| Ich liebe mich
Ohne Selbstliebe ist es schwer, Liebe für andere zu empfinden. Und manchmal beginnen wir erst mit der Liebe eines anderen, uns selbst zu lieben. Doch wenn sich Lebensbilder ändern und Kompromisse nicht mehr tragbar sind, ist es Zeit, loszulassen.
Liebe und Leben im Wandel # Immer diese Selbstliebe – Veit Lindau im Interview # Selbstliebe ist erlernbar
Es fällt mir nicht leicht, diesen Artikel zu beginnen. Normalerweise finde ich recht schnell meinen Einstieg und befinde mich kurzerhand in einem sintflutartigen Wortschwall. Dieses Mal hakt es gewaltig und ich merke, wie ich diesen Text nach anfänglicher Euphorie mehr und mehr aufschiebe. Ja, mich gar nicht so richtig dran setzen mag. Heute ist Redaktionsschluss und noch immer stehe ich vor der Frage, wie ich nun eine Geschichte herunter schreiben soll, die meinen größten Schmerz und zugleich meine schönste Begegnung aus 33 Lebensjahren beschreibt. Ich habe mich freiwillig in das Alleinsein begeben, um zu erfahren, wer ich eigentlich bin. Ich habe eine Beziehung beendet, die ich niemals aufgeben wollte. Und einen Menschen aus Liebe verlassen, weil ich ihn freigeben wollte. Für ein anderes Leben, das uns ganz offensichtlich noch beide erwartet.
(Frei)Geben
„Gute Dame, wie bescheuert bist du eigentlich? Es hätte doch Mittel und Wege gegeben!“– diesen Satz habe ich nicht nur in meinem eigenen Kopf unzählige Male kreisen gehört. Wer gibt sie schon auf, wenn er sie gefunden hat – die Liebe. Die
Resonanz auf meine Entscheidung zu gehen und zu hinterlassen, war alles andere als von Verständnis und Support von außen geprägt. Aber wenn sich Lebensvorstellungen ändern und ein Kompromiss für keinen von beiden mehr aufrichtig tragbar scheint – ohne auf etwas zu verzichten, das dem eigenen Leben Sinn stiftet oder gar etwas zu tun, das ihm widerspricht – so ist es Zeit, sich selbst und einen anderen wieder freizugeben.
Verdrängungskisten
„Wie sieht es denn bei dir so mit Kindern aus?“Wenn man diese Frage mit Mitte Zwanzig gestellt bekommt, wird er bei den meisten Frauen entweder schon da sein oder man geht in der Regel davon aus, dass er irgendwann einmal eintreten wird – der Wunsch, selbst Mutter zu werden. „Klar, so in zwei, drei Jahren“, war damals meine naive Antwort. Selbstredend. Schließlich wollen das ja alle Frauen. Und spätestens wenn dann mal die biologische Uhr tickt, wird es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch ich dieses Abenteuer wagen werde. Kinder kriegen halt. Macht man ja auch so. Dachte ich. Den richtigen Mann dazu hatte ich bereits gefunden, ich arbeitete in einem sicheren Job, der mich mehr oder minder erfüllte, ich bin gesund und ohnehin ist das ja der „normale“Werdegang im Leben eines Paares. Dann waren die zwei, drei Jahre rum. Und in meiner Bauchgegend war noch immer kein Anflug von Kinderwunsch zu spüren. Selbstverständlich kam die ehemalige Frage erneut auf den Tisch. Ich schob ein weiteres „So in zwei Jahren dann“hinterher. Glücklicherweise hatte ich einen sehr
verständnisvoller Partner. Er wusste um die Zeit, die man erst einmal noch für sich braucht. Anders als bei unserem ersten Gespräch hatte ich dieses Mal aber das Gefühl, nicht ganz ehrlich zu mir selbst zu sein. Waren es wirklich nur die paar Jahre, die ich für mich noch brauchte oder könnte es sogar sein, dass ich gar keine möchte? Kinderlos – mit Blick auf den späteren Lebensabend für mich ein schrecklich einsames Bild. Aber für Nachwuchs entscheiden wollte ich mich dennoch nicht. Ehe ich mir den Raum gab, meine Antwort zu finden, wälzte ich mich in unzähligen Fragen und vorschnellen Rückschlüssen. Bin ich vielleicht doch noch zu jung, um mir über sowas Gedanken zu machen? Aber das kann ja eigentlich nicht sein, bei den anderen ist das ja auch nicht so! Bin ich im Vergleich zu meinen Freundinnen, die wie selbstverständlich nach drei Jahren Beziehung die nächste Etappe mit ihrem Partner erklimmen, vielleicht nicht normal oder ist es gerade bei mir normal, niemals Mama genannt zu werden?
Ahnungen
Dass dies nicht nur ein jonglierendes Hirngespinst meiner Zwanziger sondern möglicherweise meine lebenslange Realität sein könnte, machte mir große Angst. Mit spitzen Fingern wanderte dieses Thema schnell in meine Verdrängungskiste. „Ach, ich brauch halt noch ein bisschen Zeit. Die geb ich mir noch.“Ich denke, ich brauche hier nicht weiter zu erzählen, wie ich dann auf seine Frage nach weiteren zwei Jahren reagierte.
