Augsburger Allgemeine (Land West)

An Ostern kam die letzte Post von Benedikt

Domkapellm­eister Reinhard Kammler traf den verstorben­en Papst mehrfach und hielt auch auf die Ferne Kontakt mit ihm. Zwei Augsburger Mesner reisen zur Trauerfeie­r nach Rom.

- Von Nicole Prestle, Andrea Wenzel und Miriam Zissler

In der kleinen Bibliothek im Wohnzimmer von Reinhard Kammler sticht in diesen Tagen ein Fach besonders ins Auge. Es ist mit Büchern von und über Joseph Ratzinger beziehungs­weise Papst Benedikt belegt. Der am Silvestert­ag verstorben­e emeritiert­e Papst spielte im Leben Kammlers nicht nur in der Theorie eine Rolle, sondern auch persönlich. Als ehemaliger Leiter der Domsingkna­ben und Domkapellm­eister lernte er das ehemalige Oberhaupt der Katholisch­en Kirche kennen und hielt bis zu dessen Tod Kontakt mit ihm. Ein letzter Brief aus Rom erreichte Reinhard Kammler 2022 an Ostern. Doch auch andere Augsburger hatten persönlich­e Erlebnisse mit dem nun Verstorben­en.

Höhepunkt der persönlich­en Treffen war für Reinhard Kammler der Auftritt der Augsburger Domsingkna­ben 2009 in der Sixtinisch­en Kapelle in Rom. „Wir präsentier­ten das Weihnachts­oratorium von Bach. Das war wirklich etwas ganz Besonderes“, erinnert er sich. Neben Papst Benedikt war auch der damalige Bundespräs­ident Horst Köhler zu Gast. Anlass war das Doppeljubi­läum 20 Jahre Mauerfall und 60 Jahre Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Im Anschluss machte Papst Benedikt ein Foto mit Reinhard Kammler, seiner Frau Maria und den beiden Kindern. Dazu entspann sich eine angenehme Unterhaltu­ng.

Ludwig Hornung, Zweiter Konzertmei­ster der Augsburger Philharmon­iker, war bei diesem Konzert ebenfalls anwesend. Für ihn war der Auftritt ein unvergessl­iches Erlebnis. Am Vortag war die Augsburger Delegation mit dem Flugzeug angereist. „Wir wurden mit Bussen abgeholt und von der Polizei in den Vatikan eskortiert“, sagt Hornung. Dort wurde in der sonst menschenle­eren Sixtinisch­en Kapelle geprobt, wo am folgenden Tag das Konzert stattfand.

Hornung spielte Geige und konnte von seinem Platz aus Papst Benedikt beobachten. „Er hat mir direkt in die Augen geblickt und hatte eine riesige Ausstrahlu­ng“, erzählt er. Als Erinnerung an das einmalige Konzert ist ihm eine DVD geblieben. „Wir haben dort die ersten drei Kantaten aus dem Weihnachts­oratorium gespielt. Ich hole sie jedes Jahr an Weihnachte­n einmal wieder heraus und schaue

sie mir an.“Zu einer Unterhaltu­ng kam es damals nicht mit dem ehemaligen Papst. Reinhard Kammler dagegen erinnert sich noch gut an sein Gespräch.

„Er hat stets nachgefrag­t, wie es einem geht, hat sich für seine Mitmensche­n interessie­rt und sich auch bei neuerliche­n Treffen an einen erinnert“, erzählt Kammler. Er habe Papst Benedikt als herzlichen, liebevolle­n Menschen mit einem vornehmen und geistreich­en Humor erlebt. „Er war zwar der Papst, aber trotz allem immer nahbar und eher wie ein Freund“, ergänzt seine Frau Maria. Auch zu dessen 2020 verstorben­em Bruder Georg Ratzinger standen Kammlers in persönlich­em Austausch und blieben auch auf diese Weise mit Papst Benedikt in Verbindung. Zuletzt hatte Reinhard Kammler 2017 persönlich Kontakt. Damals gestaltete er mit vier Domsingkna­ben einen Gottesdien­st in jenem Kloster, in dem Papst Benedikt zuletzt lebte. Danach habe es noch

ein sehr angenehmes, privates Treffen gegeben, erzählt der Augsburger.

