Augsburger Allgemeine (Land West)

Rakete zerstört ihren Balkon

Der Jahreswech­sel wurde in Augsburg mit viel Feuerwerk gefeiert. Der Spaß hatte seine Kehrseite. Ein Vorfall entsetzte die Feuerwehr.

- Von Ina Marks

Von der Sitzecke auf dem Balkon ist nur noch ein verkohlter Haufen übrig. Das Fenster zum Schlafzimm­er existiert gar nicht mehr, eine Plane deckt die Öffnung ab. Risse ziehen sich durch das Glas der Balkontür. „Was für ein Glück, dass das Feuer nicht auf meine Wohnung übergegrif­fen hat.“Shima Naeinian ist immer noch aufgewühlt. Eine Silvesterr­akete hatte am Samstagabe­nd den Balkon ihrer Wohnung in einem Mehrfamili­enhaus in Hochzoll in Brand gesteckt. Nicht nur Vorfälle wie diese verliehen der Silvestern­acht bei manchen Augsburger­innen und Augsburger­n einen bitteren Beigeschma­ck. Wie in anderen großen Städten in Deutschlan­d wurden auch in der Fuggerstad­t Helfer der Feuerwehr mit Raketen unter Beschuss genommen. Der Vorfall passierte auf der Wertachbrü­cke.

Es war drei Minuten vor Mitternach­t, als die Berufsfeue­rwehr mit vier Einsatzfah­rzeugen, darunter ein Rettungswa­gen, nach Oberhausen fuhr. In der Nähe des Bahnhofs

hatte eine Brandmelde­anlage in einer Tiefgarage angeschlag­en. Auf dem Weg dorthin passierte die Feuerwehr die Wertachbrü­cke. Auf der Brücke in der Nähe des Plärrers hielten sich zu dem Zeitpunkt etliche Menschengr­uppen auf. Friedhelm Bechtel hat schon viele Silvestern­ächte in Augsburg gearbeitet, aber so etwas, sagt der Einsatzlei­ter, habe er noch nie erlebt.

Als der Tross über die Brücke fuhr, krachte es plötzlich viele Male. An den Einsatzfah­rzeugen waren Einschläge zu hören, Raketen blendeten die Fahrer. „Wir wurden mit Feuerwerks­körpern massiv beschossen“, schildert Bechtel. Im vorderen Einsatzfah­rzeug habe man im ersten Moment nicht gewusst, was los sei. „Ein erfahrener Zugführer steuerte das Fahrzeug. Er sagte danach, das sei brutal gewesen.“Die Besatzung des Rettungswa­gens, der am Ende fuhr, habe beobachtet, wie Unbekannte auf der Brücke ihre Raketen-Batterien gezielt auf die Einsatzfah­rzeuge gerichtet und dann abgefeuert hätten. Man könne froh sein, dass nichts passiert und kein Wagen in Brand geraten sei, so

Bechtel. Ein Feuerwehra­uto wurde mit Rissen in Front- und in einer Seitensche­ibe beschädigt, im Kotflügel prangt eine Delle. Bechtel spricht von einer komischen Stimmung auf der Straße. „Man hatte den Eindruck, die Menschen fühlten sich von uns gestört. Als ob wir die Präsentati­on ihres Feuerwerks verdorben hätten.“Der Vorfall habe nichts mit einer „verirrten Silvesterr­akete“zu tun. Dass so ein Irrläufer jedoch gefährlich und immensen Schaden anrichten kann, zeigen zwei Geschehnis­se im Bärenkelle­r und eben in Hochzoll.

Rund 15.000 Euro Schaden entstanden bei einem Heckenbran­d an der Kurzen Gewanne. Dabei fingen auch der Holzzaun, ein Stromverte­ilerkasten sowie ein Telefonkas­ten Feuer. In Teilen der Nachbarsch­aft kam es zu Strom- und Internetau­sfällen. Laut Polizeispr­echer Reiner Berndt würden die Arbeiten der Telekom noch ein paar Tage dauern, bis alles wieder funktionie­re. Auch Shima Naeinian braucht Geduld, bis ihre Wohnung wieder intakt ist. Seit die Silvesterr­akete ihren Balkon entzündet hat und ihr Schlafzimm­erfenster

durch die Hitze geborsten ist, muss sie auf der Couch im Wohnzimmer schlafen. Der beißende Gestank liegt nach wie vor in der kleinen Mietwohnun­g in der Luft. Die Webdesigne­rin hatte mit ihrem Hund den Silvestera­bend bei einer

Freundin verbracht, als bereits gegen 20 Uhr ihr Handy läutete. Die Polizei war dran. Ihr Balkon brenne.

„Bereits die Tage davor wurde in dem Viertel geböllert“, sagt die gebürtige Perserin, die eine Gegnerin des Feuerwerks ist. Schon allein wegen ihres Hundes, den die Knallerei in Panik versetze. Wer die verhängnis­volle Rakete abgeschoss­en habe, könne man nicht sagen. „Es müssen sich mehrere junge Leute in der Nähe aufgehalte­n haben.“Die Polizei schätzt den Sachschade­n auf rund 20.000 Euro. Die abgefackel­te Lounge-Ecke auf dem Balkon macht davon wohl den geringsten Anteil aus. Das Ganze bereite ihr ziemliche Magenschme­rzen, sagt die 40-Jährige, die im ständigen Kontakt mit Hausverwal­tung und Versicheru­ng steht. Der Einsatz bei der Webdesigne­rin war bei Weitem nicht der einzige für Augsburgs Feuerwehre­n.

Berufs- und freiwillig­e Feuerwehre­n wurden zum Jahreswech­sel zu 47 Bränden im Stadtgebie­t alarmiert. „Es waren mehr Kleinbränd­e als in den letzten Jahren“, sagt Friedhelm Bechtel. Weil es warm und trocken war, seien Hecken schneller in Brand geraten. Zudem gab es etliche Mülltonnen­brände. Manche Bürger, so vermutet der Einsatzlei­ter, hätten wohl zu voreilig die Böllerüber­reste in den Tonnen entsorgt. Generell fände man es toll, wenn die Menschen feiern. „Das Feuerwerk in Augsburg war sehr schön. Aber schön wäre auch, wenn wir einfach unsere Arbeit machen können.“

„Ein erfahrener Zugführer steuerte das Fahrzeug. Er sagte danach, das sei brutal gewesen.“

Feuerwehr-Einsatzlei­ter Friedhelm Bechtel

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Foto: Silvio Wyszengrad Von Shima Naeinians Balkoneinr­ichtung ist nichts mehr übrig, das Fenster zum Schlafzimm­er ist geborsten. Ihren Hund Anil nimmt sie lieber auf den Arm.

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