Entrümpeln im Gestern
Vielleicht wäre es damals besser gewesen, dieser Angst einmal auf den Grund zu gehen. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, mein Leben an dieser Stelle noch einmal Revue passieren zu lassen, um mich zu hinterfragen, ob Kinder für mich als Bestandteil meines Lebens tatsächlich abwegig waren oder ob es gar gedankliche Hindernisse gab – eigene Erfahrungen als Tochter oder vorgelebte Mutterrollen, die ich nicht wiederholen wollte. Vielleicht auch der dringende Wunsch, mich erst noch von etwas zu befreien, bevor ich mich erneut in engere Bindungen begebe. Ja, möglicherweise auch noch einmal ein mutiger Blick auf meine Steine, die mit neuen Erkenntnissen vielleicht doch nicht so fest auf meiner Route gepflastert zu sein scheinen, als dass ich sie nicht aus dem Weg hätte räumen können. Ein gehöriges Entrümpeln der eigenen Kindheitskiste also, um wirklich frei und unvoreingenommen einer eigenen Familienplanung entgegen zu blicken. Die unterstützenden Hände dazu hatte mir mein Partner
Ich habe mich freiwillig in das Alleinsein begeben, um zu erfahren, wer ich eigentlich bin. Ich habe eine Beziehung beendet, die ich niemals aufgeben wollte.
gereicht. Aber irgendwie wollte ich sie nicht (mehr) in Anspruch nehmen. Ich wollte nur noch gehen. Zu groß war allmählich der Druck geworden, was sich in dem Alter einer Frau „eben so gehört“. Und den machte ich mir hauptsächlich selbst.
Standard und Raster
Heute, mit ein paar Jahren Abstand, sehe ich das Ganze anders. Damals hatte ich schlicht Angst davor, aus dem Raster einer Standardfrau zu fallen. Allein der Begriff wäre es mehr als wert gewesen, einmal den Standard für mich zu definieren und zu hinterfragen, warum eine gesellschaftliche Schablone zu meinem eigenen Maßstab geworden war. War das wirklich meine eigene Stimme, die sich da von Zeit zu Zeit meldete, was es jetzt zu tun gibt, oder war das die Meinung der anderen, von der ich mich zugegebenermaßen als junges Mädchen noch nicht abgrenzen konnte?
Anstatt zu bleiben und gemeinsam mit einem Partner an meinen falschen Gedanken zu arbeiten, habe ich meine Sachen gepackt und bin mit schwerem Gepäck alleine losgezogen. Ich weiß nicht, was damals bei mir überwog: Die Befürchtung, mit einem Kind ein neues Kapitel in meinem Leben zu schreiben, bei dem ich möglicherweise scheitern könnte oder aber das vorgezogene Schuldgefühl, einem wunderbaren Menschen vielleicht etwas für immer verwehrt zu haben.
Verantwortung
Wer aufrichtig liebt, kann manchmal sehr selbstlos werden. Und manchmal sieht man sich dabei in der Versuchung, die Erfüllung seiner eigenen Bedürfnisse hinter die des Partners zu stellen. Aber zu wissen, dass man weder den Wunsch des Partners (jetzt) teilt, noch in der
Lage ist, ihm diesen aus Liebe zu erfüllen, war eine quälende Gratwanderung bei der Frage, ob ich gehe oder bleibe. Ich wusste um dem dringenden Kinderwunsch meines Freundes, die Erfüllung, die er in kleinen Kinderbeinchen für sich und sein Leben sah. Gleichzeitig fühlte ich seine Liebe zu mir und seine wachsende Bereitschaft, eben genau darauf für mich zu verzichten. „Jemand verzichtet für dich auf so etwas Bedeutendes?“– böse Stimmen meldeten sich da aus meinen Tiefen. Ich hatte ihn ja längst mit Kindern von Freunden erlebt. Plötzlich sah ich da nicht mehr nur meinen Partner, sondern einen wunderbaren Vater, der an meiner Seite vielleicht nie einer sein würde. Die Vorstellung, dass er mich als Mensch über eigene Kinder stellte, kam mir so unvernünftig vor. Ja, ich hatte fast schon das Bedürfnis, ihn vor seiner eigenen Entscheidung zu schützen Spätestens an diesem Punkt hätte ich
Wenn mich also heute jemand fragt, ob ich mich liebe und bereit bin, für mich selbst einzustehen, kann ich das mit einem klaren „Ja“beantworten.
mich einmal hinterfragen können, weshalb ich mir selbst einen so geringen Wert zuschrieb.
Was bleibt
Mittlerweile sind seit meiner Trennung fast vier Jahre ins Land gezogen und es hat sich einiges in unser beider Leben getan. Ich wollte Zeit für mich und Raum für Erkenntnisse, um Antworten darauf zu finden, wer ich bin, was ich mir wünsche, was ich wirklich in meinem Leben brauche und was mich von innen hält, wenn von außen alles wegfällt. Ich hatte noch ein Stückchen Weg vor mir, den ich nur alleine gehen konnte. Die Ausrufezeichen auf die für mich wichtigen Fragen habe ich unterwegs gefunden. Er hingegen hat genau das bekommen, wofür ich ihn einst so selbstlos freigab – Kinder. Mein Plan ging also auf. Ob ich mich darüber aufrichtig freuen kann? Mal so, mal so. Wovon ich aber mittlerweile überzeugt bin ist, dass Beziehungen nie aufhören. Sie verändern vielleicht ihre Form. Aber ein aufrichtiges Gefühl für einen Menschen bleibt, unabhängig davon, ob es nun auf einer anderen Ebene zu verorten ist.
Liebe ist
Liebe ist das stärkste Band, das zwei Menschen zueinander knüpfen können. Wenn es keiner von beiden mit Hass, Verletzung oder Enttäuschung durchschneidet, kann es bestehen bleiben. Selbst dann, wenn sich beide mittlerweile einem neuen Leben zugewendet haben. Wenn mich also heute jemand fragt, ob ich mich liebe und bereit bin, für mich selbst einzustehen, kann ich das mit einem klaren „Ja“beantworten. <