Augsburger Allgemeine (Land West)

Seelsorger hinter Gittern

Diakon Filip Bäder aus Türkheim ist in der JVA Gablingen für rund 500 Häftlinge da. Manche der Gefangenen finden wieder einen Weg zum Glauben.

- Von Karin Donath

Türkheim/Gablingen „Im Gefängnis fühle ich mich freier als vorher“– ein Satz, der widersprüc­hlicher nicht sein könnte und der nach einer Erklärung verlangt. So gesagt hat ihn Diakon Filip Bäder, der seit September als Gefängniss­eelsorger in der Justizvoll­zugsanstal­t Augsburg-Gablingen tätig ist und sich in Gablingen zum Gespräch mit unserer Redaktion getroffen hat.

Nach zehn Jahren verließ Diakon Filip Bäder im vergangene­n Sommer Bad Wörishofen, wo er in der Kurstadt und zuletzt in der neu gegründete­n Pfarreieng­emeinschaf­t Bad Wörishofen als Gemeindere­ferent tätig war und 2020 zum Diakon geweiht wurde.

Warum dann der ungewöhnli­che Schritt zum Seelsorger in einem Gefängnis? „Mich hat es einfach fasziniert, ganz nah mit den Menschen zu arbeiten und wirklich Seelsorge zu betreiben. Diakon am Rande der Gesellscha­ft zu sein, so wie es Papst Franziskus immer wieder fordert, das hat mich bewegt, mich für die Gefängniss­eelsorge zu entscheide­n: Gespräche führen, Zeit haben und Menschen auf einem Weg zu begleiten, der nicht einfach ist.“

Wer ein Gespräch mit Bäder sucht, muss einen Antrag stellen und bekommt dann einen Gesprächst­ermin. In Gablingen sind knapp 500 Männer inhaftiert, teilweise in Untersuchu­ngshaft, teilweise in regulärer Haft bis zu einem Strafmaß von fünf Jahren. „Von 20 bis 75 sind alle Altersgrup­pen vertreten, ebenso alle Bevölkerun­gsschichte­n vom Akademiker bis zum Obdachlose­n und auch unterschie­dliche Nationen.“

Seinen seelsorger­ischen Dienst versieht er gemeinsam mit zwei Kollegen – einem evangelisc­hen Pfarrer und einem katholisch­en Pastoralre­ferenten. Eine Besonderhe­it gibt es des Weiteren in Gablingen. Ein muslimisch­er Seelsorger ist mit einigen Stunden für die muslimisch­en Gefangenen zuständig. In den ersten Wochen musste Bäder sich erst einmal an die ganz eigene Atmosphäre in der Haftanstal­t gewöhnen, die er als „Andersort“bezeichnet. Auch die Gespräche mit den Inhaftiert­en sind einerseits natürlich ein Dialog, aber ebenso auch oft ein Monolog. „Ich sehe mich in erster Linie als Hörender“,

so Bäder. „Viele, die das Gespräch mit mir suchen, sind froh, sprechen zu dürfen, und reden dann wie ein Wasserfall und legen eine komplette Lebensbeic­hte ab.“

Gerade Gefangene, die das erste Mal inhaftiert sind, werden oft von vielen Ängsten und Sorgen geplagt, die sich meistens um die Familie und die Partnersch­aft drehen. Es ist die Sorge, wie eine Familie die Verurteilu­ng und die Inhaftieru­ng wegsteckt. „Das ist das, was ich gerne mache. Zuhören und dann zu reagieren.“Dazu kommt, dass er der absoluten Schweigepf­licht unterliegt, und die Gefangenen daher völlig offen sprechen können. Auch die Taten spielen eine Rolle bei den Gesprächen, wobei Bäder sich nicht als Richter sieht. „Keiner sitzt hier ohne Grund, da braucht man auch nichts zu beschönige­n. Für ihre Taten wurden sie verurteilt und ich begleite sie nun auf dem Weg im

Gefängnis.“Wenn es sein muss, findet Bäder auch klare Worte und führt den Tätern vor Augen, was sie getan haben. Gleichzeit­ig versucht er aber, ihnen eine Perspektiv­e zu geben für die Zeit im Gefängnis und danach. Auch das Leben mit einer Schuld, die man auf sich geladen hat und die mit dem Verbüßen der Strafe trotzdem weiter besteht, ist Thema bei den Gesprächen. „Dafür sind dann auch unsere Gefängnisp­sychologen die richtigen Ansprechpa­rtner.“

Sehr gut besucht sind die regelmäßig­en Gottesdien­ste, am Ersten Advent waren es über 120 Gefangene, die in den Gottesdien­st kamen. „Das entspricht etwa fünfzehn Prozent Gottesdien­stbesucher, im Vergleich zu draußen eine beeindruck­ende Zahl.“Zweimal hat Bäder bereits musikalisc­he Begleitung für den Gottesdien­st organisier­t, was bei den Gefangenen sehr positiv aufgenomme­n wurde. Oft bekommt er nach dem Gottesdien­st

auch ein Dankeschön oder Fragen zur Predigt. „Ich habe schon das Gefühl, dass die Männer etwas mitnehmen.“

Interessan­t ist für Bäder auch die Tatsache, dass viele Inhaftiert­e nicht mit Gott und dem Glauben hadern, sondern anfangen, gezielt in der Bibel zu lesen und ihn dann nach Bibelstell­en fragen. „Der Weg geht bei einigen eher wieder hin zum Glauben.“Viele, die ein erstes Gespräch mit ihm hatten, kommen immer wieder. Bäder ist nicht nur Seelsorger für die Gefangenen, sondern auch für die Bedienstet­en der Haftanstal­t. „Auch hier entstehen gute Gespräche, die sich um Politik, Familie und Glauben drehen.“Auch die Bibelkreis­e, Musikgrupp­en und Yogastunde­n, die wöchentlic­h von den Seelsorger­n angeboten werden, sind gut besucht.

Die Fahrt von Gablingen nach Hause, nach Türkheim, sind für Bäder die Zeit und die Strecke, die er braucht, um alles Belastende

hinter sich zu lassen, in dieser Zeit kann er abschalten. Neben all den schwierige­n Situatione­n gibt es aber auch schöne Momente: ein Brief, in dem sich ein Gefangener bei ihm für die Gespräche bedankt, ein Häftling, der vor seiner Entlassung noch unbedingt einen Termin bei ihm will, um sich persönlich zu verabschie­den. Wenn Bäder an seine Tätigkeit in Bad Wörishofen denkt, hat er im Gefängnis viel mehr Freiheiten. „Ich habe keinen Stress, ich kann ganz anders arbeiten und kann mir die Zeit nehmen, die ich brauche für den Einzelnen, ohne schon wieder den nächsten Termin im Nacken zu haben.“Auch der Umgang mit den Gottesdien­stbesucher­n ist ein anderer.

„Ich gehe mit den Menschen hier mehr in die Tiefe, weil die Menschen hier diese Tiefe suchen. Wenn ich im Gefängnis sage, wir beten jetzt, habe ich das Gefühl, es betet der ganze Raum und unser Gott ist da.“

 ?? Foto: Karin Donath ?? Seit September ist der Türkheimer Filip Bäder als Seelsorger in der JVA Gablingen tätig. Fotos sind nur außerhalb eines Sperrberei­ches erlaubt.
Foto: Karin Donath Seit September ist der Türkheimer Filip Bäder als Seelsorger in der JVA Gablingen tätig. Fotos sind nur außerhalb eines Sperrberei­ches erlaubt.

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