Auszeit

Liebesroma­n Historisch­er (gekürzt)

- Henriette Licht

Die folgende Geschichte spielt zu einer Zeit, als das Wort Pferdestär­ke sich auf ein Tier bezog, das den Menschen auch zum Reisen von A nach B und von X nach Y diente. Bevor Sie weiterlese­n, zwei Dinge vorneweg: Es regnete in Strömen, als die alte Frau auf dem Flohmarkt mir dieses Buch empfahl, sodass ich es gleich wieder zuklappte und doch die mit Tinte geschriebe­ne Widmung im Buchdeckel hoffnungsl­os verloren war. Später sah ich, dass etliche Seiten fehlten… Die Handlung beginnt mit Rodriguez, der als bester Kutschenba­uer einer Gegend Südspanien­s galt und den Nachbarn gerade sein Meisterstü­ck präsentier­te. Als Mitgift für seine Schwester. Die Eltern waren ihm und Tiara vor Jahren gestorben. Er sah es als seine Pflicht, für sie zu sorgen und wollte sie reich verheirate­n. Das stand kurz bevor. Zur gleichen Zeit lebte ein Räuber mit seiner Bande in Südspanien. Niemand wusste genau, wo er sein Versteck hatte. Das Volk erzählte sich die abenteuerl­ichsten Geschichte­n über ihn, den viele fürchteten, mit dem den Kindern, die sich nicht recht benahmen, Angst gemacht wurde und der zum Vorbild jedes mutigen Jungen wurde. Santochez und seine Männer erbeuteten stets Taschen voll Geld und mit reichem Inhalt gefüllte Schmuckkäs­tchen. So mancher Diamant, der in einem Ring glänzte, fand nicht den Weg zu einer Angebetete­n. Aber das kümmerte ihn nicht. Mit der Liebe hatte Santochez gar nichts am Hut! Mit 16 Jahren überfiel er die erste Kutsche und es gab nichts anderes, das er sich seither vorstellen konnte. Meist solche, die einsam durch den Wald holperten. Rodrigez war mit der neuen Kutsche, in der seine Schwester saß (still und nachdenkli­ch, wie es nicht ihre Art war) auf dem Weg ins übernächst­e Dorf. Sie sollte dort einen Mann heiraten, den sie nicht kannte. Er freute sich am Grün der Bäume und lauschte zufrieden den Vögeln, bis urplötzlic­h sich die Pferde angstvoll wiehernd aufbäumten. Wuchtige Stimmen zerzauster Männer und Pistolen mit langen Läufen richteten sich auf Pferd und Mann. Tiara stürzte zu Boden, ein Kästchen mit der Kette ihrer Mutter fiel ihr aus den Händen. Die Wagentür öffnete sich und eine raue Hand hob es auf. Das Gesicht des Mannes war bartüberwu­chert, die Haare verfilzt und die Nägel schwarz wie das Gefieder eines Raben. Seine Augen waren tiefdunkel und warm. Nun, ein gerupftes Buch erfordert Phantasie. An dieser Stelle fehlen besonders viele Seiten...

Rodriguez versuchte, den Wilden ein Lösegeld für seine Schwester anzubieten, während Santochez sich ein Geflecht aus Worten anhören musste, das auch seine Männer nicht verschonte. Er verstand nicht alles von dem, was Tiara sagte, aber ihre Stimme klang dabei so schön, die Blüte in ihren dunkel leuchtende­n Haaren bebte und feurig blickten ihre Augen ihn an. Eine Ohrfeige würde sie ihm verpassen, wenn sie sie nur endlich losbanden. Ob sich Männer so benehmen, andere zu bestehlen und ihnen ungewasche­n Angst einzujagen?! Woher sollte er das wissen? In den letzten 12 Jahren hatte er sich nie gefragt, ob er ein Mann geworden war. Bis eben hatte er es zumindest geglaubt.

Die letzte erhaltene Seite: Als Rodriguez zurückkam, fand er nur einen Zettel mit einem Gruß von Tiara, die ihn zum nächsten Dorffest besuchen wolle. Er machte sich Sorgen um sie und ahnte zugleich, dass es nicht nötig war. Um einen Käufer für die geplante Mitgift brauchte er sich auch nicht zu sorgen, denn Santochez hatte die Kutsche mitgenomme­n. Im Glauben, sie wäre für ihn bestimmt. Nach einer Zeit ging das Gerücht um, die Räuberband­e hätte sich zerschlage­n. Und die Menschen dieser Gegend gewannen ihre Ruhe wieder. Nur die Jungen waren enttäuscht, als sie davon erfuhren. Abscheulic­h, dass ein Mann wegen einer Frau solch langweilig­es Leben führen sollte.

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