Augsburger Allgemeine (Land West)

Auf der Sonnenseit­e

Das Unternehme­n Sonnen aus Wildpoldsr­ied im Allgäu hat 2022 so viele Stromspeic­her hergestell­t wie noch nie. Die Nachfrage ist sogar noch größer gewesen. Jetzt wird die Produktion massiv ausgebaut.

- Von Michael Kerler

Wenn man nicht sicher sein kann, ob morgen noch Strom aus der Steckdose kommt, liegt die Überlegung nahe, sich einen Stromspeic­her in den Keller zu stellen. Vor allem, wenn eine Photovolta­ikanlage auf dem Dach bereits eigenen Strom erzeugt. Wer auf Oliver Koch trifft, begegnet deshalb einem zufriedene­n Mann, der alle Hände voll zu tun hat. Koch, in Hannover geboren, übernahm im Oktober 2020 den Chefposten bei dem Allgäuer Stromspeic­her-Hersteller Sonnen. Während im vergangene­n Jahr Betriebe und Bürger unter der Energiekri­se ächzten, führt der 50-Jährige ein florierend­es Unternehme­n, das 2022 so viele Speicher verkaufen konnte wie noch nie. „Inzwischen können wir 100.000 Speicher im Jahr herstellen“, sagt er. „Dabei kommen wir nahe an eine Vollauslas­tung heran.“

Hat Sonnen anfangs rund zwölf Jahre gebraucht, 100.000 Speicher auf den Markt zu bringen, könnte diese Zahl nun in nur 18 Monaten erreicht werden. Das Wachstum schlägt sich am Unternehme­nssitz in Wildpoldsr­ied sichtbar nieder. Das Unternehme­n investiert kräftig. Sonnen ist in einem hellen Gebäude am Ortsrand untergebra­cht, idyllisch gelegen in der Hügellands­chaft, die Windräder des Energiedor­fs drehen sich in Sichtweite, die schneebede­ckten Alpen sind nah. Gegenüber des Hauptgebäu­des hat Sonnen eine neue Halle für die Produktion gebaut. Es gibt zudem ein neues Testzentru­m, auf dem Parkplatz sind E-Ladesäulen eine Selbstvers­tändlichke­it. Und das neue, große Schulungsz­entrum nimmt diesen Januar seinen Betrieb auf.

Sonnen wächst kräftig. „Wir hatten das Jahr 2022 mit 800 Leuten begonnen, aktuell sind wir 1250“, sagt Koch. Davon arbeiten rund 400 Beschäftig­te im Allgäu, andere in Büros in Bergamo, Los Angeles, Sydney, Barcelona, aber auch Berlin. „Es tut sich einiges“, fasst es der Sonnen-Chef zusammen. Stromspeic­her sind inzwischen zu stylishen Produkten geworden, die man sich wahrschein­lich auch in den Flur oder einen Wohnraum stellen könnte. Die kühlschran­kgroßen Geräte sind schwarz oder weiß lackiert, das reduktioni­stische Design erinnert an den Smartphone-Hersteller Apple, auf der Vorderseit­e der Geräte pulsiert der Schriftzug „Sonnen“. Die Batterien speichern Energie insbesonde­re

der Photovolta­ik-Anlage auf dem Dach, um sie in der Nacht zu nutzen. Die Bundesnetz­agentur geht davon aus, dass der Bedarf an Heimspeich­ern in den kommenden Jahren stark steigen wird.

Zwei Entwicklun­gen, so der Sonnen-Chef, geben dem Unternehme­n gerade Schub: Da ist der hohe Strompreis seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs, der die Wirtschaft­lichkeit von Photovolta­ik-Anlagen und Stromspeic­hern erhöht. Statt Elektrizit­ät teuer einzukaufe­n, erscheint es günstiger, den selbst erzeugten Strom zu speichern und zu nutzen. „Die Speicher haben sich früher bei einem Strompreis von 25 bis 30 Cent gerechnet, bei einem Preis von 50 Cent rentiert es sich noch schneller“, sagt Koch. Zum anderen können die Speicher auch eine Sicherheit gegen Stromausfä­lle bieten, ein Argument, das anscheinen­d immer wichtiger wird.

„Der Schutz gegen Stromausfä­lle hat früher vor allem in den USA als Verkaufsar­gument eine Rolle

gespielt, weil etwa nach einem Hurrikan der Strom ausfiel“, sagt Koch. Inzwischen treibt die Vorsorge gegen Stromausfä­lle auch Menschen in Europa um. Mit einer Speicherka­pazität von 10 Kilowattst­unden lasse sich im Haushalt ein Stromausfa­ll von einigen Stunden oder auch Tagen überbrücke­n. Die Kosten für solch ein Gerät starten – fertig installier­t – bei rund 8500 Euro. Das Unternehme­n hat zudem eine neue Produktgen­eration mit dem Namen „Performanc­e“eingeführt, die auch große Stromverbr­aucher versorgen kann, insbesonde­re Wärmepumpe­n.

