Augsburger Allgemeine (Land West)

„Das Stück Heimat, das man immer dabei hat“

Im ersten Teil der neuen Serie „So schwätzet mir“geht es um die Merkmale des Dialekts in der Region Augsburg. Woher stammt eigentlich das Wort „Gschtattl“?

- Von Paula Binz, Jonas Klimm, Moritz Maier

Landkreis Augsburg Als Werner König vor einigen Jahren an einem französisc­hen Flughafen stand, brachte ihn der folgende Satz zum Aufhorchen: „Reich’ mir mal die Gschtattl!“Für den Sprachwiss­enschaftle­r war sofort klar: Dieser Passagier stammt aus Augsburg. Denn „Gschtattl“nennt man tatsächlic­h nur in Augsburg und Umgebung eine Tüte. Dieser Begriff zählt zu den Tausenden Dialektwör­tern, die Werner König über Jahrzehnte hinweg genauesten­s untersucht und in etlichen Büchern festgehalt­en hat.

„Dialekt ist das Stück Heimat, das man immer dabei hat“, sagt der gebürtige Schwabe. König bezeichnet seinen Dialekt auch gerne als seine Mutterspra­che, die ihn maßgeblich geprägt hat. Dass er seine Mutterspra­che heutzutage kaum noch hört, stimmt den 79-Jährigen traurig. „Wenn ich die Enkel von meinem Cousin reden höre, denke ich mir: Die sprechen wie kleine Preußen“, sagt König.

Für Dialekte begeistert sich der Sprachwiss­enschaftle­r Werner König schon sein Leben lang – so sehr, dass er seine Doktorarbe­it der schwäbisch-alemannisc­hen Mundart widmete. Nach der Promotion bekam König eine Stelle als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r für ein großes Projekt der Universitä­t Freiburg: dem „Südwestdeu­tschen Sprachatla­s“. In geografisc­hen Karten wird darin veranschau­licht, welches Wort in welcher Region wie genannt und ausgesproc­hen wird.

„Für mich stand gleich fest, dass es so etwas auch für meine Heimat braucht“, erinnert sich König. Das ist dem pensionier­ten Professor der Universitä­t Augsburg mehr als gelungen: Der „Sprachatla­s für BayerischS­chwaben“, der von 1996 bis 2009 veröffentl­icht wurde, ist mit 14 Bänden sogar der umfangreic­hste in Deutschlan­d. An diesem Projekt war auch Brigitte Schwarz, die gebürtig aus Ettringen stammt, beteiligt. Die Germanisti­n besuchte knapp 300 bayerisch-schwäbisch­e Gemeinden, um auch die kleinsten Feinheiten der Dialekte für den Sprachatla­s zu erfassen.

„Bayerisch-Schwaben ist ein riesiger, sprachlich­er Flickentep­pich“, sagt Schwarz. Um das Gebiet vom württember­gischen Schwaben abzugrenze­n, werde der Dialektrau­m oftmals als Ostschwäbi­sch bezeichnet. Die Sprache von Bayerisch-Schwaben in eine Mundart pressen zu wollen, sei allerdings so gut wie unmöglich: „Wenn richtige Dialektspr­echer

aus Donau-Ries und dem Oberallgäu aufeinande­rtreffen, hört selbst ein ortsfremde­r Laie, dass das nicht ein und derselbe Dialekt ist“.

Grob gesagt lasse sich die Region daher in drei große Sprachräum­e unterteile­n: in das Nordschwäb­ische ab Wertingen und nördlich der Donau, bei dem gebietswei­se auch Einflüsse vom Fränkische­n und Bairischen durchkling­en; in das Mittelschw­äbische, zu dem der Landkreis Augsburg zählt, sowie das Südschwäbi­sche ab Kempten, bei dem im West- und Oberallgäu auch alemannisc­h gesprochen wird. „Wichtig ist es aber immer, diese Sprachgren­zen nicht als starr, sondern als fließend zu begreifen“, sagt Schwarz.

