Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Verführungskraft der Dalila und ihr orgiastisches Fest
Die Augsburger Philharmoniker bereisten in ihrem Neujahrskonzert voll tänzerischem Schwung das Abend- und das Morgenland. Den Cicerone macht Domonkos Héja.
Als Augsburgs amtierender Generalmusikdirektor Domonkos Héja im Dezember 2014 sein zweites Bewerbungsdirigat in Augsburg absolvierte, wurde in einer Nummernfolge aus Tschaikowskys „Nußknacker“-Ballett schnell klar, was zu seinen musikalischen Stärken zählt: das tänzerisch Musikantische. Insofern betrat er jetzt zum Neujahrskonzert auch „a gmahde Wiesn“mitten im Winter. Weil sich doch so viele Freunde der Philharmonischen Konzerte speziell zu diesem Ereignis etwas Schwungvolles gewünscht hatten: Tänze aus Ballett, Oper, Symphonik. Der Boss in seinem rhythmischen Element. Mag er auch – wie er zu bedeuten schien – als Abiturient einst noch keine allzu kesse Sohle geschwungen haben.
Indes war dieses Neujahrskonzert im Martinipark mit thematisch bedingt eher animierter denn kontemplativer Musik weit mehr als ein Wunsch-, Sonntags- und Walzerkonzert. Es wurde gleichzeitig zu einer tendenziell chronologischen Zeitreise durch die Tanzmusik aus drei Jahrhunderten (von
Gluck bis Manuel de Falla) sowie zu einer musikalischen StudiosusReise nach Wien, ins Slawische, in den Vorderen Orient und gen Spanien. Die ersten Ovationen des Publikums erklangen quasi in Gaza des biblischen Palästina – nachdem Héja und die Philharmoniker als praktisch unverschleierte Karawanserei das feuchtwarme Bacchanale aus Saint-Saëns Oper „Samson und Dalila“höchst sinnlich ausgebreitet hatten. Die Verführungskraft der Dalila, ihr orgiastisches Fest: die Phantasie wurde mächtig erregt.
Auch sonst ertönte manches, was als komplettes Werk zumindest in näherer Zukunft kaum Aussicht auf szenische Realisation in Augsburg hat: etwa der ungarische Tanz „Palotás“aus Ferenc Erkels Oper „Hunyadi László“und der „Tanz der Narren“aus RimskiKorsakovs Oper „Schneeflöckchen“, etwa – nicht mal auf der Freilichtbühne – drei Tänze aus den ersten beiden Akten von Verdis „Aida“. Auch da waren wie bei Saint-Saëns orientalische Priesterinnen zugange, auch da gelang das musikalisch Atmosphärische trefflich – obwohl der Programmzettel etwas widerspenstig-inkorrekt einen „Tanz der Mohren“angekündigt hatte. In letzter Sekunde formulierte Dramaturgin und Moderatorin Christine Faist das Index-Wort in „Sklaven“um – während sie grundsätzlich mehr Wissenswertes zu den Programmpunkten erklärte, als mittlerweile selbst gehobene Radiosender bereit sind zu erklären.
Begonnen hatte der Abend mit Wiener Klassik – mit Beethoven, Gluck, Mozart. Wobei der „Pas seul“aus dem „Idomeneo“etwas unterbelichtet ertönte, Glucks „Furientanz“dagegen mit Streichern auf Zack. Dass sie das Stück in den letzten Jahren wiederholt in „Orfeo ed Euridice“zu spielen hatten, blieb aufgrund der Präzision unüberhörbar.
Beim slawischen und ungarischen Abstecher wiederum standen die symphonischen Tänze von Dvorák und Brahms sowie Tschaikowskys effektvolle Polonaise aus „Eugen Onegin“im Mittelpunkt, wo ja gerne das Wehmütige ins Feurige, feuchte Lider in hoffnungsvoll strahlende Augen umschlagen. Die Philharmoniker packten zu mit Schmiss und Schmackes, nur bei Brahms hatte einmal Domonkos Héja mehr Paprika
im Blut als das Orchester nach der Silvesternacht.
Später das spanisch hitzige Finale. Klasse: Manuel de Falla mit dem groß orchestrierten „Danza del terror“und dem „Danza ritual del fuego“aus dem Ballett „El amor brujo“. Tempi-Wechsel und Dynamik waren wohl durchgestaltet; die Philharmoniker folgten im jeweiligen Anziehen und Nachlassen; man „spielte“mit der Musik wie die Katz’ mit der Maus.
Vergleichbares hätte man sich auch für Emmanuel Chabriers „España“-Rhapsodie gewünscht, doch hier herrschte nordische Akkuratesse vor, dazu konzentrierter Blick ins Notenmaterial. Dies dämpfte aber nicht den begeisterten Schlussapplaus – und die Verwirrung jener Orchestersolisten, die sich auf Héjas Wink hin zum Einzelbeifall erheben sollten. Von Musikern wird das zwar die „Hundenummer“genannt, aber verständlicherweise gerne wahrgenommen. Dass aber auch Raunen und Extra-Beifall für Christine Faist aufbrandete, als sie nach der Pause in frischem, feurig-rotem Abendkleid die Bühne betrat, beweist nur, wie aufmerksam das Publikum auch mit den Augen hörte.