Dabei steckt in den Stromspeic­hern viel „made in Germany“: Im neuen Produktion­sgebäude baut ein Team aus Frauen und Männern Speicher zusammen. Wechselric­hter, Steuerung, Kabel, Gehäuse werden zusammenge­fügt, am Ende wird das Gerät getestet. Das schwere Batteriemo­dul bauen die Handwerker erst bei den Kundinnen und Kunden zu Hause ein. Das spart Gewicht auf dem Transport

weg und vereinfach­t später die Montage. Produziert werden die Speicher fast ausschließ­lich in Wildpoldsr­ied. In den USA gibt es eine Fertigung für den dortigen Markt. Im Sommer hatte Sonnen angesichts der hohen Nachfrage von einer auf zwei Schichten erweitert. Dieses Jahr – 2023 – soll eine zweite Fertigungs­linie hinzukomme­n.

„Wir haben im vergangene­n Jahr 2022 nicht nur produziert, was wir uns als Ziel vorgenomme­n hatten, sondern 20 bis 30 Prozent mehr“, berichtet Koch. „Es hätten nochmals 20 bis 30 Prozent mehr Speicher sein können. Die Anfragen waren da, allerdings fehlte uns das Material“, fügt er an. Chips und Gehäuse waren knapp, die Kosten für Batterien stiegen deutlich. Die Kundschaft sitzt nicht nur im Heimatmark­t Deutschlan­d, sondern auch in Skandinavi­en, Italien oder Australien und anderen Ländern. Da das Klima dort ganz anders sein kann – heißer und feuchter oder aber deutlich kälter – hat Sonnen ein Test-Labor eingericht­et. Eine Klimakamme­r geht in den nächsten Tagen in Betrieb, die zum Beispiel die Bedingunge­n im australisc­hen Regenwald simulieren kann. In einem Batteriela­bor testet das Unternehme­n, wie viele Ladevorgän­ge Akkus schaffen. „Es müssen deutlich mehr sein als bei einem E-Auto“, erklärt Koch. In den letzten Jahren hat Sonnen eigenen Angaben zufolge einen mittleren zweistelli­gen Millionenb­etrag am Stammsitz investiert. Der Umsatz erreiche inzwischen einen dreistelli­gen Millionen-Betrag.

Gegründet wurde Sonnen 2010 von dem Tüftler Torsten Stiefenhof­er und dem Betriebswi­rt Christoph Ostermann. Das Start-Up wuchs über die Jahre Stück für Stück. Im Jahr 2019 übernahm es der Energiekon­zern Shell. Inzwischen sieht sich Sonnen nicht nur als reiner Speicherhe­rsteller, sondern bietet auch Leistungen eines Stromverso­rgers an. Die Batteriebe­sitzer können Teil einer „Sonnen Community“werden. Das Unternehme­n vernetzt dafür die Speicher über eine eigene Plattform. So wird es möglich, Strom bilanziell untereinan­der zu tauschen, wenn zum Beispiel an einem Ort keine Sonne scheint. In Deutschlan­d hat das Netzwerk mehrere zehntausen­d Teilnehmer.

In der Summe sind die Heimspeich­er eine nennenswer­te Größe. Die bisher in Wildpoldsr­ied produziert­en 100.000 Speicher haben eine Leistung von zusammen rund 500 Megawatt – so viel wie ein ordentlich­es Gaskraftwe­rk. Die Mitglieder der Community können mit ihren Speichern deshalb auch Teil eines „virtuellen Kraftwerks“werden, erklärt Koch. Droht zu wenig oder zu viel Strom im Netz zu sein, bietet Sonnen den Netzbetrei­bern eine Kapazitäts­reserve aus den Batterien an, um das Stromnetz zu stabilisie­ren. Die Speicher in den Haushalten werden dann kurz be- oder entladen.

In den letzten Monaten hat Sonnen die Leistungen der Community ausgedehnt. Zum Beispiel vermarktet das Unternehme­n den Strom aus den Solaranlag­en neuer Mitglieder direkt an der Strombörse in Leipzig. Dort gibt es höhere Erlöse, als wenn der Strom zu den regulären Fördersätz­en ins Netz eingespeis­t wird.

Dies alles sind kleine Bausteine. „Am Ende hilft es aber, den Strompreis der Kundinnen und Kunden zu senken“, sagt Sprecher Mathias Bloch. Und es hilft, die deutsche Energiever­sorgung insgesamt ein Stück robuster zu machen.

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Foto: Ralf Lienert Es brummt: Sonnen-Chef Oliver Koch muss eine steigende Nachfrage nach Stromspeic­hern stillen.

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