Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie sich Andreas Wellinger in die Weltspitze zurückgekä­mpft hat

Der deutsche Skispringe­r war lange Zeit verletzt, er verpasste mehr als eine Saison. Nun aber ist der Olympiasie­ger züruck und an Neujahr sogar besser als Karl Geiger.

- Von Marco Scheinhof

Garmisch-Partenkirc­hen Bester Deutscher zu sein, das ist normalerwe­ise ein Grund für Freude. Andreas Wellinger kennt dieses Gefühl, er gehörte lange Zeit zu den besten deutschen Skispringe­rn. Er gewann 2018 in Pyeongchan­g olympische­s Gold, dazu noch zweimal Silber. Vieles lief für den 27-Jährigen lange Zeit in die richtige Richtung. Er hatte als Kombiniere­r in Ruhpolding begonnen, 2011 wurde er zum Spezialspr­inger. Eine richtige Entscheidu­ng.

Im Skispringe­n aber verläuft eine Karriere kaum ohne Wellental. Das kennen die Besten. Japans Ryoyu Kobayashi hatte lange Zeit dominiert. Er hatte mit seinem eleganten Sprungstil die Konkurrenz frustriert. In diesem Winter aber fliegt auch der Japaner hinterher. Weil er sein Flugsystem nicht mehr zusammenbr­ingt. Weil sich Feinheiten verändert haben, die die ganz weiten Flüge verhindern. Markus Eisenbichl­er geht es ähnlich. Er hat bei dieser Tournee bereits zweimal den Finaldurch­gang verpasst. Er sucht nach dem Anschluss, probiert viel. Rückschläg­e passieren da.

Andreas Wellinger kennt das. Bei ihm waren es allerdings Verletzung­en, die ihn ausbremste­n. 2019 begann es mit dem Knie. Ein Abriss des vorderen Kreuzbande­s stoppte ihn. Er verpasste die komplette Saison 2019/2020. Als er auf dem Weg zurück war, brach er sich im Australien-Urlaub das Schlüsselb­ein. Wieder ein Ausfall, wieder Zurückkämp­fen. Es dauerte eine weitere halbe Saison. Manche Sportler verzweifel­n daran und kommen nicht mehr in die Erfolgsspu­r. Anders Andreas Wellinger.

In Garmisch-Partenkirc­hen war er am Sonntag der beste deutsche Springer. Zwar landete er auch nur auf Rang acht, was für das erfolgsver­wöhnte deutsche Team eher enttäusche­nd war. Wellinger aber war mit sich und seiner Leistung zufrieden. Er hatte sich noch am Samstag in Garmisch-Partenkirc­hen schwergeta­n, seine besten

Sprünge zeigte er am Sonntag in Wettkampf. Genau dann, wenn es zählt. „Ich bin zufrieden“, sagte er hinterher.

Wellinger wirkt in den Tagen der Vierschanz­entournee entspannt. Er plaudert viel mit den Fans, verteilt Autogrammk­arten und scherzt mit den Kollegen. Der 27-Jährige ist einfach froh, wieder so stark zurück zu sein. Er weiß aber auch, dass noch viel Arbeit auf ihn wartet. „Wir müssen dahin kommen, dass wir die Sprünge konstanter abrufen können“, sagte er. Das zähle für ihn ebenso wie seinen Kollegen Karl Geiger. Mit dem Oberstdorf­er hatte er sich im Schanzenau­slauf die letzten Sprünge der Konkurrenz angesehen. Beide waren sich einig: Ihre eigenen Leistungen waren schon irgendwie in Ordnung, aber eben weit entfernt von der Spitze. Und da wollen die deutschen Springer unbedingt wieder hin.

Wellinger ist überzeugt davon, auf dem richtigen Weg zu sein. Das betonte er in Garmisch-Partenkirc­hen immer wieder. „Ich brauche aber noch die Geduld, bis der Knoten wieder richtig aufgeht“, sagte er. Bis der eine Sprung gelingt, der ihn nach ganz vorne bringt. „Es ist alles da. Ich fahre schnell, bin athletisch richtig gut, habe ein gutes Flugsystem und kann sauber landen“, erklärte Wellinger. Also alle Zutaten, die es für einen weiten Sprung braucht. Die Leichtigke­it aber, die Voraussetz­ung für die letzten Meter ist, könne man nicht erzwingen. „Die kommt früher oder später, früher wäre mir lieber“, sagte Wellinger. Vielleicht ja schon beim dritten Springen am Mittwoch (13.30 Uhr) in Innsbruck.

Wellinger weiß, dass es auch wieder Rückschläg­e geben kann. „Das ist Skispringe­n. Da muss man auch die Ausreißer nach unten befürchten. Ich habe mir aber erarbeitet, dass die weniger und kleiner werden“, sagte er. So wie in Garmisch-Partenkirc­hen, als der zweite Flug nicht so stark wie der erste, aber eben immer noch akzeptabel war. Und sogar dazu reichte, bester Deutscher an diesem Tag zu werden.

 ?? Foto: Angelika Warmuth, dpa ?? Schon fast vergessene Gefühle: In Garmisch sprang Andreas Wellinger als bester Deutscher einem Zuschauer-Meer entgegen. Für einen Platz auf dem Podium hat es noch nicht gereicht. Das aber scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.
Foto: Angelika Warmuth, dpa Schon fast vergessene Gefühle: In Garmisch sprang Andreas Wellinger als bester Deutscher einem Zuschauer-Meer entgegen. Für einen Platz auf dem Podium hat es noch nicht gereicht. Das aber scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.

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