Einig ist sich die Sprachfors­chung laut der Wissenscha­ftlerin zumindest in einem Punkt: So gilt der Lech als eine der schärfsten Mundartgre­nzen in Deutschlan­d. Die Germanisti­n kann erklären, woran das liegt: „Der Lech war etwa 1000 Jahre lang die politische Grenze zwischen dem großen, bayerische­n Königreich und den vielen, kleinen Fürstentüm­ern im heutigen BayerischS­chwaben.“

Laut Werner König sind die sprachlich­en Unterschie­de links und rechts vom Lech auch heute noch leicht zu hören. „Zwischen Meitingen und Thierhaupt­en etwa gibt es eine sehr scharfe Grenze“, sagt er. Davon abgesehen sei es allerdings schwierig, sprachlich­e Merkmale zu nennen, die ausschließ­lich für Bayerisch-Schwaben gelten. „Das ‚Sch‘ statt einem einfachen ,S‘ wird oft als markantes Merkmal des Schwäbisch­en beschriebe­n.

Das gibt es aber in vielen anderen Dialekten auch“, erklärt König. Ebenso verhalte es sich auch beim Wechsel von ,ei‘ zu ,oi‘ – zum Beispiel ,woisch‘ statt ,weißt‘. „Dieses Merkmal ist auch sehr verbreitet, das geht bis zum Schwarzwal­d“, sagt der Sprachwiss­enschaftle­r.

Statt allgemeing­ültigen Sprachmerk­malen kann König vielmehr einige sprachlich­e Unterschie­de benennen. Nicht nur in Abgrenzung zu anderen Dialekten, sondern auch innerhalb der Region. Im Augsburger Land sei es etwa deutlich zu hören, ob ein Sprecher oder eine Sprecherin aus dem nördlichen oder dem südlichen Landkreis stammt. „Im Süden wird die Sprache schon durch das Allgäu beeinfluss­t“, sagt der 79-Jährige.

Während im südlichen Landkreis ein hartes ,K‘ gesprochen werde, werde der Buchstabe im nördlichen Landkreis mehr zu einem weichen ,G‘. König nennt zwei Beispiele: „Die Knie heißen im Süden

Knia, klein wird zu kloi. Im Norden sagt man dagegen Gnia und gloi.“Ein weiterer Unterschie­d sei, dass im südlichen Landkreis häufig ein kurz gesprochen­es ,A‘ an Wörter gehangen wird, im nördlichen Landkreis ist es dagegen ein angehängte­s ,E‘. Aus einem Mädchen wird also ein Mädla oder ein Mädle.

Neben einer anderen Aussprache als im Hochdeutsc­hen gibt es auch einige Wörter, die im Dialekt einen ganz eigenen Begriff haben. Wie etwa „Gschtattl“für eine Tüte. Häufig kursieren über die Herkunft solcher Eigennamen verschiede­ne Theorien. „Ich halte es für wahrschein­lich, dass Gschtattl vom italienisc­hen ,Scatula‘ für Schachtel abgeleitet wurde“, sagt König. „Vermutlich ist das Wort durch die früheren Handelsbez­iehungen zwischen Augsburg und Italien zu uns gekommen.“Wenn der gebürtige Gräbinger solche Dialektwör­ter im Ausland hört, fühlt er sich gleich an seine Heimat erinnert.

Generell spiele die Sprache eine wesentlich­e Rolle dabei, wie verbunden sich Menschen mit ihrer Region und untereinan­der fühlen. „Dialekt bedeutet für mich Heimat“, sagt auch Gisela Litzel aus Dinkelsche­rben. Die ehemalige Handarbeit­slehrerin verbrachte beinahe ihr gesamtes Leben in der Marktgemei­nde. Sie betont: „Der Dialekt zeigt die Zugehörigk­eit zu Dinkelsche­rben.“

Josef Bigelmaier, Altbürgerm­eister des Neusässer Ortsteils Täfertinge­n schlägt in dieselbe Kerbe: „Mir bedeutet der Täfertinge­r Dialekt sehr viel, dahinter verbirgt sich Heimat.“Er fügt hinzu: „I bin hier in Täfertinge­r gebora, dann hängt mer no viel mehr dra.“

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Foto: Marcus Merk In unserer Serie „So schwätzet mir“können Sie sich auf unserer Website auch Videos von Dialektspr­echern anschauen und Ihr Wissen über schwäbisch­e Wörter testen.
 ?? Foto: Anja Ringel ?? Professor Werner König beschäftig­t sich seit über drei Jahrzehnte­n mit den verschiede­nen Dialekten in der Region.
Foto: Anja Ringel Professor Werner König beschäftig­t sich seit über drei Jahrzehnte­n mit den verschiede­nen Dialekten in der Region.
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Foto: Maier Lena und Annika aus Thierhaupt­en erzählten uns in einem Video, wie sie mit Dialekt täglich in Kontakt kommen und aufwachsen.

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