Augsburger Allgemeine (Land West)

Der letzte Wunsch: Noch einmal aufs Modular

Claudia Lerchenmül­ler arbeitet für den Wünschewag­en, der schwerst kranken Menschen noch einmal besondere Erlebnisse ermöglicht. 2022 hat sie vor allem ein Einsatz in Augsburg beeindruck­t, den Freunde für eine junge Frau organisier­ten.

- Von Ina Marks

Ihr Körper war bereits voller Metastasen. Die 37-jährige Julia (Name geändert) wusste nicht, wie viel Zeit ihr der Krebs noch lassen würde. Ihre Freundinne­n und Freunde wollten der Sterbenskr­anken einen besonderen Augenblick schenken. Ein Stück Normalität angesichts des unaufhalts­amen Schicksals. Sie wussten, dass die junge Frau noch einmal gerne das Augsburger Musikfesti­val Modular besuchen wollte, und riefen beim Wünschewag­en des ArbeiterSa­mariter-Bundes (ASB) an. Für die Mitarbeite­r des Projekts wurde daraus einer der bemerkensw­ertesten Einsätze im vergangene­n Jahr.

Wünschewag­en des ASB gibt es in ganz Deutschlan­d – einen davon hier in der Region. Seit vier Jahren erfüllt der Wünschewag­en Allgäu/ Schwaben, der notfallmed­izinisch ausgestatt­et ist, schwerstkr­anken Menschen letzte Herzenswün­sche. Das kann eine Fahrt ans Meer bedeuten oder den Besuch eines Fußballsta­dions,

um ein letztes Mal mit der Lieblingsm­annschaft mitzufiebe­rn. Das Projekt wird über Spenden und Sponsoreng­elder finanziert. Ausgeführt wird es von Ehrenamtli­chen, die ihre Freizeit der guten Sache widmen. Eine von ihnen ist Claudia Lerchenmül­ler aus Immenstadt, die hauptberuf­lich für den ASB im ambulanten Pflegedien­st arbeitet. Die 34-Jährige hat der Ausflug mit der todkranken Julia auf das Augsburger Modular in diesem Jahr besonders beeindruck­t. Das lag auch an dem Freundeskr­eis der jungen Frau.

„Die Freundinne­n und Freunde waren einfach klasse. Jeder Einzelne hatte begriffen, wohin Julias Weg führen wird. Da waren sie alle realistisc­h. Und trotzdem legten sie auf dem Modular eine beeindruck­ende Leichtigke­it hin, um Julia einen schönen Tag zu bereiten“, erzählt Lerchenmül­ler. Dabei war es anfangs gar nicht sicher, ob das Vorhaben klappt. Die Anfrage an den ASB kam erst drei Tage vor dem Modular. Wünschewag­en-Organisato­rin Sonja Hujo versuchte sofort, per Mail die Festival-Leitung zu kontaktier­en. Doch offenbar ging dort die Anfrage aufgrund des Trubels unter.

Lerchenmül­ler erinnert sich, wie sie und die beiden Kolleginne­n mit Julia im Wünschewag­en dennoch ihr Glück auf dem Festival am Gaswerk versuchten. Mit Erfolg. „Für uns wurde sofort der Veranstalt­er geholt. Er organisier­te uns in kürzester Zeit Eintrittsk­arten für alle und einen Parkplatz.“Mit dem Rollstuhl habe man Julia dann auf das Konzertgel­ände gebracht. Über zehn Freundinne­n und Freunde scharten sich

um die Kranke, versorgten sie mit Pommes, hörten mit ihr der Musik zu, plauderten, machten Späße. Julia habe an dem Stück Normalität so eine Freude gehabt, dass sie den Wunsch nach einer nächsten Fahrt äußerte. „Aber es gibt für jeden nur eine Fahrt mit dem Wünschewag­en“, sagt Claudia Lerchenmül­ler und erzählt: „Ab da wollte sie, obwohl sie sehr schwach war, den Tag auf dem Modular nicht mehr enden lassen.“Rund vier Wochen

später sei Julia gestorben. Was Lerchenmül­ler bei dieser traurigen Nachricht durch den Kopf ging? „Ich dachte mir, Gott sei Dank haben wir das gemacht. Und, dass es Gold wert ist, solche Freunde zu haben.“

Der Wünschewag­en Allgäu/ Schwaben hat im vergangene­n Jahr 51 letzte Wünsche erfüllt und dafür fast 21.000 Kilometer zurückgele­gt. Laut Sonja Hujo, die für die Koordinati­on des Projekts

verantwort­lich ist, habe es aber deutlich mehr Anfragen gegeben. „Rund 100 Wunschfahr­ten standen kurz vor der Durchführu­ng, konnten aber in letzter Minute nicht mehr stattfinde­n“, berichtet Hujo. Der Gesundheit­szustand mancher Fahrgäste habe sich so rapide verschlech­tert, dass sie sich die Fahrt nicht mehr zutrauten. Andere wiederum seien schon zuvor gestorben. „Es ist wichtig, sich rechtzeiti­g bei uns zu melden. Nur

solange es einem noch einigermaß­en gut geht, kann man von so einem Tag etwas mitnehmen und davon noch länger zehren.“

ASB-Wünschewag­en: Er ist ein Kooperatio­nsprojekt der ASB-Verbände Allgäu, Neu-Ulm, Augsburg und Dillingen-Donau-Ries. Für den Fahrgast und eine Begleitung ist die Wunschfahr­t kostenlos. Kontakt unter 08341/9934925 oder wuenschewa­gen@asb-allgaeu.de.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Der letzte Wunsch einer 37-Jährigen vor dem Tod: noch einmal aufs Modular in Augsburg. Der Wünschewag­en Allgäu/Schwaben erfüllte ihn ihr.
Foto: Silvio Wyszengrad Der letzte Wunsch einer 37-Jährigen vor dem Tod: noch einmal aufs Modular in Augsburg. Der Wünschewag­en Allgäu/Schwaben erfüllte ihn ihr.
 ?? ?? Claudia Lerchenmül­ler arbeitet ehrenamtli­ch für den Wünschewag­en des Arbeiter-Samariter-Bundes.
Claudia Lerchenmül­ler arbeitet ehrenamtli­ch für den Wünschewag­en des Arbeiter-Samariter-Bundes.

Newspapers in German

Newspapers from Germany