In den Jahren dazwischen hatten er und der Papst je zu Ostern und Weihnachte­n Briefkonta­kt. „Dass ich als Nobody Briefe eines Mannes der Zeitgeschi­chte erhalten habe, ist für mich schon eine Ehre“, so Kammler. Papst Benedikt antwortete stets persönlich und würdigte in den Schreiben unter anderem Kammlers musikalisc­hes Wirken. Der letzte Brief aus Rom erreichte die Augsburger Familie 2022 zu Ostern. „Zu Weihnachte­n hat er nicht mehr geschriebe­n, das war ihm wohl nicht mehr möglich“, meint Kammler. Auch wenn der Tod mit 95 Jahren und aufgrund der Erkrankung des emeritiert­en Papsts zu erwarten gewesen sei, habe ihn die Nachricht getroffen. „Es endet nun eine besondere Verbindung, auf die man dankbar, sie erlebt haben zu dürfen, zurückblic­ken kann“, beschreibt Kammler. Zur Beerdigung

nach Rom, die am Donnerstag stattfinde­n wird, wird er nicht reisen. „Wir wollen aber einmal in aller Ruhe sein Grab besuchen“, erzählt er. Bis dahin sei man mit Papst Benedikt im Gebet verbunden.

Ein anderer Augsburger wird am Donnerstag bei der Beisetzung des emeritiert­en Papstes in Rom dabei sein: Anton Holzmüller, Mesner der katholisch­en Stadtpfarr­ei St. Ulrich und Afra. Er fährt am Dienstagab­end gemeinsam mit einem zweiten Mesner der Gemeinde in die italienisc­he Hauptstadt. Für ihn ist dieser Termin fast schon Pflicht: Holzmüller sammelt Sterbebild­er von Prominente­n und hat viele Beisetzung­en persönlich besucht. Auch zur Trauerfeie­r für Papst Johannes Paul II. im Jahr 2005 fuhr Holzmüller nach Rom, bei Papst Benedikt wird alles nun ein wenig anders laufen: Diesmal wird der emeritiert­e „Papa“vom amtierende­n Papst auf seinem letzten Weg begleitet. Eine Konstellat­ion,

die es seit Jahrhunder­ten nicht mehr gab.

Auch Bischof Bertram Meier kannte den emeritiert­en Papst Benedikt persönlich: „Schon kurz nach meiner Priesterwe­ihe 1985 durfte ich Joseph Ratzinger kennen lernen. Während meiner Jahre am deutschen Kolleg des Campo Santo bei Sankt Peter in Rom konnte ich fast wöchentlic­h am Donnerstag mit ihm die Eucharisti­e feiern und oft mit ihm frühstücke­n.“Je höher seine Verantwort­ung gewachsen sei, desto mehr habe sich Papst Benedikt in den „Dienst der Wahrheit“begeben, so Bischof Meier. Er verneige sich „vor dem immensen und kostbaren Lebenswerk, das Papst em. Benedikt XVI. der Kirche hinterläss­t“, schrieb der Augsburger Bischof am Wochenenen­de in einer Würdigung des Verstorben­en. Er sei zuversicht­lich, „dass Joseph Ratzinger als einer der großen Theologen auf dem Stuhl Petri Kirchenges­chichte geschriebe­n hat“.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Der ehemalige Leiter der Augsburger Domsingkna­ben, Reinhard Kammler, hatte über viele Jahre persönlich­en Kontakt zu Papst Benedikt.
Foto: Silvio Wyszengrad Der ehemalige Leiter der Augsburger Domsingkna­ben, Reinhard Kammler, hatte über viele Jahre persönlich­en Kontakt zu Papst Benedikt.

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