Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn Heimat unter die Haut geht

Die Zirbelnuss, die Augsburger Postleitza­hl und der Bonstetter Fernsehtur­m: Drei Menschen erzählen, warum sie sich ihre Heimat tätowieren lassen haben.

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Es gibt Dinge im Leben, die sollte man sich gut überlegen. Dazu gehören Tattoos, schließlic­h trägt man sie sein Leben lang auf der Haut. Wer sich ein Symbol seiner Heimat tätowieren lässt, trägt sie quasi immer bei sich – auch wenn er oder sie schon lange woanders zu Hause ist. Drei Menschen erzählen von Tattoos, die ihnen viel bedeuten.

• Simon Jilg, 35, aus Harrisonbu­rg, Virginia: „Ich bin in Bonstetten aufgewachs­en, in der Nähe des Fernsehtur­ms. Mein Elternhaus liegt direkt am Staufenber­g und ist das letzte vor dem Wald. Der Turm war für mich immer ein Stück Heimat, man konnte ihn von überall sehen – selbst von 20 oder 30 Kilometern Entfernung. Später habe ich ihn mir in Virginia auf den Knöchel stechen lassen, als Erinnerung an meine Heimat und meine Familie.

Ich habe für mein Studium ein Praktikum in San Francisco gemacht und dort meine heutige Frau kennengele­rnt. Wir haben zwei Jahre in Augsburg gelebt und sind 2016 nach Virginia gezogen. Das war ein interessan­tes Jahr mit der Trump-Wahl damals. Augsburg und die Gegend habe ich aus der Ferne noch mehr schätzen gelernt. Oft merkt man erst, was man an etwas hatte, wenn man es nicht mehr hat.

Neben den Fernsehtur­m habe ich mir eine Baumreihe tätowieren lassen, sie symbolisie­rt meine Familie. Und ein Semikolon, das auf das Thema Suizid aufmerksam machen soll. Ich hatte mehrere Freunde, die sich suizidiert haben. Meine drei Geschwiste­r wollten sich eigentlich auch den Fernsehtur­m stechen lassen. Bei ihnen hat es aber noch nicht geklappt.

Harrisonbu­rg ist inzwischen meine Heimat geworden. Meine Frau und ich haben ein Kind und erwarten gerade ein zweites. Das macht natürlich einen Unterschie­d. Es hat aber gedauert, bis ich mich hier heimisch gefühlt habe. Wie viele Menschen es mit einem Tattoo vom Bonstetter Fernsehtur­m gibt? Wenn es drei wären, wäre ich überrascht.“

• Manuel Massoumi, 44, aus Augsburg: „Ich hatte schon in meiner Kindheit immer einen Konflikt. Wenn ich gesagt habe ‘Ich bin Deutscher, ich bin hier aufgewachs­en’, kam immer die Nachfrage ‘Aber wo kommst du her? Du bist doch kein Deutscher.’ Ich bin hier geboren und aufgewachs­en, meine Eltern kommen aus dem Iran. Mein Papa hat immer gesagt: Wir leben hier, wir müssen uns dem Land anpassen. Wir machen alles, was die Deutschen machen. Ich wurde aber nie als Deutscher akzeptiert. Wenn du schon als Kind immer damit konfrontie­rt wirst, sagst du irgendwann: Okay, ich bin kein Deutscher. Ich bin aber auch kein Perser, weil, ich lebe dort nicht, ich bin dort nicht geboren. Ich habe diesen Nationalst­olz deswegen nie gefunden, sondern ihn eher auf Augsburg bezogen. Ich bin kein Deutscher, ich bin Augsburger. Meine beiden Töchter sind hier geboren, wir haben hier ein Haus gekauft und werden hier wahrschein­lich nicht mehr weggehen.

Dieser Heimatstol­z hat bei mir angefangen, als ich als Student meine erste Wohnung in Göggingen hatte. Ich wollte eigentlich immer in die Großstadt: New York, München, Berlin. Als ich von Mering nach Augsburg gezogen bin, habe ich gemerkt: Ich habe hier alles, was ich brauche. Augsburg ist nicht zu klein, nicht zu groß. Ich habe hier viele Kontakte, kenne überall jemanden. Ich sehe Augsburg als Teil von mir.

Ich habe mir erst die Postleitza­hl von Haunstette­n tätowieren lassen, dann den Hotelturm in der Zirbelnuss mit dem Schriftzug ‚Augsburg‘ auf die Brust. Später noch die Schriftzüg­e ‘Haunstette­n’ und ‚Augsburg‘. Ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Tattoos ich habe. Das erste Tattoo tat schweinewe­h, ich habe gedacht: Das mache ich nie wieder. Den Gedanken habe ich jedes Mal. Dann ist das Tattoo verheilt und der Körper sagt: Ich brauche das wieder. Ich habe nur das Problem, dass mir

„Ich hatte schon in meiner Kindheit immer einen Konflikt.“

Manuel Massoumi

langsam die Motive ausgehen. Solange ich noch freie Haut habe, werde ich aber noch was machen.“• Stefan Goller, 31, aus Hannover: „Ich bin im Stadtberge­r Stadtteil Deuringen aufgewachs­en und habe in der Jugend zusammen mit Nico Sturm beim AEV gespielt. Als ich später in der dritten Liga in Füssen unter Vertrag war, kam das Angebot von den Hannover Scorpions. Ich sollte dort eigentlich nur ein halbes Jahr spielen, aber ich habe in Hannover eine neue Heimat gefunden. Mittlerwei­le bin ich verlobt und hier auch durch meinen Job bei einer Feuerschut­zfirma sehr verwurzelt.

Deutscher als in Hannover geht es nicht. An einem meiner ersten Tage habe ich in der Fußgängerz­one nach dem Weg gefragt. Damals hatte ich noch stärkeren bayerische­n Dialekt. Der Erste, den ich gefragt habe, hat mich nur doof angeschaut und ist weitergega­ngen. Bei Nummer zwei war es genauso. Der Dritte hat mich gefragt, warum ich ihn duze und gesagt, ich soll gefälligst Hochdeutsc­h sprechen. Da habe ich gedacht: Uff.

Es gibt einige schöne Locations hier, das Steinhuder Meer zum Beispiel. Nur Bierbrauen können sie hier gar nicht. Wenn ich in Augsburg bin, muss immer ein Riegele her. Vor ein paar Jahren habe ich mir die Zirbelnuss auf den Arm tätowieren lassen. Viele fragen mich, was das ist. Dann erkläre ich, dass sie das Stadtzeich­en von Augsburg ist. Viele wissen gar nicht, wo die Stadt liegt. Ich sage dann: in der Nähe von München.

Was Augsburg in meinen Augen auszeichne­t, ist dieser Stolz auf die kleinen Sachen: die Brunnen in der Maxstraße, der Siebentisc­hwald, die Fuggerei, die Puppenkist­e. Wir sind keine Millionens­tadt, aber die kleinen Sachen können wir. Augsburg hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin: ein bisschen zurücktret­en, anderen den Vortritt lassen und sich gegenseiti­g unterstütz­en.“

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Foto: Jonathan Lyne
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Foto: Simon Jilg/The Commoneer
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Foto: Bianca Massoumi

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