Augsburger Allgemeine (Land West)
An Ostern kam die letzte Post von Benedikt
Domkapellmeister Reinhard Kammler traf den verstorbenen Papst mehrfach und hielt auch auf die Ferne Kontakt mit ihm. Zwei Augsburger Mesner reisen zur Trauerfeier nach Rom.
In der kleinen Bibliothek im Wohnzimmer von Reinhard Kammler sticht in diesen Tagen ein Fach besonders ins Auge. Es ist mit Büchern von und über Joseph Ratzinger beziehungsweise Papst Benedikt belegt. Der am Silvestertag verstorbene emeritierte Papst spielte im Leben Kammlers nicht nur in der Theorie eine Rolle, sondern auch persönlich. Als ehemaliger Leiter der Domsingknaben und Domkapellmeister lernte er das ehemalige Oberhaupt der Katholischen Kirche kennen und hielt bis zu dessen Tod Kontakt mit ihm. Ein letzter Brief aus Rom erreichte Reinhard Kammler 2022 an Ostern. Doch auch andere Augsburger hatten persönliche Erlebnisse mit dem nun Verstorbenen.
Höhepunkt der persönlichen Treffen war für Reinhard Kammler der Auftritt der Augsburger Domsingknaben 2009 in der Sixtinischen Kapelle in Rom. „Wir präsentierten das Weihnachtsoratorium von Bach. Das war wirklich etwas ganz Besonderes“, erinnert er sich. Neben Papst Benedikt war auch der damalige Bundespräsident Horst Köhler zu Gast. Anlass war das Doppeljubiläum 20 Jahre Mauerfall und 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland. Im Anschluss machte Papst Benedikt ein Foto mit Reinhard Kammler, seiner Frau Maria und den beiden Kindern. Dazu entspann sich eine angenehme Unterhaltung.
Ludwig Hornung, Zweiter Konzertmeister der Augsburger Philharmoniker, war bei diesem Konzert ebenfalls anwesend. Für ihn war der Auftritt ein unvergessliches Erlebnis. Am Vortag war die Augsburger Delegation mit dem Flugzeug angereist. „Wir wurden mit Bussen abgeholt und von der Polizei in den Vatikan eskortiert“, sagt Hornung. Dort wurde in der sonst menschenleeren Sixtinischen Kapelle geprobt, wo am folgenden Tag das Konzert stattfand.
Hornung spielte Geige und konnte von seinem Platz aus Papst Benedikt beobachten. „Er hat mir direkt in die Augen geblickt und hatte eine riesige Ausstrahlung“, erzählt er. Als Erinnerung an das einmalige Konzert ist ihm eine DVD geblieben. „Wir haben dort die ersten drei Kantaten aus dem Weihnachtsoratorium gespielt. Ich hole sie jedes Jahr an Weihnachten einmal wieder heraus und schaue
sie mir an.“Zu einer Unterhaltung kam es damals nicht mit dem ehemaligen Papst. Reinhard Kammler dagegen erinnert sich noch gut an sein Gespräch.
„Er hat stets nachgefragt, wie es einem geht, hat sich für seine Mitmenschen interessiert und sich auch bei neuerlichen Treffen an einen erinnert“, erzählt Kammler. Er habe Papst Benedikt als herzlichen, liebevollen Menschen mit einem vornehmen und geistreichen Humor erlebt. „Er war zwar der Papst, aber trotz allem immer nahbar und eher wie ein Freund“, ergänzt seine Frau Maria. Auch zu dessen 2020 verstorbenem Bruder Georg Ratzinger standen Kammlers in persönlichem Austausch und blieben auch auf diese Weise mit Papst Benedikt in Verbindung. Zuletzt hatte Reinhard Kammler 2017 persönlich Kontakt. Damals gestaltete er mit vier Domsingknaben einen Gottesdienst in jenem Kloster, in dem Papst Benedikt zuletzt lebte. Danach habe es noch
ein sehr angenehmes, privates Treffen gegeben, erzählt der Augsburger.
In den Jahren dazwischen hatten er und der Papst je zu Ostern und Weihnachten Briefkontakt. „Dass ich als Nobody Briefe eines Mannes der Zeitgeschichte erhalten habe, ist für mich schon eine Ehre“, so Kammler. Papst Benedikt antwortete stets persönlich und würdigte in den Schreiben unter anderem Kammlers musikalisches Wirken. Der letzte Brief aus Rom erreichte die Augsburger Familie 2022 zu Ostern. „Zu Weihnachten hat er nicht mehr geschrieben, das war ihm wohl nicht mehr möglich“, meint Kammler. Auch wenn der Tod mit 95 Jahren und aufgrund der Erkrankung des emeritierten Papsts zu erwarten gewesen sei, habe ihn die Nachricht getroffen. „Es endet nun eine besondere Verbindung, auf die man dankbar, sie erlebt haben zu dürfen, zurückblicken kann“, beschreibt Kammler. Zur Beerdigung
nach Rom, die am Donnerstag stattfinden wird, wird er nicht reisen. „Wir wollen aber einmal in aller Ruhe sein Grab besuchen“, erzählt er. Bis dahin sei man mit Papst Benedikt im Gebet verbunden.
Ein anderer Augsburger wird am Donnerstag bei der Beisetzung des emeritierten Papstes in Rom dabei sein: Anton Holzmüller, Mesner der katholischen Stadtpfarrei St. Ulrich und Afra. Er fährt am Dienstagabend gemeinsam mit einem zweiten Mesner der Gemeinde in die italienische Hauptstadt. Für ihn ist dieser Termin fast schon Pflicht: Holzmüller sammelt Sterbebilder von Prominenten und hat viele Beisetzungen persönlich besucht. Auch zur Trauerfeier für Papst Johannes Paul II. im Jahr 2005 fuhr Holzmüller nach Rom, bei Papst Benedikt wird alles nun ein wenig anders laufen: Diesmal wird der emeritierte „Papa“vom amtierenden Papst auf seinem letzten Weg begleitet. Eine Konstellation,
die es seit Jahrhunderten nicht mehr gab.
Auch Bischof Bertram Meier kannte den emeritierten Papst Benedikt persönlich: „Schon kurz nach meiner Priesterweihe 1985 durfte ich Joseph Ratzinger kennen lernen. Während meiner Jahre am deutschen Kolleg des Campo Santo bei Sankt Peter in Rom konnte ich fast wöchentlich am Donnerstag mit ihm die Eucharistie feiern und oft mit ihm frühstücken.“Je höher seine Verantwortung gewachsen sei, desto mehr habe sich Papst Benedikt in den „Dienst der Wahrheit“begeben, so Bischof Meier. Er verneige sich „vor dem immensen und kostbaren Lebenswerk, das Papst em. Benedikt XVI. der Kirche hinterlässt“, schrieb der Augsburger Bischof am Wochenenende in einer Würdigung des Verstorbenen. Er sei zuversichtlich, „dass Joseph Ratzinger als einer der großen Theologen auf dem Stuhl Petri Kirchengeschichte geschrieben hat“.