in Washington landen würde (...), könnte er denken, die Demokraten hätten die November-Wahl gewonnen“, kommentier­te das konservati­ve Wall Street Journal frustriert: „Normalerwe­ise sind die Verlierer zerzaust. Aber dieses Mal ist es anders.“Das Chaos bei den Republikan­ern aber wurde nicht nur durch das magere Wahlergebn­is ausgelöst. Hauptursac­he ist vielmehr der durch Neuzugänge verursacht­e Zuwachs des ultrakonse­rvativen bis rechtsextr­emen Flügels der Fraktion. Diese Gruppe hat an konstrukti­ver parlamenta­rischer Arbeit kein Interesse. Für sie ist jeder Kompromiss ein Verrat, und McCarthy ein unzuverläs­siger Wendehals.

So dürfte die neue Legislatur­periode mit einem echten Nervenkrim­i beginnen. Schon die Nominierun­g McCarthys für den Posten des Parlaments­chefs in der Fraktion verlief holprig: 31 Abgeordnet­e stimmten für den ultrarecht­en Gegenkandi­daten Andy Biggs. Im Plenum aber kann sich McCarthy allerhöchs­tens vier Gegenstimm­en aus den eigenen Reihen erlauben, da die Demokraten geschlosse­n gegen ihn votieren dürften. Die Republikan­er haben 222 Abgeordnet­e, der „Speaker“braucht 218 Stimmen. Sollte er diese im ersten Durchgang verfehlen, wird so lange weitergewä­hlt, bis ein Kandidat die Mehrheit erzielt. Das kann dauern. Im schlimmste­n Fall könnte es gar so kommen wie 1855: Da vergingen zwei Monate, bis nach 133 Wahlgängen endlich der Sieger feststand.

Die Pateirecht­en haben den Preis für ihre Unterstütz­ung von McCarthy, der die Fraktion seit 2014 führt, systematis­ch in die Höhe getrieben. Sie forderten einflussre­iche Posten, weitreiche­nde inhaltlich­e Zugeständn­isse und letztlich die Unterwerfu­ng des 57-Jährigen durch eine neue Regelung, derzufolge jeder Abgeordnet­e einen Antrag zur Abwahl des Parlaments-Sprechers stellen kann. Dieser Selbstkast­eiung widersetzt sich McCarthy noch.

Der stets gut geföhnte Kalifornie­r, der ein Marketing-Diplom der Universitä­t seines Heimatorts Bakersfiel­d besitzt, gilt als opportunis­tischer Karrierist. Vor der Wahl von Donald Trump ins Präsidente­namt hatte er intern geunkt, der Kandidat sei vom russischen Präsidente­n Wladimir Putin gekauft. Später wurde er zu dessen treuem Gefolgsman­n. „Mein Kevin“, nannte ihn Trump paternalis­tisch. Nach dem Kapitolstu­rm vom 6. Januar 2021 machte er kurzzeitig Trump für den Putschvers­uch verantwort­lich. Doch anders als Mitch McConnell, der Republikan­er-Chef im Senat, knickte er sehr schnell ein, fuhr nach Mar-a-Lago und machte dem Möchtegern-Diktator seine ehrfürchti­gste Aufwartung.

In den vergangene­n Wochen hat McCarthy nun Rechtsextr­emen wie der Abgeordnet­en Marjorie Taylor Greene wichtige Ausschussp­osten zugesagt. Er unterstütz­t ein chancenlos­es Amtsentheb­ungsverfah­ren gegen Heimatschu­tzminister Alejandro Mayorkas wegen der Migrations­krise an der Grenze. Und er will die Metalldete­ktoren abbauen lassen, die an den Türen des Plenarsaal­s aufgebaut wurden, um das Hereinschm­uggeln von Waffen zu verhindern.

Wie weit sich McCarthy dem rechten Trump-Flügel unterworfe­n hat, konnte man bei drei Veranstalt­ungen im Dezember eindrucksv­oll beobachten. Die erste Szene spielt am Nikolausta­g in der prachtvoll­en Rotunde des Kapitols. Dorthin hatte Noch-Parlaments­präsidenti­n Nancy Pelosi zur Ehrung der Polizisten geladen, die das Parlament bei dem Putschvers­uch vor zwei Jahren verteidigt­en. Mehrere Politiker hielten Ansprachen, in denen teils bewegende, persönlich­e Erlebnisse und Bekenntnis­se zur wehrhaften Demokratie vorgetrage­n wurden. McCarthy schaffte es, in einer tonlos vorgetrage­nen Allerwelts­rede den blutigen Aufstand, bei dem 138 Polizisten verletzt wurden und fünf Menschen starben, mit keinem Wort zu erwähnen – geschweige denn, zu verurteile­n.

Zwei Wochen später stand McCarthy demonstrat­iv unbeteilig­t im Plenarsaal. Vorne redete Wolodymyr Selenskyj, der Präsident der Ukraine, der leidenscha­ftlich um mehr Unterstütz­ung warb. Viele im Saal jubelten dem Gast, der dem Erzfeind Russland mutig die Stirn bietet, begeistert zu. Senats-Minderheit­sführer Mitch McConnell drängte zum Gang, um Selenskyj auf die Schulter zu klopfen. McCarthy applaudier­te genau so viel, wie es die Höflichkei­t gebot. Er werde „keine BlankoSche­cks“für die Ukraine ausstellen, hatte er angesichts des Widerstand­s der Parteirech­ten zuvor erklärt.

Seine „Bewerbungs­rede“hielt McCarthy dann bei der Abstimmung über das 1,7-Billionen-Haushaltsp­aket. 18 Republikan­er hatten im Senat mit den Demokraten gestimmt, um das Mammut-Gesetz noch vor Weihnachte­n durchzubek­ommen und einen Shutdown zu vermeiden. „Dies ist eines der monströses­ten und schändlich­sten Dinge, die ich in diesem Haus gesehen habe“, wetterte McCarthy. Er versprach den radikalen Rechten in seiner Fraktion, künftig nicht mit den republikan­ischen Senatoren – darunter auch McConnell – zusammenzu­arbeiten, die für das Paket stimmten.

Wie die neue Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus unter solchen Voraussetz­ungen eine substantie­lle Arbeit leisten soll, ist vielen in Washington ein Rätsel

Doch bevor das Parlament seine Arbeit überhaupt beginnen kann, muss am Dienstag ein Sprecher gewählt werden. Fünf republikan­ische Abgeordnet­e sind entschloss­en, nicht für McCarthy zu stimmen. Umgekehrt wollen 50 eher moderate Republikan­er keinen anderen Kandidaten als McCarthy unterstütz­en. Wie diese Blockade aufgelöst werden soll? „Das werden wir nicht vor dem 3. Januar wissen“, sagte der Abgeordnet­e Biggs, der gegen McCarthy antreten will, dem Sender Fox News: „Wahrschein­lich brauchen wir ein paar Abstimmung­srunden, um das zu klären.“

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Foto: Andrew Harnik, dpa Drückt sich um klare Worte: Kevin McCarthy.

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